Christoph Gerhard, Benediktiner und Astronom
Schweiz

«Durch das Teleskop sehe ich die Sterne, also Gottes Schöpfung»

Luzern, 28.11.17 (kath.ch) Der deutsche Benediktiner Christoph Gerhard blickt als Astronom ins Weltall – von der Abtei Münsterschwarzach aus. Seine Erkenntnisse daraus spiegeln sich in seinem Glauben und seiner Haltung zur Schöpfung wider, wie er im Gespräch mit kath.ch erklärt. Am Donnerstag spricht er in der Jesuitenkirche Luzern über die Spannung zwischen Astrophysik und Theologie. 

Regula Pfeifer

Wenn Sie als Astrophysiker in die Sterne schauen, sehen Sie da Gott?

Christoph Gerhard: Was ich sehe, ist natürlich Gottes Schöpfung. Und das sind in diesem Fall die Sterne.

Ich kann bis ans Ende der Welt schauen. Das haut mich aus den Socken.

Was fasziniert Sie daran?

Gerhard: Absolut faszinierend ist für mich, wie weit ich mit meinen astronomischen Geräten schauen kann. Umgangssprachlich formuliert: Ich kann bis ans Ende der Welt schauen. Also bis dorthin, woher das Licht noch zu uns gelangen kann. Mit dem Teleskop erreiche ich Lichtlaufzeiten von an die 13 Milliarden Jahren. Das ist absolut faszinierend. Und selbst mit blossem Auge kann ich die 2,7 Millionen Lichtjahre entfernte Adromeda-Galaxie sehen. Das sind ja 2,7 mal 10 Billionen Kilometer. Das kann man gar nicht mehr erfassen, was das heisst. Diese Weite haut mich aus den Socken.

Forschen Sie nach etwas Spezifischem?

Gerhard: Mich interessiert, an die Grenzen des Sichtbaren zu gehen. Und ich beobachte dabei gern die weit entfernten Galaxien. Aber auch anderes interessiert mich. So habe ich als persönliches Projekt den Neutronenstern Pulsar im Krebsnebel vermessen. Auch das ist ein grenzwertiges Objekt. Wenn man bedenkt, dass dieser Neutronenstamm 30 Kilometer im Durchmesser ist und so schwer wie die Sonne wiegt: Das ist ein absolut unvorstellbares Ding. Und das gehört auch zu Gottes Schöpfung. Aber es ist gut, dass es 6000 Lichtjahre weit weg ist. Denn wenn es neben der Erde wäre, hätten wir Menschen und das Leben überhaupt ein Problem. Die Radiostrahlung würde alles Leben zerstören.

Mein Beten weitet sich weit über die Abtei Münsterschwarzach hinaus in den Kosmos hinein.

Erfahren Sie solche Dimensionen auch als Ordensmann?

Gerhard: Als Benediktiner bete ich ja Psalmen und die Cantica, das sind die Lieder im Alten und Neuen Testament. Darin kommen die Schöpfung, die Sterne und der Mond immer wieder vor. Also beschäftige ich mich mit der Schöpfung und der Astrophysik auch beim Beten. Die Sterne werden in den Psalmen immer wieder aufgefordert, Gott zu loben. Insofern weitet sich mein Beten weit über die Abtei Münsterschwarzach hinaus bis in den Kosmos hinein.

Bereits die Urchristen haben Jesus eine kosmische Dimension zugesprochen.

In den Cantica zeigt sich, dass bereits die Urchristen Jesus Christus eine kosmische Dimension zugesprochen haben. Er ist das Haupt der Schöpfung und herrscht – als Pantokrator – auch über das All. Er wurde damals absichtlich als Gegenspieler zum Cosmocrator gesetzt, dem damaligen römischen Kaiser. Diese kosmischen Zusammenhänge unseres jüdisch-christlichen Glaubens leben in der Liturgie fort.

Welche Schlüsse ziehen Sie theologisch aus Ihrer Sternbeobachtung?

Gerhard: Theologisch-philosophisch stellt sich mir die Frage: Wie kann ich meine Glaubenserfahrung auf der intellektuellen Ebene kommunizierbar machen? Ein Aspekt dabei beschäftigt mich immer wieder: Wir dürfen von Gott nicht zu klein glauben. Und wir dürfen vom Menschen nicht zu klein glauben. Nur weil der Kosmos so gross ist, heisst das nicht, dass der Mensch klein ist. Im Gegenteil: Wir Menschen erfassen ja erst etwas vom Kosmos. Einstein hat es schön ausgedrückt. Das Unverständlichste ist, dass wir überhaupt etwas vom Kosmos verstehen können.

Ihr Thema in Luzern die Spannung zwischen Astronomie und Theologie. Wo liegt diese Spannung?

Gerhard: Glaube und Wissenschaft sind nie Gegensätze gewesen. Zu Gegensätzen wurden sie erst im 19. Jahrhundert, als sich die Wissenschaft von weltanschaulichen und staatlichen Grenzen emanzipierte und sich als absolut unabhängig erklärte. Da hat man diesen Gegensatz konstruiert.

Die Spannung entstand also nicht beim Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit?

Gerhard: Die Vorstellung von einer flachen Erde wurde bereits im 6. Jahrhundert auch von christlichen Wissenschaftlern nicht mehr ernst genommen. Das heliozentrische Weltbild, das Galileo Galilei Anfang des 17. Jahrhundert vertrat, konnte er mit seinen Mitteln ja gar nicht beweisen, und er wusste selbst um diesen Schwachpunkt. Erst im 19. Jahrhundert wurde der Gegensatz Glaube gegen Wissenschaft konstruiert – als Teil der Wissenschaftsemanzipation. Dabei wurde Galilei quasi zum Wissenschaftsmärtyrer erhoben.

Gibt es heute noch Spannungen zwischen Theologie und Astronomie?

Gerhard: Ich nehme wenig Spannung wahr bei jenen, die sich redlich um Wissenschaft bemühen. Wer Erkenntnistheorie ernst nimmt, sagt: Ich habe meine Grenzen als Wissenschafter. Dabei muss sich jeder Astronom fragen: Was bedeutet das für mich als Menschen? Betreibe ich eine sinnlose Kunst? Oder hat diese Erkenntnis für mich ethische Konsequenzen?

Mein Wissen über Astrophysik zeigt, dass die Welt ein ausgezeichneter Ort im All ist.

Wie ist das für Sie?

Gerhard: Für mich zeigt mein Wissen über Astrophysik, dass die Welt ein ausgezeichneter Ort im All ist. Das hat ethische Konsequenzen bis in den Umweltschutz hinein.

Welche Konsequenzen?

Gerhard. Das bedeutet für mich, dass ich mich um diesen Ort kümmern muss, ihn pflegen muss. Dies im Sinn eines biblischen Auftrags, den Gott den Menschen gegeben hat – den die Kirche aber vielleicht nicht genug verständlich an den Mann und die Frau gebracht hat. Der biblische Begriff: Du sollst mit der Erde herrschen, ist sehr pfleglich. Er bedeutet nicht: Du kannst schalten und walten, wie du willst. Das tun wir heute aber.

Als Astronom sehe ich: Wir haben da ein Geschenk, das ist die Erde. Darum müssen wir uns sorgen. Wir müssen uns darum bemühen, sie an die nächsten Generationen weiter zu geben und sie nicht gänzlich zu verbrauchen wie ein Konsumobjekt.

Hinweis: Christoph Gerhard hält am Donnerstag, 30. November, 19 Uhr den Vortrag in der Sakristei der Jesuitenkirche Luzern: «Und sie bewegt sich doch. Über die Spannung zwischen Astrophysik und Theologie». Eintritt frei. Eine Veranstaltung der Citypastoral Luzern.

Christoph Gerhard, Benediktiner und Astronom | © zVg
28. November 2017 | 16:31
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