Annalena Müller
Kommentar

Die Weltsynode verkommt zur Mogelpackung

Die Welt jubelt: Frauen dürfen bei der Weltsynode in Rom mitbestimmen. Doch der Vatikan wirft den Gläubigen nur einen mageren Knochen zu. Denn die Bekanntgabe der Sitzverteilung ist nichts anderes als eine Zementierung des Klerikalismus. Ein Kommentar.

Annalena Müller

Am Mittwoch wurde bekannt: An der Weltsynode im Oktober werden auch Laien und Laiinnen teilnehmen. Das war zu erwarten. Denn: nicht einmal der Vatikan traut sich, aus der «Weltsynode zur Synodalität» eine reine Bischofssynode zu machen. Das wäre zu viel des klerikalen Irrsinns gewesen.

Unangebrachte Euphorie

Es überrascht also, dass die Medien die – völlig erwartbare – Bekanntmachung aus Rom geradezu euphorisch feiern: «Erstmals Frauenquote im Vatikan», schreibt «Vatican News». «Jetzt dürfen auch Frauen bei der Bischofsversammlung mitreden», heisst es bei «20 Minuten». Und auch der «Tages Anzeiger» stimmt mit ein: «Papst Franziskus gibt Frauen Stimmrecht bei Bischofssynode».

Synodale Versammlung im Grossen Saal des Klosters Einsiedeln am 30. Mai 2022.
Synodale Versammlung im Grossen Saal des Klosters Einsiedeln am 30. Mai 2022.

Diese Euphorie ist unangebracht. Denn die Beteiligung von Laien und Laiinnen im Oktober ist vor allem eins: eine Mogelpackung.

Laien und Laiinnen weiter ohne Einfluss

Ja, 50 Prozent der nichtgeweihten, stimmberechtigen Menschen werden Frauen sein. Ja, es werden gleich viele Ordensschwestern und -brüder teilnehmen. Trotzdem: weder Frauen noch die anderen nicht-geweihten Personen können die Synodenbeschlüsse beeinflussen.

80 der 370 Synodenteilnehmenden werden Nicht-Geweihte sein. 70 Personen aus den Ortskirchen und zehn aus klösterlichen Orden. In Prozent ausgedrückt: 21,6 Prozent der Stimmberechtigten sind keine Bischöfe. Umgekehrt heisst das: 78,4 Prozent sind es.

Kardinäle
Kardinäle

Fun Fact: Auf Bischofssynoden werden Beschlüsse mit Zweidrittelmehrheit gefällt. Also mit 66 Prozent der Stimmen.

Nicht einmal eine Sperrminorität

Formulieren wir es als Textaufgaben aus einem Mathe-Schulbuch: Wenn man 66 Prozent für einen Entscheid braucht. 78,4 Prozent der Beteiligten sind Bischöfe. 21,6 Prozent nicht. Was bedeutet das für die Beschlussfähigkeit der Bischöfe?

Die Antwort: Nichts. Denn die Laien und Laiinnen werden im Oktober nicht einmal über eine Sperrminorität verfügen.

Klerikalismus ist ein Produkt des 19. Jahrhunderts

Natürlich kann man jetzt einwenden: «Es ist ein erster Schritt.» Oder: «Der Einbezug von Laien und Laiinnen ist historisch.» Aber das stimmt nicht. Der Einbezug von Nicht-Geweihten in Kirchenreformen ist nicht neu. Im Gegenteil: der Klerikalismus ist, geschichtlich gesehen, neu. Er ist ein Produkt des 19. Jahrhunderts.

Die Allmacht der Kleriker ist ein Produkt des 19. Jahrhunderts
Die Allmacht der Kleriker ist ein Produkt des 19. Jahrhunderts

Selbst Frauen waren in der Vergangenheit an Reformprozessen beteiligt. Zugegebenermassen in zahlenmässig vernachlässigbarer Grösse. Aber gänzlich neu ist ihre Beteiligung dennoch nicht.

Vatikan wirft Gläubigen mageren Knochen zu

Ein wirkliches Zeichen Richtung Synodalität wäre ein 50/50-Verhältnis gewesen. Ein solches Verhältnis würde zu Dialog zwingen. Und es ist das Mindeste, das man von einer reformwilligen Kirche, einer «ecclesia semper reformanda», erwarten darf: Einen Dialog, in dem nicht von vornerein klar ist, wer ihn dominiert.

Und die Laien und Laiinnen, die sich seit gestern so freuen? Sie sollten sich fragen, ob wir so geschichtsvergessen sind zu glauben, dass eine blosse Anwesenheit schon ein Schritt zur Reform ist? Wie ausgehungert sind wir, dass wir uns über einen mageren Knochen freuen?


Annalena Müller | © Mattia Vacca
27. April 2023 | 15:00
Lesezeit: ca. 2 Min.
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