Peter von Matt, emeritierter Literaturprofessor
Schweiz

«Die Heiligsprechung Niklaus von Flües war ein Schock für die Reformierten»

Sarnen, 1.5.17 (kath.ch) Niklaus von Flüe wäre besser nicht heiliggesprochen worden, sagt Literaturwissenschaftler Peter von Matt. Warum wenige Sätze des Eremiten politisch grosse Wirkung haben konnten, erklärt der Festredner des Staatsakts zum Bruder Klaus-Jubiläum im Interview mit kath.ch.

Sylvia Stam

Ein Literaturwissenschaftler hält die Festrede am Staatsakt zum Geburtstag eines Heiligen. Warum haben Sie zugesagt?

Peter von Matt: Es hat mich aus historischen Gründen interessiert und auch deshalb, weil ich aus der Innerschweiz komme. Ich habe als Zehnjähriger erlebt, wie Bruder Klaus heiliggesprochen wurde. Das war eine grosse Geschichte! Heute bin ich nicht mehr überzeugt, dass das so gut war.

Warum nicht?

Von Matt: Das war ein Schock für die Reformierten. Für sie war Niklaus von Flüe eine wichtige Figur, weil er die Glaubenstrennung überbrückt hat. Sie haben immer in den höchsten Tönen von ihm gesprochen. Durch die Heiligsprechung hatten die Reformierten das Gefühl, jetzt gehöre er den Katholiken.

Die Katholiken hatten ihn also vereinnahmt.

Von Matt: Ein Stück weit war das so. Die Katholiken waren natürlich begeistert, dass er endlich heilig war, und für seine weitere Wirkung war das schon von Bedeutung. Ich hätte es dennoch lieber gesehen, wenn er diese Brückenfunktion behalten hätte.

Wie war es möglich, dass wenige Sätze von Bruder Klaus – Sie haben drei davon zitiert – eine solche Wirkung auf die Politik der Eidgenossen hatten?

Von Matt: Die überlieferten Sätze sind von einer extremen Kargheit. Sie zeigen durch ihre Einfachheit, was für eine Wirkung diese Person hatte. Die Einfachheit der überlieferten Aussagen ist eigentlich der Beweis der immensen Wirkung seiner Person.

Festredner Peter von Matt | © Vera Rüttimann

Sie haben vor allem den Satz erläutert, die Eidgenossen sollten einander gehorsam sein. Sie deuten dies aber nicht als Aufruf zum Untertanentum.

Von Matt: Wenn er Gehorsam sagt, hat das die ursprüngliche Bedeutung, die auf «horchen» zurückgeht. Gehorsam sein ist eigentlich Kommunikation: aufeinander hören und miteinander kommunizieren, statt einfach drauf los zu schlagen. Aufeinander hören ist die Voraussetzung zum Frieden.

Sie haben Niklaus von Flüe ausserdem mit den Gestalten der Seher verglichen.

Von Matt: Es ist auffällig, dass die Art, wie er wirkte, manchen Figuren sehr nahe ist, die man aus der griechischen Literatur und aus der Bibel kennt: Zurückgezogene Weise, zu denen man hingeht oder die man holt, wenn Not und Unsicherheit herrschen – und die dann Rat geben, was zu tun ist. Solche Seher werden oftmals auch mit Politikern konfrontiert.

Sie haben Bücher verfasst über Treulose in der Literatur oder über Familiendesaster. Würde Niklaus von Flüe da auch hineinpassen? Er hat schliesslich seine Frau und zehn Kinder verlassen.

Von Matt: (entschieden) Nein, das war kein Familiendesaster! Mit seinen 50 Jahren wurde er ein Problem für die Söhne. Die wollten den Betrieb übernehmen und selber wirtschaften, das konnten sie schliesslich. Mit 20 war ein Junge damals ein fertiger Mann und mit 50 ging es bereits wieder bergab.

Aber seine Frau blieb alleine zurück.

Von Matt: Man kann das unterschiedlich sehen und sagen, er habe seine Frau verlassen. Aber diese Frau hatte ein Arbeitsleben hinter sich und wusste, wie man einen solchen Betrieb führt. Dazu hatte sie ja auch genügend Mädchen und Buben im Haus.

Was haben Sie selber für einen Bezug zu Niklaus von Flüe?

Von Matt: Mich interessiert er heute historisch und geistesgeschichtlich: als ein Laie, der ohne Anleitung eine fromme Existenz führt. Ohne Seelsorger im Hintergrund führte er eine betrachtende, mönchische Existenz. Er machte das alleine, so, wie er das wollte. Das finde ich hochinteressant. Es ist ausserdem sehr bezeichnend für jene Zeit, nämlich die Vorphase der Reformation.

Peter von Matt wuchs in Stans (NW) auf. Er war von 1976 bis 2002 Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Zürich. Er hielt am Staatsakt vom 30. April in Sarnen (OW) zum 600. Geburtstag von Niklaus von Flüe die Festrede.

Die Rede von Peter von Matt im Wortlaut.

Peter von Matt, emeritierter Literaturprofessor | © Vera Rüttimann
1. Mai 2017 | 10:23
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