Regisseurin Léa Pool
Schweiz

Frauen im Gefängnis: «Der Preis, den sie zahlen, ist zu hoch»

Zürich, 13.4.17 (kath.ch) Die schweizerisch-kanadische Regisseurin Léa Pool zeichnet in ihrem Dokumentarfilm «Double peine» (»Doppeltes Leid») die Schicksale von inhaftierten Müttern und ihren Kindern, die verlassen zurückbleiben, nach. Die vier Geschichten berühren insofern, da die Thematik lange Zeit ein Schattendasein fristete. Im Interview erklärt Pool, warum dies so ist, was sie selbst daran interessiert hat und wie den Müttern und Kindern geholfen werden kann.

Sarah Stutte*

Was hat sie an diesem Thema gereizt?

Es ist eine lange Geschichte. Als Studentin machte ich eine ähnliche Dokumentation über Mädchen, die in einer Art Gefängnis sind. Der Titel war «C’est pour ton bien» (»Das geschieht zu deinem Wohl»). Das Thema schwirrte mir also schon länger im Kopf herum. Auch, weil ich in allen meinen Filmen immer Frauen und Kinder in den Fokus rücke. Bei meinen Recherchen fand ich zwar keine offiziellen Zahlen darüber, wie viele der inhaftierten Frauen in internationalen Gefängnissen Mütter sind, doch nach eigenen Studien schätzte ich die Zahl auf ungefähr 80 Prozent. Mir wurde bewusst, dass niemand über diese Problematik redet und es erstaunte mich.

Was sind die Gründe dafür?

Es hat viel damit zu tun, dass die Mütter sich schämen und die Kinder versteckt leben, weil sie sich auch schämen. Niemand ist also wirklich interessiert daran, ein bisschen tiefer zu graben.

Kinder von inhaftierten Elternteilen haben Rechte. Im Film werden diese sogar genannt. Warum setzen so wenige Staaten diese Rechte um?

Ich weiss es nicht. Die Kinder sind Opfer des Systems. Wenn eine Mutter ins Gefängnis geht, wird das Kind auch bestraft. Geht ein Mann ins Gefängnis und die Mutter ist immer noch Zuhause, ist die Familie nicht komplett zerstört. Die Kinder können trotzdem jedes Wochenende den Vater besuchen und so den Kontakt zu ihm halten. Ich sage nicht, dass es einfach ist, wenn der Vater eine Gefängnisstrafe verbüsst, aber es ist eine andere Situation.

Wenn eine Mutter ins Gefängnis geht, wird das Kind auch bestraft.

Viele der Frauen sind alleinerziehend und kein nächster Verwandter kann sich um die Kinder kümmern. Oft sind die Frauengefängnisse auch sehr weit weg vom Aufenthaltsort der Kinder. Die Distanz ist gross. Für eine Mutter ist es eine schwierige Situation, wenn sie von ihren Kindern getrennt ist. Mich hat diese Form von Ungerechtigkeit betroffen gemacht. Auch, dass bisher nicht gross über die Konsequenzen dieser Praxis nachgedacht wurde.

Wie wirkt sich das auf die Entwicklung eines Kindes aus? Besteht die Gefahr, dass diese Kinder später auch in die Kriminalität abrutschen?

Für einige Kinder schon. Sie sind gefährdet, weil sich weder Familienangehörige noch Behörden um die Kinder kümmern und es nicht genug NGO (Nicht-Regierungs-Organisationen) gibt. Diese Kinder landen auf der Strasse, wenn die Mutter ins Gefängnis muss. Man muss sich auch bewusst sein, dass sie alles mit sich ausmachen. Sie wachsen mit dieser Schuld und Wut auf und haben keine Möglichkeit, ihre Gefühle zu zeigen.

Dabei ist dies der halbe Weg der Heilung. Doch diese Gefahr besteht nicht nur in Bolivien oder Nepal – das kann genauso in den USA passieren. Es gibt jedoch Hoffnung. Im Film stelle ich diese Orte vor, die Lösungen für solche Kinder anbieten. Das sind zwar kleine Silberstreifen am Horizont, aber sie sind immerhin da.

Sie zeigen im Film Beispiele aus Nepal, Kanada, den USA und Bolivien. Warum haben Sie diese Länder in den Fokus gerückt?

In Europa gibt es nicht so viele Frauen in Gefängnissen, wie in den Staaten, in Südamerika oder Asien. Deshalb habe ich mich auf diese Länder fokussiert. Weil die Menschen dort so arm sind, dass sie Dinge tun, die sie nicht tun sollten, nur um ihre Kinder zu ernähren. Wir wollten am Anfang auch ein Beispiel aus der Schweiz zeigen, doch es war zu schwierig. Ausserdem fanden wir keine Frau, die sich dazu äussern wollte.

Wir fanden in der Schweiz keine Frau, die sich äussern wollte.

Es ist ein kleines Land, die Frauen hatten Angst, erkannt zu werden. Und man darf im Schweizer Fernsehen keine Kinder zeigen, ohne ihr Gesicht zu verfremden. Das wollte ich nicht. Warum soll man die Kinder mit einem schwarzen Balken über den Augen anonymisieren, wenn sie nichts getan haben? Damit kriminalisiert man sie nur nochmals. Deshalb nahmen wir ein Beispiel aus Québec, weil wir dachten, das ist nicht so weit weg von der europäischen Kultur.

Was muss sich Ihrer Meinung nach ändern? Was brauchen diese Kinder an Unterstützung?

Man muss sich der Situation mehr bewusst werden und Lösungen finden. Auch, wenn es nicht einfach ist. Jeder Fall ist anders. Eine inhaftierte Mutter kann gefährlich sein, aber normalerweise sind die Mütter mehr Opfer als Täterinnen. Und dafür ist der Preis, den sie zahlen müssen, zu hoch. Zu hoffen ist, dass die jeweiligen Rechtssysteme sich des Problems bewusster werden. Statt 15-jährigen Haftstrafen könnte beispielsweise auch gemeinnützige Arbeit verhängt werden. So könnten die Mütter ihre Kinder trotzdem sehen.

Überhaupt muss dafür gesorgt werden, dass die Kinder ihre Mütter oft sehen können. Sie berühren und umarmen können. Behörden und NGO könnten helfen, mehr Besuche zu organisieren, Busse zur Verfügung zu stellen. Zudem müssen die Kinder psychologisch betreut werden. Sie benötigen einen Platz, wo sie ihre Gefühle zeigen und mit jemandem reden können. Mein Ziel war es, den Blick zu öffnen. Zum Nachdenken anzuregen. Mehr kann ich nicht tun. Ich hoffe, die Menschen diskutieren darüber.

Mehr zum Film «Double peine»; Filmstart ist am 13. April.

Offizieller Trailer mit deutschen Untertiteln des Films «Double Peine».

*Sarah Stutte ist Filmjournalistin und schreibt unter anderem Filmtipps für www.medientipp.ch

Regisseurin Léa Pool | © Filmcoopi
13. April 2017 | 08:27
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