Domherr Tarcisi Venzin gab gern auf Rätoromanisch Auskunft.
Schweiz

«Ich freue mich auf ein Wiedersehen im Himmel!»: Das Bistum Chur trauert um Domherrn Tarcisi Venzin

Der Churer Domherr Tarcisi Venzin ist am Montag im Alter von 87 Jahren gestorben. Er diente 60 Jahre als Priester des Bistums Chur und blieb bis zuletzt aufgeschlossen, humorvoll – und ein Kirchenmann in der Welt von heute.

Raphael Rauch

Wäre Tarcisi Venzin nicht in der Surselva geboren worden, sondern in Italien – er hätte das Zeug zu einem Don Camillo gehabt. Aufgeschlossen, humorvoll – und ein Kirchenmann in der Welt von heute: So beschreiben ihn Weggefährten.

«Am Morgen schwänzten wir das Morgengebet»

Manche Priester fühlen sich nur unter Klerikern wohl. Tarcisi Venzin hatte keine Berührungsängste – auch nicht bei jungen Frauen. Die Theologin Monika Schmid erinnert sich an einen Dekanatskurs in Chur. Alle waren in den Gästezimmern des Priesterseminars untergebracht – nur Tarcisi Venzin, Monika Schmid und zwei andere wurden ins Hotel Marsöl einquartiert.

Monika Schmid
Monika Schmid

«Tarcisi besorgte Wein, Brot und Käse und er lud uns zu gemütlichen Abenden in sein Zimmer ein. Er erzählte Anekdoten und führte mich mit meinen 28 Jahren ins Geschehen des Bistums Chur ein», erinnert sich Monika Schmid. «Es war sauglatt. Am Morgen schwänzten wir das Morgengebet – es war etwas spät geworden. Da hatte Tarcisi keine Skrupel.»

Mitglied im Lions-Club

Tarcisi Venzin steht für das, was Joseph Bonnemain seit seiner Bischofsweihe am 19. März predigt: «Der Mensch ist der Weg der Kirche.» Und: «Uscire», hinausgehen zu den Menschen.

Tarcisi Venzin telefoniert vor den Medien.
Tarcisi Venzin telefoniert vor den Medien.

Für Tarcisi Venzin bedeutete das, sich nicht im klerikalen Dreieck von Ministranten, Kirchenchor und Seniorennachmittag zu bewegen, sondern auch im örtlichen Lions-Club vorbei zu schauen. Er wollte wissen, was Ärzte, Anwälte und Unternehmer beschäftigte.

«Ich bin Priester und verzichte auf 100 Frauen»

Wer Humor hat, läuft nicht Gefahr, verklemmt zu sein. Bistumssprecher Arnold Landtwing erinnert sich gut daran, wie Tarcisi Venzin den Unterschied zwischen Ehe und Zölibat erklärte: «Du bist verheiratet. Du verzichtest auf 99 Frauen. Ich bin Priester und verzichte auf 100 Frauen.»

Arnold Landtwing
Arnold Landtwing

Tarcisi Venzins Weggefährten erinnern sich an Sätze von ihm à la: «Wer kein guter Vater geworden wäre, ist auch als Priester am falschen Ort.» Entsprechend kritisch sah er den Kurs der Bischöfe Wolfgang Haas und Vitus Huonder. Sie weihten auch Seminaristen zu Priestern, die andernorts abgelehnt wurden.

«Tauch-Christen»: Sauerstoff fürs Kirchenvolk

Auch ein beliebter Pfarrer wie Tarcisi Venzin konnte die Säkularisierung nicht aufhalten. Doch statt in Kulturpessimismus zu verfallen, betonte er das Positive und sprach von «Tauch-Christen». Christen würden wie Walfische abtauchen – doch zu Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen würden sie wieder auftauchen und in die Kirche kommen. «Wir sind verantwortlich, dass die Menschen genügend Sauerstoff bekommen für den nächsten Tauchgang.» Diese pastorale Devise ist aktueller denn je.

Wie beliebt Tarcisi Venzin war, zeigt sich in einer Festschrift zu seinem Abschied. 2004 zog er von Zürich zurück nach Graubünden. «Du hast zuhören können, wenn es drauf ankam, du hast aber auch im richtigen Moment weggehört», schrieb der damalige Vikar Martin Müller.

Ein Freund der Ökumene

Wenn die oberste Reformierte Rita Famos bedauert, dass die Ökumene in den 1990er-Jahren weiter war als heute, hat sie vielleicht auch Menschen wie Tarcisi Venzin im Blick. Für ihn war die eucharistische Gastfreundschaft das Normalste der Welt.

«Die ökumenischen Spuren und Signale, die du uns hier zurücklässt, sollen lebendig bleiben, weiterwachsen, so wie schöne, kräftige Bäume», schrieb der reformierte Pfarrer Ruedi Binkert zu seinem Abschied. Und der reformierte Pfarrer Georg Habegger schrieb ein Abschiedsgedicht, das Heilsversprechen und Humor elegant verknüpfte.

«Öppis Verruckts mache»

«Me muess mal au öppis Verruckts mache»: Auch dieser Satz von Tarcisi Venzin ist vielen in Erinnerung geblieben. Einer, der aus der Surselva stammte, Rätoromanisch sprach und vor dem II. Vatikanischen Konzil zum Priester geweiht worden ist, avancierte 1999 zu den aufgeschlossensten Domherren.

Die Kathedrale in Chur.
Die Kathedrale in Chur.

Schon früh hatte Tarcisi Venzin eine Glatze. Bischof Caminada konnte ihm zur Priesterweihe kein Haar abschneiden. Stattdessen klopfte er ihm mit der Schere auf den Kopf.

Brief an Papst Franziskus

Wenn man einen Brief von Tarcisi Venzin an Papst Franziskus liest, spürt man den Atem der Freiheit, den der Verstorbene bis zuletzt ein- und ausgeatmet hat. Tarcisi Venzin wollte einen frischen Wind für seine geliebte Kirche. So wie er sich über den neuen Papst aus Buenos Aires freute, so freute er sich auch über den neuen Bischof aus Barcelona.

Franz Stampfli im März 2021.
Franz Stampfli im März 2021.

Ein Weggefährte von Tarcisi Venzin ist Domherr Franz Stampfli. «Wir haben zusammen in Innsbruck studiert.» Venzin gehörte zu dem Lager im Domkapitel, das im November einen Bischof aus der Dreierliste des Papstes wählen wollte. Stattdessen blockierte eine Mehrheit des Domkapitels die Wahl. «Am Ende kam aber doch eine gute Lösung», sagt Stampfli.

«Jung musst du sterben, wenn du Leute an deiner Beerdigung willst»

Joseph Bonnemains Wirken als Bischof wird Tarcisi Venzin nicht mehr erleben. «Jung musst du sterben, wenn du Leute an deiner Beerdigung willst», scherzte Tarcisi Venzin früher. Zu seiner Beerdigung am Freitag dürfen coronabedingt maximal 50 Menschen kommen. Doch das Gedenken wird später im grösseren Kreis nachgeholt.

Joseph Maria Bonnemain, Bischof von Chur
Joseph Maria Bonnemain, Bischof von Chur

Als im August 2020 der Priester Karl Muoser starb, schrieb Tarcisi Venzin über seinen Mitbruder: «Jetzt (in dieser Zeit der Coronapandemie) ist das Leben nicht mehr schön. Ich freue mich auf ein Wiedersehen mit dir… im Himmel!» Drei Tage vor Himmelfahrt hat Tarcisi Venzin seine Reise gen Himmel angetreten.

Am Freitag, 14. Mai 2021, ist um 16.00 Uhr die Beisetzung auf dem Friedhof der Kirche St. Bistgaun in Dardin GR. Anschliessend ist um 17.00 Uhr ein Beerdigungsgottesdienst in der Kirche Assumziun da Maria in Breil/Brigels GR. Weitere Informationen gibt es hier.


Domherr Tarcisi Venzin gab gern auf Rätoromanisch Auskunft. | © Manuela Matt
11. Mai 2021 | 15:24
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