Peter Kohlgraf ist Bischof von Mainz.
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Bischof Peter Kohlgraf: Der Streit mit Kardinal Kurt Koch ist nicht beendet

Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf möchte Schweizer Errungenschaften in seinem Bistum diskutieren – etwa, dass auch Nicht-Geweihte taufen und trauen dürfen. Er widerspricht Kurienkardinal Kurt Koch: Der Synodale Weg paktiere nicht mit dem Zeitgeist. Wer Zeitgeist suche, habe sich längst von der Kirche abgewandt.

Jacqueline Straub

Haben Sie einen Bezug zur Schweiz?

Bischof Peter Kohlgraf*: Seit fast 30 Jahren fahre ich regelmässig in ein Schweizer Kloster. Das erste Mal war ich dort mit einer Jugendgruppe. Ich geniesse es dort sehr, denn ich bin fast immer allein.

In welchem Schweizer Kloster kann man Sie antreffen?

Kohlgraf: Ich verrate es Ihnen nur, wenn Sie es nicht veröffentlichen. Es ist ein Geheimtipp.

«Die Kirche in der Schweiz ist teilweise polarisierter als in Deutschland.»

Was schätzen Sie an der Kirche in der Schweiz?

Kohlgraf: Die Schweizer haben eine Kultur, die in Vielem dem ähnelt, was uns Deutsche bewegt. Aber auf der politischen Ebene stehen sie vor anderen Fragen, etwa was die Finanzierung der Kirche betrifft. So ganz durchschaue ich das Schweizer Kirchensystem nicht immer. Mir scheint es aber, dass die Kirche in der Schweiz teilweise gespaltener oder polarisierter ist als in Deutschland.

Bischof Peter Kohlgraf (Mitte) beim Katholischen Medienkongress in Bonn.
Bischof Peter Kohlgraf (Mitte) beim Katholischen Medienkongress in Bonn.

In Teilen der Schweiz können Nicht-Geweihte predigen, trauen und taufen. Können Sie sich das für Ihr Bistum vorstellen?

Kohlgraf: Mit diesen Themen beschäftigen wir uns auch in der Deutschen Bischofskonferenz. In meinem Bistum werden wir bald über andere Modelle der Gemeindeleitung nachdenken. Im Moment sind wir in einer Übergangsphase und noch sehr klassisch aufgestellt: Der Pfarrer leitet das Pastoralteam. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir das in fünf oder zehn Jahren in dieser Grössenordnung noch machen können. Eine weitere Strukturreform wird es in meinem Bistum nicht geben. Ich denke, dass wir über andere Leitungs- und Verkündigungsmodelle und auch andere Gottesdienstmodelle sprechen werden. Dabei werde ich auch schauen, was in der Schweiz gemacht wird.

«Ich kann froh sein, wenn noch jemand was von der Kirche will.»

Kürzlich haben Sie eine queersensible Pastoral in Ihrem Bistum eingeführt. Das wurde als Neuheit gefeiert.

Kohlgraf: Das ist doch kein grosser Akt.

Warum nicht?

Kohlgraf: Warum soll es keine Begleitung und keine politische Stimme geben, für jene, die es betrifft? Menschen sind auf mich als Bischof zugekommen und haben gesagt: Wir sind betroffen und wir bitten Sie, für uns eine Stimme zu sein. Ich kann doch froh sein, wenn heute noch jemand was von der Kirche will.

Es gab nicht nur positive Reaktionen.

Kohlgraf: Schnell wurde gesagt, dass wir jetzt dem Zeitgeist hinterherhecheln. Wer Zeitgeist will, der geht nicht zum Bischof und fragt: «Denk mal darüber nach, wie du mit uns umgehst.» Es geht nicht um Zeitgeist. Sünde wird immer fokussiert auf das sexuelle Element. Doch: Sexualität hat mehrere Dimensionen und Homosexualität ist keine Sünde.

Peter Kohlgraf, Bischof von Mainz, im Gespräch bei einer Demonstration der kirchlichen Protestinitiative Maria 2.0., 2021
Peter Kohlgraf, Bischof von Mainz, im Gespräch bei einer Demonstration der kirchlichen Protestinitiative Maria 2.0., 2021

Wie haben Sie auf die negativen Rückmeldungen reagiert?

Kohlgraf: Auf ganz unflätige Reaktionen gar nicht. Es gibt bestimmte Gruppen in der Kirche, die gar nicht so gross sind – aber sehr laut. Wenn ich mich als Bischof dann positioniere, wird das Thema plötzlich zur Kernfrage ihres Katholischseins. Ich bekomme Briefe, in denen mir Menschen vorwerfen, dass ich nicht mehr katholisch sei oder die kirchliche Lehre vergessen hätte. Sie behaupten, dass ich die wahre Lehre vertreten solle, und erinnern mich an meinen Bischofseid.

Was macht das mit Ihnen?

Kohlgraf: Das ärgert mich. Ich würde diesen Menschen gerne erklären, was ich unter apostolischer Lehre verstehe. Der Kern der apostolischen Lehre muss sich heute in einem anderen Umgang mit den Menschen zeigen.

«Es ist manchmal befreiend, die Positionen zu benennen.»

Kardinal Kurt Koch hat den deutschen Bischöfen kürzlich vorgeworfen, sich mit dem Zeitgeist gemein zu machen. Er hat den Synodalen Weg sogar mit den Deutschen Christen verglichen, also mit christlichen Nazis. Ist der Streit zwischen ihm und der Deutschen Bischofskonferenz behoben?

Kohlgraf: In einigen Tagen sind wir beim Ad-limina-Besuch in Rom. Die unterschiedlichen Positionen sind auf dem Tisch. Aber es ist manchmal auch befreiend, die Positionen zu benennen. Konflikte wird es immer geben. Insofern ist der Streit nicht beendet.

Georg Bätzing und Kurt Koch bei der Ökumenischen Vollversammlung in Karlsruhe, 2022.
Georg Bätzing und Kurt Koch bei der Ökumenischen Vollversammlung in Karlsruhe, 2022.

Ich denke, jetzt geht es erst mal um die Kommunikation in die Weltkirche. Damit meine ich nicht nur die Kurie. Wir müssen auch den afrikanischen Bischöfen erklären, was wir machen. Denn die ticken in gewissen Thematiken komplett anders. Dennoch zeigen die Arbeitspapiere zur Weltsynode, dass die Themen in der Weltkirche die gleichen sind – nur teilweise mit unterschiedlicher Gewichtung.

Beim Synodalen Weg wurde das Grundsatzpapier, das eine Änderung der kirchlichen Sexualmoral forderte, abgelehnt. Wie stehen Sie dazu?

Kohlgraf: Hätten wir Bischöfe vorher miteinander anders kommuniziert, wäre es sicherlich zu einem anderen Ergebnis gekommen. Ich habe mir gesagt: Wenn ich jetzt den Text ablehne, sende ich als Bischof das Signal, dass ich nicht mehr darüber sprechen möchte. Das Signal kann ich nicht senden.

«Ich rede anders, wenn ich mir klar mache, dass es um konkrete Menschen geht.»

Was meinen Sie mit «anders kommunizieren»?

Kohlgraf: Die ganz starken Erfahrungen beim Synodalen Weg kamen aus der Arbeit in Kleingruppen. Da habe ich gelernt, dass ich über theoretische Sachverhalte völlig anders rede und denke, wenn ich mir klar mache, dass es um konkrete Menschen geht. Das hat viel verändert. Bei der letzten Versammlung in Frankfurt wurde ja am Donnerstagabend das Grundsatzpapier zur Änderung der kirchlichen Sexualmoral abgelehnt. An den Reaktionen hat man gesehen, was das für tiefverletzte Reaktionen hervorruft.

Ein queerer Katholik hat von einem Zusammenbruch berichtet.

Kohlgraf: Wir haben nicht über theoretische Moraltheologie abgestimmt, sondern Menschen haben das so empfunden, dass wir über ihr Leben abgestimmt haben – und sie als negativ befunden wurden. Wenn Menschen sich persönlich sehr verletzt fühlten, kann ich nicht sagen: «Stell dich nicht so an, wir haben über Texte gesprochen und nicht über dich.» Natürlich geht es immer auch um konkrete Menschen.

Die Ordensfrau Daisy Panikulam Sabs und der Weihbischof in Trier, Jörg Michael Peters, im Gespräch.
Die Ordensfrau Daisy Panikulam Sabs und der Weihbischof in Trier, Jörg Michael Peters, im Gespräch.

Sie wollen das kirchliche Arbeitsrecht reformieren. Wie schwierig wird es sein, in der Bischofskonferenz dafür eine Mehrheit zu erhalten, nachdem der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick zurückgetreten ist?

Kohlgraf: Ich glaube, dass die Mehrheit zustande kommt.

Was ist Ihnen besonders wichtig?

Kohlgraf: Wir müssen klar definieren, was für uns katholisch ist. Das kann eben nicht mehr die Sexualität sein. Dennoch können wir nicht einfach sagen: Was in den vier Wänden geschieht, ist privat. Mir ist das Privatleben meiner pastoralen Mitarbeitenden nicht komplett egal. Damit meine ich nicht die sexuelle Orientierung. Sondern das Verhalten. Wenn etwa ein Familienvater seine Kinder und Frau schlägt, ist mir das nicht egal.

«Wichtig ist zu verstehen, dass unsere konfessionelle Kultur eine völlig andere ist.»

Kardinal Karl Lehmann hat Sie zum Bischof geweiht. Lehmann war ein grosser Freund des Rates der europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) in St. Gallen und öfter bei Bischof Ivo Fürer zu Gast. Warum hat der CCEE an Bedeutung verloren?

Kohlgraf: Vielleicht, weil der europäische Gedanke insgesamt ein wenig angekratzt ist. Man sieht das ja auch, wie bestimmte Bischofskonferenzen nach Deutschland blicken. Da ist es wichtig, immer wieder zu betonen: Wir sind katholisch und wir bleiben es auch. Vor einigen Monaten sprach ich mit einem Bischof aus Peru. Er meinte, wir könnten doch keine Ökumene mit der evangelischen Kirche machen. Ich fragte ihn, was er unter evangelischer Kirche verstehe. Er sprach von ganz kleinen, evangelikalen, antikatholischen Gruppen. Das ist für ihn evangelische Kirche. Wichtig ist zu verstehen, dass unsere konfessionelle Kultur eine völlig andere ist.

Dominikus Schwaderlapp ist Weihbischof in Köln.
Dominikus Schwaderlapp ist Weihbischof in Köln.

Sie waren im gleichen Weihejahrgang wie der Kölner Weihbischof Dominikus Schwaderlapp. Er vertritt eine komplett andere Position als Sie. Belastet das Ihre Freundschaft?

Kohlgraf: Das beeinträchtigt unsere Freundschaft gar nicht. Wir diskutieren und merken aber auch, dass wir bei manchen Themen keinen Konsens finden. Das muss man aushalten können.

«Mainz ist jetzt mein Bistum, da fühle ich mich wohl.»

Kardinal Joachim Meisner hat Sie zum Priester geweiht. Er gilt als Hardliner.

Kohlgraf: Ich stamme aus Köln. Ich wäre gar nicht auf die Idee gekommen, das Bistum zu wechseln.

Sollte Papst Franziskus Woelkis Rücktritt doch noch annehmen: Wäre das Erzbistums Köln was für Sie?

Kohlgraf: Nein. Mainz ist jetzt mein Bistum, da fühle ich mich wohl.

* Peter Kohlgraf (55) stammt aus Köln und ist seit 2017 Bischof von Mainz.


Peter Kohlgraf ist Bischof von Mainz. | © Jacqueline Straub
3. November 2022 | 14:10
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