Leonardo Ulrich Steiner
Theologie konkret

Amazonas-Kardinal in spe: «Wir dürfen den Menschen das sakramentale Leben nicht vorenthalten»

Der Erzbischof von Manaus wird nächste Woche Kardinal. Leonardo Ulrich Steiner (71) wünscht sich Reformen in der Kirche: «Wie können wir es verantworten, dass unsere Gemeinden nur zwei Mal im Jahr Eucharistie feiern können?»

Raphael Rauch

Wie haben Sie von Ihrer Ernennung zum Kardinal erfahren?

Leonardo Ulrich Steiner*: Wir drei Bischöfe wohnen im selben Haus. Der Weihbischof, Dom Tadeu Canavarros, traf mich am frühen Sonntagmorgen und sagte: «Herzlichen Glückwunsch!» Ich fragte: «Warum Glückwunsch?» Und er meinte: «Du bist zum Kardinal ernannt worden.» Ich dachte, es sei ein Scherz. Die Nachricht hat sich dann schnell verbreitet und die Menschen in der Diözese haben sich sehr gefreut.

Engagement beim Klimagipfel 2015 in Paris: Der damalige französische Präsident Hollande (links) mit Bischof Steiner (zweiter von rechts).
Engagement beim Klimagipfel 2015 in Paris: Der damalige französische Präsident Hollande (links) mit Bischof Steiner (zweiter von rechts).

Welches Zeichen setzt Papst Franziskus, wenn er einen Bischof aus dem Amazonasgebiet zum Kardinal ernennt?

Steiner: Papst Franziskus hat bei verschiedenen Gelegenheiten seine Verbundenheit mit der Kirche in Amazonien und mit der gesamten Amazonas-Realität gezeigt. Die Synode, sein Schreiben «Querida Amazonia» und seine Telefonate während der Pandemie waren Zeichen seiner Väterlichkeit als Bischof von Rom. Vielleicht ist meine Ernennung ein Signal dafür, dass Papst Franziskus die Träume von «Querida Amazonia» Wirklichkeit werden lassen will. Und dass sie das Handeln und die Präsenz der Kirche in der Region leiten.

Papst Franziskus mit brasilianischem Federschmuck.
Papst Franziskus mit brasilianischem Federschmuck.

Welche sozialen Themen liegen Ihnen besonders am Herzen?

Steiner: Wie bewohnen wir den Amazonas und pflegen ihn als unsere gemeinsame Heimat? Indigene Völker und Flussgemeinschaften werden ständig angegriffen und ihrer Kultur, ihrer Religiosität und ihres Landes beraubt. Die Umwelt wird durch Abholzung, Bergbau und Raubfischerei zerstört. Die Flüsse sind durch Quecksilber und die fehlende sanitäre Grundversorgung in den Städten verschmutzt. In den Aussenbezirken der Städte gibt es keine Gesundheits- und Freizeiteinrichtungen. Die Gewalt ist auf dem Vormarsch. Der Tod des Journalisten Dom Phillips und des Indigenenforschers Bruno Pereira stehen für die zunehmende Gewalt. Es mangelt am Einsatz der Politik für die Menschen. Es ist unerhört, dass Hunger, informelle Arbeit und die Zahl der Brüder und Schwestern zunehmen, die auf der Strasse leben.

So bedroht wie nie zuvor: Luftaufnahme des Amazonasregenwaldes, rund 400 Kilometer südlich von Manaus.
So bedroht wie nie zuvor: Luftaufnahme des Amazonasregenwaldes, rund 400 Kilometer südlich von Manaus.

Papst Franziskus hat kurz vor der Corona-Pandemie «Querida Amazonia» veröffentlicht. Was hat sich seither getan?

Steiner: «Querida Amazonia» zeigt uns eine bestimmte Hermeneutik. Vier Visionen sind miteinander verbunden: die soziale, die kulturelle, die ökologische und die kirchliche Version. Sie zeigen uns den Weg des evangelisierenden Handelns, das auf die Gesamtheit des Lebens ausgerichtet ist. Gefragt ist eine kirchliche Präsenz, die alle Dimensionen berücksichtigt und versucht, sie zu verändern. Wir haben letzten Juni auf der Versammlung der katholischen Kirche in Amazonien in Santarem einen Text verabschiedet. Darin heisst es: Es geht um eine verkörperte und befreiende Kirche.

Indigene zu Beginn der Amazonas-Bischofssynode im Vatikan, Oktober 2019.
Indigene zu Beginn der Amazonas-Bischofssynode im Vatikan, Oktober 2019.

Sind Sie enttäuscht, dass Franziskus die «viri probati» nicht zugelassen hat?

Steiner: Es wird einen Weg geben. Im lateinischen Ritus gibt es jahrhundertelange Überlegungen und Erklärungen, die den Pflichtzölibat begründen sollen. Die Bedürfnisse unserer Gemeinschaften zeigen, dass wir den Dialog fortsetzen müssen. Wie können wir es verantworten, dass unsere Gemeinden nur zwei Mal im Jahr von einem Priester besucht werden und Eucharistie, das Sakrament der Busse und die Krankensalbung feiern können? Die verschiedenen nicht-ordinierten Ämter werden von Laien, Frauen und Männern, ausgeübt. Sie beleben die Gemeinschaften. Wir dürfen den Menschen das sakramentale Leben nicht vorenthalten.

Das Schlussdokument zur Amazonassynode
Das Schlussdokument zur Amazonassynode

Was werden Sie Papst Franziskus bei nächster Gelegenheit sagen?

Steiner: Wir sind sehr dankbar für sein Amt und für sein Lehramt. Er zeigt, dass die Barmherzigkeit das Wesen der Kirche ausmacht. Unsere Gemeinden bemühen sich, ihren Glauben zu vertiefen. Ich werden den Papst bitten, unsere Präsenz in Amazonien zu segnen.

Bischof Leonardo Ulrich Steiner bei einem Gottesdienst in Rio.
Bischof Leonardo Ulrich Steiner bei einem Gottesdienst in Rio.

Was können wir in Europa für die Menschen in der Amazonasregion tun?

Steiner: Allein die Tatsache, dass wir Schwestern und Brüder haben, die uns begleiten, ist schon eine grosse Unterstützung. Mehrere unserer Teilkirchen leiden unter einem Mangel an Ressourcen. Aber Solidarität bedeutet auch, die gleiche Wellenlänge zu haben, damit das gemeinsame Haus gepflegt und kultiviert werden kann. Die Solidarität mit den Armen ist eine Kraft, die Raum und Zeit überwindet.

Zwei junge Frauen der Gemeinschaft der Rikebaktsa, Brasilien.
Zwei junge Frauen der Gemeinschaft der Rikebaktsa, Brasilien.

Welche Verbindungen hat Ihre Familie nach Deutschland? 

Steiner: Ich wurde in einer kleinen deutschstämmigen Gemeinde in Forquilhinha im Bundesstaat Santa Catarina geboren. Meine Vorfahren stammen aus Niederbreitbach in Waldbreitbach, also bei Neuwied in Rheinland-Pfalz. Die Familie Arns ist aus Pünderich, Reil, also dem Moseltal, nach Brasilien ausgewandert. Ich bin die vierte Generation in Brasilien.

* Der Franziskaner Leonardo Ulrich Steiner (71) ist Erzbischof von Manaus. Nächste Woche nimmt ihn Papst Franziskus ins Kardinalskollegium auf.


Leonardo Ulrich Steiner | © KNA
21. August 2022 | 05:00
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