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International

Abtreibung per Post: Für US-amerikanische Frauen oftmals der einzige Ausweg

Pillen vom demokratischen in den republikanischen Bundesstaat – Der Versand von Abtreibungspillen in Gliedstaaten ohne Zugang zu legalen Schwangerschaftsabbrüchen boomt. Das ist erlaubt und dennoch rechtlich ein Dilemma.

Thomas Spang

Auf einer Tischtennis-Platte im Keller eines Wohnhauses im New Yorker Hudson Valley stapeln sich Packungen mit Misoprostol und Mifepriston. Die Präparate zum Abbruch einer
Schwangerschaft stehen bereit für den Postversand in republikanisch regierte Bundesstaaten des Südens und des Mittleren Westens, dorthin, wo Abtreibungen weitgehend verboten sind. Versenderin ist eine Ärztin, die aus Sorge um ihre Sicherheit anonym bleiben möchte.

Post aus dem demokratischen New York

«Es ist völlig legal, was ich tue», erklärt die Frau gegenüber der «Washington Post» ihr Engagement. Nach dem Gesetz des Bundesstaates New York ist es erlaubt, in Texas wäre es hingegen illegal. «Die könnten sagen, ich verstosse gegen ihre Gesetze», räumt die Ärztin ein, fügt dennoch trotzig hinzu: «Aber ich lebe nicht in Texas.»

Wird sich weiterhin Thema Abtreibung befassen: der US-amerikanische Supreme Court, in dem konservative Richter eine Mehrheit haben.
Wird sich weiterhin Thema Abtreibung befassen: der US-amerikanische Supreme Court, in dem konservative Richter eine Mehrheit haben.

Neben New York haben auch andere demokratisch regierte Bundesstaaten im vergangenen Jahr Gesetze verabschiedet, die den Versand von Abtreibungspillen rechtlich ermöglichen. Anbieter seien weitgehend geschützt, erklärt der Rechtsexperte der Drexel University in Philadelphia, David Cohen. «Solange sie sich in dem Staat aufhalten, in dem Schutzgesetze gelten.»

Texanische Politiker wüten

Der frühere Generalstaatsanwalt von Texas, Jonathan Mitchell, der massgeblich am Abtreibungsverbot nach der sechsten Woche beteiligt war, sieht das anders und warnt: Jemand in Texas könnte eine verdeckte Operation gegen jene durchführen, die Abtreibungspillen aus demokratisch regierten in Bundesstaaten mit Abtreibungsverboten
verschicken «und sie wegen versuchten Mordes anklagen». In Texas drohen allein für die Verschickung der Pillen mehrjährige Haftstrafen.

Melanie F. wusste nichts von der Abtreibung.
Melanie F. wusste nichts von der Abtreibung.

Doch der Nachweis bleibt schwierig. Die Mitarbeiter der Poststellen fragen nicht nach dem Inhalt der Päckchen. «Es könnten Seifen drin sein oder Süssigkeiten», so die anonyme Ärztin aus New York.

Rasanter Anstieg der Nachfrage

Die Nachfrage nach den Abtreibungspillen boomt, seit der Oberste Gerichtshof Ende Juni 2022 das Grundsatzurteil «Roe v. Wade» von 1973 kassiert hat. Damit fiel die Zuständigkeit in der Abtreibungsfrage automatisch an die Bundesstaaten zurück. Seitdem gleicht die US-Landkarte juristisch einem Flickenteppich, inklusive rechtlicher Grauzonen wie dem grenzüberschreitenden Versand von Medikamenten.

Die US-Arzneimittelbehörde FDA hält die Präparate für sicher und erlaubt die Einnahme der Abtreibungspillen bis zur 10. Woche. Seit ihrer Zulassung im Jahr 2000 haben bereits mehr als 5,6 Millionen Frauen davon Gebrauch gemacht. Komplikationen wurden dabei relativ
selten festgestellt.

Versender und Versenderinnen müssen vorsichtig sein

Die Organisation Planned Parenthood und die Fachgesellschaft der Geburtshelfer und Frauenärzte raten den Versendern der Medikamente, dennoch Vorsicht walten zu lassen. Trotz der Schutzgesetze in ihren Bundesstaaten könnten sie sich rechtlich in Gefahr begeben.

In vielen US-Gliedstaaten haben Frauen keinen Zugang mehr zu Abtreibungskliniken.
In vielen US-Gliedstaaten haben Frauen keinen Zugang mehr zu Abtreibungskliniken.

Denn es liegen zwei gegensätzliche Urteile in einschlägigen Rechtsstreitigkeiten vor. Ein Bundesgericht in Texas hatte rückwirkend die FDA-Zulassung von Mifepriston im Frühjahr per
einstweiliger Verfügung gestoppt. Abtreibungsgegner hatten im November Klage eingereicht und der US-Arzneimittelbehörde vorgeworfen, sie habe bei der Zulassung der Pille vor mehr als zwei Jahrzehnten Politik über Wissenschaft gestellt.

Am Ende muss Verfassungsgericht entscheiden

Nur Stunden nach dem Urteil von Texas entschied ein Richter im Bundesstaat Washington, der Zugang zu Abtreibungspillen dürfe nicht eingeschränkt werden. Er folgte damit Forderungen von 17 demokratisch regierten Bundesstaaten. Es gilt als ausgemacht, dass das Thema beim Supreme Court landen wird.

Aid Access, einer der grössten Anbieter von Abtreibungspillen, hatte schon vor dem Ende von «Roe v. Wade» die Medikamente vertrieben. Jetzt ist die Nachfrage deutlich gestiegen. Über Aid Access können Frauen für rund 150 Dollar die Medikamente erhalten. Das ist selbst in Bundesstaaten mit legalem Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen eine preisgünstige Alternative. Die gleichen Medikamente kosten 500 bis 800 Dollar in einer Klinik.

So einfach das Verschicken der Pillen inzwischen ist, so problematisch kann es in Ausnahmefällen sein. Insbesondere für Frauen in Staaten, in denen die Einnahme der Medikamente verboten sind. Kommt es zu Komplikationen, stehen die Betroffenen vor einem Dilemma. Suchen sie medizinisch notwendige Hilfe, droht das Strafgesetz. Der Gang zum Arzt oder Krankenhaus wird damit zum rechtlichen Risiko. (kna)


Pillen. | © Pixabay.com CCO
29. Juli 2023 | 12:30
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