1961 begann ein neues Hinsehen in die Welt

Hintergrund:

50 Jahre katholisches Hilfswerk Fastenopfer:

Zürich, 18.6.11 (Kipa) 1961: ein magisches Jahr. Eine ganze Reihe von weltweit tätigen Nichtregierungs-Organisationen wurde 1961 in der Schweiz gegründet. Prominentestes Beispiel auf katholischer Seite: das Fastenopfer. Ein Blick in eine spannende Zeit des Umbruchs erhellt, warum heuer so viele 50-Jahr-Jubiläen zu feiern sind.

1961 wurden die Hilfswerke Fastenopfer (katholisch), Brot für alle (evangelisch-reformiert) und Partner sein (christkatholisch) gegründet. Damals schlug mit der Einsetzung des ersten Delegierten auch die Geburtsstunde der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) des Bundes. Damit ging auch eine Erhöhung der staatlichen Mittel für die Entwicklungshilfe einher.

Auch der WWF wurde damals gegründet: Julian Huxley erlebte auf einer Ostafrika-Reise die Bedrohung der Natur und die Wilderei. Die Gründung von Amnesty International, ebenfalls 1961, geht auf Peter Benenson zurück, der sich über eine Gefängnisstrafe für zwei portugiesische Studenten empörte, die auf Freiheit angestossen hatten.

Die Gemeinsamkeit: der Blick in die Welt hinaus

All diesen 1961 gegründeten Organisationen ist eines gemeinsam: Der Blick in die Welt hinaus. 1961 scheint man mit dem Hinsehen auf andere Länder, andere Kontinente ganz neu begonnen zu haben. Anderthalb Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg entdeckte man ein gewisses Miteinander mit der übrigen Welt.

Die Solidarität hatte mit der Dekolonisation Dutzender Nationen nach dem Zweiten Weltkrieg zu tun: Allein 1960 wurden 17 ehemalige Kolonien in Afrika in die Freiheit entlassen. Diese neuen Staaten rückten in den Blick der Öffentlichkeit – und damit deren Armut. Man wurde sich bewusst, dass die Staaten der Welt abhängig sind voneinander. Die Uno schuf immer weitere Unterorganisationen. Die Welt begann zusammen zu wachsen.

Der Solidarität half zumindest auf dem politischen Parkett noch etwas anderes auf die Sprünge: Die Angst vor dem Kommunismus, der nach all diesen jungen, armen, oft noch nicht sehr gefestigten Staaten zu greifen drohte. 1961 wurde die Berliner Mauer gebaut. 1961 war auch das Jahr der amerikanischen Invasion in die Schweinebucht und damit einer brenzligen Situation für den weltweiten Frieden. Der Kalte Krieg auf dem Höhepunkt.

Die Welt wächst zusammen

Hinter dem neuen Engagement steht aber auch der Wirtschaftsaufschwung in Europa, von dem weite Bevölkerungskreise profitierten. Es war auch die Zeit der Fortschrittsgläubigkeit: Für die Sowjetunion flog Juri Gagarin auf dem ersten bemannten Raumflug um die Erde, um nur einen Meilenstein zu nennen.

Auch sonst schien plötzlich vieles möglich geworden: John F. Kennedy wurde am 20. Januar 1961 als Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt. Mit 44 Jahren war er der jüngste aller bisherigen US-Präsidenten und der erste Katholik. Seine Frau Jackie wurde zur Stilikone dieses Lebensgefühls.

Aufbruch am Vorabend des Zweiten Vatikanischen Konzils

Ein Aufbruch fand auch in der katholischen Kirche statt. Das Zweite Vatikanische Konzil begann zwar erst 1962, war aber schon 1959 angekündigt worden. Im Mai 1961 veröffentlichte Papst Johannes XXIII. die Enzyklika «Mater et Magistra». Sie befasste sich mit der Realität der Arbeiter und nahm dabei erstmals die unterentwickelten Länder und deren Probleme in den Blick.

«Es herrschte eine Aufbruchstimmung: recht brav, vor 68, aber schon angefeuert von Impulsen des 2. Vatikanischen Konzils, das den Laien in der Kirche, fremden Kulturen und Religionen mehr Respekt entgegenbrachte.» So schreibt es Max Sigrist, beim Fastenopfer seit 1979, in einem Überblick über die Geschichte der Südarbeit.

«Attentat auf christliche Bequemlichkeit»

Das Fastenopfer ging aus dem Missionsjahr 1960/1961 der katholischen Jugendverbände hervor. 16 katholischen Jugendorganisationen schlossen sich zu einem «Arbeitskreis der Jugendverbände» zusammen, so heisst es in einem Rückblick zum Abschied des langjährigen Fastenopfer-Stiftungsratspräsidenten Bischof Otto Wüst von 1992.

Das Missionsjahr wollte die Schweizer Katholiken für die Anliegen der Weltmission gewinnen, finanzielle Mittel für die Mission bereitstellen und neue Priester-, Schwestern- und Laienhelferberufungen wecken. Meinrad Hengartner, Obmann des Schweizerischen katholischen Jungmannschaftverbandes, erklärte bei der Eröffnung: «Das Missionsjahr ist in seiner Gesamtheit ein Attentat auf unsere christliche Bequemlichkeit.» Mit 17,5 Millionen Franken wurde es zur damals erfolgreichsten Sammelaktion der Schweiz. An der Abschlussversammlung vom 17./18. Juni 1961 in Einsiedeln SZ beschloss man, den Elan in eine jährliche Bildungs- und Sammelaktion zu überführen – das Fastenopfer war geboren.

 

Separat:

Auszug aus der Enzyklika «Mater et Magistra» (1961) von Papst Johannes XXIII.

«157. Eine der grössten unserer Zeit gestellten Aufgaben ist wohl diese, zwischen den wirtschaftlich fortgeschrittenen und den wirtschaftlich noch in Entwicklung begriffenen Ländern die rechten Beziehungen herzustellen. Während die einen im Wohlstand leben, leiden die andern bittere Not. Wenn nun die wechselseitigen Beziehungen der Menschen in allen Teilen der Welt heute so eng geworden sind, dass sie sich gleichsam als Bewohner ein und desselben Hauses vorkommen, dann dürfen die Völker, die mit Reichtum und Überfluss gesättigt sind, die Lage jener anderen Völker nicht vergessen, deren Angehörige mit so grossen inneren Schwierigkeiten zu kämpfen haben, dass sie vor Elend und Hunger fast zugrunde gehen und nicht in angemessener Weise in den Genuss der wesentlichen Menschenrechte kommen. Dies umso weniger, als die Staaten täglich mehr voneinander abhängig werden und ein dauerhafter und segensreicher Friede nicht gewährleistet ist, wenn die wirtschaftliche und soziale Lage des einen von der des andern allzu stark abweicht.»

«158. Da Wir alle Menschen als Unsere Söhne lieben, halten Wir es für Unsere Pflicht, hier feierlich zu wiederholen, was Wir schon einmal gesagt haben: `Uns alle gemeinsam trifft die Verantwortung für die Völker, die an Unterernährung leiden.` Darum `muss bei den Einzelnen, ja überhaupt, und zwar bei allen, ganz besonders aber bei den Wohlhabenden, das Bewusstsein für diese Pflicht geweckt werden`.»

(kipa/pem/job)

18. Juni 2011 | 10:38
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