Stellungnahme der Universität Tübingen

In den ersten Wochen des Wintersemesters 2020/21 haben sich mehrere Betroffene an eine Vertrauensperson der Katholisch-Theologischen Fakultät gewandt und von emotionalem Missbrauch sowie von sexuellen Grenzverletzungen berichtet, die sie an der Fakultät erfahren haben.

Die Betroffenen sehen sich rückblickend durch eine Person manipuliert. Dabei sei jeweils die Nähe ausgenutzt worden, mit der Angehörige der Universität in universitären Kontexten zusammen studieren und arbeiten. Die Betroffenen fühlten sich unter Druck gesetzt. Die Person habe suggeriert, sie in ihrem beruflichen und wissenschaftlichen Fortkommen behindern zu können. Über Jahre hinweg wussten die Betroffenen dabei nicht voneinander.

«Bei all dem geht es nicht um rein privates Fehlverhalten. Uns stellt sich die Frage, ob in diesem Fall die Studien- und Arbeitsbedingungen an einer Universität missbraucht wurden, ob Mitglieder der Fakultät in ihrem Studium und in ihrem wissenschaftlichen Fortkommen behindert wurden», erläutert Professor Matthias Möhring-Hesse, Dekan der Fakultät.

Die von den Betroffenen genannte Person ist inzwischen nicht mehr an der Universität Tübingen beschäftigt, eine etwaige arbeits- oder dienstrechtliche Klärung nicht mehr möglich. Bisher ist keine strafbare Handlung feststellbar, die Universität steht aber mit den Ermittlungsbehörden in Verbindung, auch ist die Vertrauensanwältin des Landes Baden-Württemberg mit der Sache befasst.

Da aufgrund der Fallbeschreibungen zu befürchten war, dass weitere Personen ähnliches erlebt haben, hatten Dekan und Gleichstellungsbeauftragte der Katholisch-Theologischen Fakultät, gemeinsam mit dem Gleichstellungsbüro der Universität, mögliche Betroffene in einem Rundschreiben an Fakultätsangehörige und Ehemalige gebeten, sich zu melden. Aufgrund dieses Rundschreibens haben sich weitere Betroffene gemeldet.

«Bei dieser Art Fehlverhalten ist das Arbeits- und Dienst-, ist auch das Strafrecht nur begrenzt klärend. Als Universität müssen wir sexuelles Fehlverhalten auch von den Erfordernissen des Studiums und des wissenschaftlichen Arbeitens her beurteilen», erläutert der Dekan der Fakultät. Fakultät und Universität schenken den Berichten der betroffenen Personen Glauben und sprechen ihnen zu, Opfer sexuellen Fehlverhaltens geworden zu sein. Sie haben den Betroffenen Unterstützung zugesagt, insbesondere bei der Aufklärung der Vorgänge.

«Grenzüberschreitungen in zwischenmenschlichen Beziehungen können subtil und fließend sein und in einem Graubereich liegen», sagt Kanzler Dr. Andreas Rothfuß. «Aber klar ist: An der Universität Tübingen sind missbräuchliche und grenzverletzende Beziehungen jeglicher Art nicht geduldet.» In diesem Sinne wird die Katholisch-Theologische Fakultät die Vorwürfe zum Anlass nehmen, für sexuelles Fehlverhalten auch in den Beziehungen zwischen Fakultätsmitgliedern zu sensibilisieren. «Zwar gehen die privaten Beziehungen der Studierenden und Beschäftigten die Universität nichts an», ergänzt der Dekan. «Wir müssen jedoch, soweit möglich, verhindern, dass die für eine Universität typische Kommunikations- und Arbeitsweise, wie etwa die enge Zusammenarbeit ausgenutzt wird, um sich andere gefügig zu machen und ihnen zu schaden.»

Derzeit erarbeitet die Universität «Richtlinien zum Umgang mit Diskriminierung, (sexueller) Belästigung und Gewalt», die über die bereits vorhandenen Hinweise zu «Partnerschaftlichem Verhalten» hinausgehen: Sie sollen Hilfsangebote für Betroffene von Diskriminierung, Mobbing oder sexueller Belästigung sichtbarer machen und Universitätsangehörige für diese Themen sensibilisieren.

Universität Tübingen
18. Dezember 2020 | 15:29