Flüchtlingsparlament

«Integration von Geflüchteten ist möglich – sie gelingt besser, wenn die Sichtweise der Betroffenen gehört wird!»

Medienmitteilung: Wie kann die Integration von Geflüchteten erfolgreich gestaltet werden? Eine Jury aus Fachpersonen und Flüchtlingsparlamentsmitgliedern zeichnet Institutionen, die besonders gut mit Geflüchteten umgehen, aus – und empfiehlt Verbesserungen an Bund, Kantone und Gemeinden, wenn das Asylwesen besonders bedenklich ist. Diese wurden am Strategie-Tag am 19. November vor mehr als 100  Flüchtlingsparlamentarier:innen in Bern angekündigt und an Integrationsdelegierter Schwyz Markus Cott und an Tobias Heiniger von «Bildung für alle – jetzt!» präsentiert.

Rahim Mohammedzadeh hat es geschafft. Nach Jahren der Unsicherheit und des Wartens als Asylsuchender weiss er, dass er in der Schweiz bleiben darf. Er hat mit seinen Kompetenzen und seinen Kontakten eine Arbeitsstelle gefunden, die ihm ein selbständiges Leben ermöglicht. Zudem engagiert er sich im Flüchtlingsparlament und leitet das Projekt zur Anerkennung von vorbildlichen und verbesserungswürdigen Aspekten des Asylwesens. Dieses kennt er aus erster Hand: «Ich bin froh, dass ich zum ersten Mal zusammen mit anderen Geflüchteten und Organisationen den Asylbereich bewerten und Preise verteilen kann. So können Behörden und Organisationen verdankt werden oder Hinweise für Verbesserungen bekommen.»

Wer hat Bedanken-Preise vom Flüchtlingsparlament gewonnen? Markus Cott (Integrationsdelegierter Schwyz), Asylex Zürich und Solinetz Bern für juristische Beratung, Psy4Asyl Aargau für psychologische Unterstützung, Bildung für alle – jetzt! für das Engagement für den Zugang zur Bildung, Queer Amnesty, evakuierenJETZT und das NoFrontex Referendums-Komitee.

Wer hat Verbesserungsvorschläge erhalten? Für tiefe Tagesansätze (von SFr. 0.– bis  SFr. 9 täglich) für Abgewiesene die 15 Kantone Aargau, Appenzell Innerrhoden, Appenzell Ausserrhoden, Basel-Land, Glarus, Graubünden, Neuenburg, Nidwalden, St. Gallen, Thurgau, Tessin, Waadt, Wallis, Zug und Zürich; SEM für Gewaltprävention in Asylzentren; für langfristige unterirdische Beherbergung in Bunkern Kt. Basel-Stadt, Luzern, Zürich u.a.

Die Politik im Kanton Aargau hat beide – einen Bedanken-Preis und einen Verbesserungsvorschlag – für die national tiefste Unterstützung für vorläufig Aufgenommene (SFr. 9.– täglich) und für die Erhöhung dieser Ansätze für Kinder.

Markus Cott, der Integrationsdelegierte des Kantons Schwyz hat den Preis erhalten, weil er ein Programm lancierte, damit neu alle Geflüchteten Deutschkurse mindestens bis zum Sprachniveau B1 besuchen können. Ausserdem setzt er sich ein für Geflüchtete bei der Lehrstellensuche und Jobsuche. Er zeigt sich glücklich über die Auszeichnung: «Ich freue mich sehr über diesen Preis; ganz speziell, weil er von den Geflüchteten selber kommt, die direkt von meiner Arbeit betroffen sind. Auch ist es erfreulich, dass der Preis in den Kanton Schwyz geht, und ich ihn hier mit allen, die an dem gemeinsamen Ziel mitarbeiten, teilen darf, insbesondere mit den Job Coaches in meinen Team.»

Geflüchtete haben ihre Dankbarkeit an den Schutz der Schweiz ausgedruckt, aber auch Integrationshindernisse aus ihrem Alltag präsentiert und Lösungsstrategien ausgearbeitet: traumatisierte Ukrainerinnen und andere Geflüchtete ohne psychologische Unterstützung, Kinderrechtsverletzungen wie kein Zugang zur Schule oder Ausbildung, Familien mit Kindern über Jahre in einem Zimmer oder Privatsphäre, Wohncontainer mit Mäusen und Ratten, Menschen mit Beeinträchtigung ohne geeignete Unterstützung. Die Flüchtlingsparlamentarier:innen haben Prioritäten für Aktionen im kommenden Jahr ausgewählt.

Spielräume nutzen

Kantone, Gemeinden und Institutionen setzen die Integrationspolitik des Bundes vor Ort um. Wie sie diese Vorgaben konkret ausgestalten, hat einen grossen Einfluss darauf, ob die Integration eher gelingt – oder eben nicht.

Diesen Umstand hat das Flüchtlingsparlament Schweiz zum Anlass genommen, breit zu fragen: Was sind vorbildliche Projekte, die Integration ermöglichen und für die wir uns bedanken möchten? Aber auch: Welche Umsetzungen sollten dringend verbessert werden? Über mehrere Wochen hatten Einzelpersonen und Organisationen die Möglichkeit, Vorschläge einzureichen. Über 30 Nominationen wurden anschliessend von einer Jury aus Fachpersonen und Geflüchteten evaluiert.

Verdanken und verbessern

Hanna Gerig vom Solinetz Zürich war Teil dieser Jury: «Als Jury-Mitglieder hatten wir die Qual der Wahl. Es gäbe so viele engagierte Personen und unentbehrliche Organisationen zu verdanken – und leider noch viel mehr Institutionen im Asylbereich, bei denen wir Verbesserungen anregen möchten. Verbesserungen, um nicht zu sagen, radikale Veränderungen.» Mit Verbesserungsvorschlägen werden aber auch Kantone oder Gemeinden gerügt, weil gewisse Vorgaben die Integration eher erschweren als fördern: so werden z.B. diejenigen Kantone zu einer Verbesserung ermutigt, die die Nothilfe oder die Ansätze für Sozialhilfe für vorläufige Aufgenommene besonders tief halten. Vom Staatssekretariat für Migration SEM wird gewünscht, dass es im Anschluss an die kritische Berichterstattung über Gewalt in Bundesasylzentren wirksame Massnahmen umsetzt und transparent darüber kommuniziert, um solche Vorfälle zu verhindern.

Gelingende Integration

Oder wie Mahtab Aziztaemeh, ein weiteres Jurymitglied präzisiert: «Wir Geflüchteten möchten friedlich an der Schweizer Gesellschaft, die uns aufgenommen hat, teilhaben. Mit diesen Bedanken- und Verbesserungspreisen versuchen wir darauf hinzuweisen, wo dies nicht passiert ist. Damit verbunden ist die Hoffnung auf strukturelle Veränderungen im Asylsystem in der Schweiz.»

Wenn vermehrt Wege gefunden werden, wie die Integration von Geflüchteten gelingen kann, dann hören wir auch viel mehr von den erfolgreichen Geschichten, in denen sie klappt – wie diejenige von Rahim Mohammedzadeh.

Preis-Ankündigung am Strategie-Tag, 19. November in Bern

Mehr als 100 Flüchtlingsparlamentsmitglieder haben ihre Prioritäten für Verbesserungen im Asylwesen und parlamentarische Vorstösse für das Jahr 2023 ausgearbeitet und entscheiden. Die Steuergruppe von 16 Geflüchtete wurde gewählt und Fachpersonen und Nationalrätinnen Céline Widmer und Katharina Prelicz-Huben haben die Flüchtlingsparlamentsmitglieder beraten.

NCBI Schweiz und das Flüchtlingsparlament

Das Flüchtlingsparlament Schweiz wurde 2021 vom National Coalition Building Institute NCBI, einem Verein, der sich für Integration und gegen Vorurteile einsetzt, ins Leben gerufen. An bis anhin zwei Flüchtlingssessionen beteiligten sich insgesamt rund 150 Geflüchtete aus 20 Ländern und fast allen Kantonen. Im Flüchtlingsparlament erarbeiten die Teilnehmenden politische Vorstösse zum Asylwesen in der Schweiz. Diese werden der Öffentlichkeit sowie Politikern und Politikerinnen aller Parteien vorgestellt, welche sie dann in die politischen Prozesse einbringen können.

www.flüchtlingsparlament-schweiz.ch, www.ncbi.ch

Flüchtlingsparlament | © zVg
NCBI
20. November 2022 | 09:26