Ein Papstsohn mit üblem Leumund

Vor 500 Jahren starb Cesare Borgia. Der Sohn von Papst Alexander VI. war der erste Kardinal, der sein Amt niederlegte und dafür als Feldherr «brillierte». Machiavelli hat ihn und seinen zweifelhaften Ruhm mit seiner Schrift «Der Fürst» unsterblich gemacht.

Cesare Borgia soll mit seiner Schwester Lucrezia in Blutschande gelebt haben. Er soll Nonnen vergewaltigt, ganze Adelsgeschlechter ausgerottet und gar seinen eigenen Bruder ermordet haben. Cesare Borgia sei nichts weniger als ein Fleisch gewordener Teufel – dieses düstere Bild vermitteln uns zahlreiche Historiker und Literaten. Die anderen Mitglieder der Familie Borgia kommen bei ihnen kaum besser weg: Lucrezia Borgia wird als nymphomane Femme fatale beschrieben, Vater Rodrigo Borgia, der unter dem Namen Alexander VI. auf dem Papstthron sass, als machtgeiler und von fleischlichen Gelüsten getriebener Despot.

Was ist wahr an den Überlieferungen? Fakten und Legenden im Fall der Renaissancefamilie Borgia auseinanderzuhalten, ist schwierig – eine moderne Geschichtsschreibung gab es zu Zeiten der Borgias nicht. Zwar existieren einige zeitgenössische Berichte, doch schon diese sind stark von der Haltung ihrer Verfasser gefärbt. Halten wir uns bei Cesare Borgia darum zunächst an das wenige, das gesichert ist. Geboren wurde er am 13. September 1475 in Rom; sein Vater war der spanische Kardinal Rodrigo Borgia, seine Mutter die Römerin Vanazzo de´ Cattanei. Vater Rodrigo Borgia, der als Neffe des Papstes Calixtus III. zum Purpurträger wurde, hatte mit seiner Konkubine noch drei weitere Kinder – Juan, Jofré und Lucrezia –, die er als Papst alle explizit anerkannte. Dass hohe kirchliche Würdenträger Nachwuchs zeugten, war zu jener Zeit nicht ungewöhnlich; dass sie zu ihren Kindern standen, schon eher. Sein freizügige Lebenswandel verhinderte aber nicht, dass Rodrigo Borgia 1492 zum Papst gewählt wurde. Da der Spanier ein reicher Mann war, konnte er im Konklave leicht Stimmen kaufen.

Ämterkauf und Ämterschacher
Die Simonie, der Ämterkauf, war zeittypisch, sie allein brachte Borgia aber nicht auf den Papstthron. Der Spanier schien für viele der richtige Mann zur richtigen Zeit zu sein: Italien und Kirche erlebten eine unruhige Epoche, Franzosen und Spanier drängten ins Land, die Türken bedrohten die christliche Welt. Als Kardinal hatte Rodrigo Borgia Mut und Intelligenz bewiesen, ihm traute man zu, als Papst die drohenden Gefahren abzuwenden. Den Römern ging es nach der Wahl von Alexander VI. dann aber wie dem Zauberlehrling in Goethes Gedicht: Die Geister, die sie gerufen hatten, wurden sie nicht mehr los. Alexander VI. begnügte sich nicht mit der Verwaltung seines Amtes und dem Ausrufen eines Kreuzzugs, sondern strebte unverhohlen nach weltlicher Macht. Als Spanier hatte er in Rom keine Hausmacht, deshalb setzte er gleich nach seiner Wahl Familienmitglieder in hohe Ämter ein. Sein Lieblingssohn Juan wurde Oberbefehlshaber der kirchlichen Truppen, der jüngere Sohn Cesare erst Bischof, dann Erzbischof und schliesslich, im Alter von knapp 18 Jahren, Kardinal. Cesare machte allerdings kein Hehl daraus, dass er lieber wie Juan eine weltliche Karriere ergriffen hätte. Tochter Lucrezia wurde wichtigstes Element der päpstlichen Heiratspolitik – und 1501 sogar während einer kurzen Abwesenheit von Alexander VI. dessen Stellvertreterin im Vatikan.

Geschickter Kriegsherr
Als sein Bruder Juan 1497 unter mysteriösen Umständen in Rom ermordet wurde, witterte Cesare seine Chance. Er bat den Vater, als Kardinal zurücktreten zu dürfen und Juans Posten zu übernehmen. Alexander VI. kam den Wünschen nach. Cesare Borgia wurde so zum ersten Kardinal der Geschichte, der freiwillig auf die Kardinalswürde verzichtete. Alexander VI., der die vollständige Kontrolle über den Kirchenstaat anstrebte, beauftragte Cesare, die Lehensherren in der Romagna zu vernichten. Cesare tat dies mit grossem Eifer und eindrücklichem Geschick. Weil die alten Adelsgeschlechter an vielen Orten verhasst waren, wurden Cesare und sein Heer auch als Befreier begrüsst und genossen die Unterstützung grosser Teile der Bevölkerung. Cesare richtete in seinem Herrschaftsgebiet eine strenge Verwaltung ein. Als diese gut funktionierte, liess er den gestrengen und unbeliebten Verwalter hinrichten – er hatte seine Schuldigkeit getan.

Als Alexander VI. 1503 starb, stand Cesare auf dem Höhepunkt seiner Macht. Der Fürst wusste eine grosse Gruppe von Kardinälen hinter sich und setzte die Wahl eines für ihn akzeptablen Papstes, Pius III., durch. Dieser verstarb aber schon nach wenigen Tagen. Nächster Papst wurde Julius II. Dass Cesare Borgia ausgerechnet diesen Mann unterstützt hatte, war wohl der grösste Fehler seines Lebens. Denn Julius II. gehörte dem römischen Geschlecht della Rovere an, das von Alexander VI. beinahe vernichtet worden wäre. Warum Cesare einen der schlimmsten Feinde seiner Familie auf den Papstthron hievte, weiss man nicht. Die Folgen aber sind bekannt: Cesare wurde verhaftet und nach Spanien verbannt. Dort gelang ihm nach zwei Jahren die Flucht aus einem Gefängnis. Der offenbar von Syphilis geschwächte Cesare verbündete sich mit dem König von Navarra, seinem Schwager, zog für ihn in den Krieg, geriet bei einer Belagerung in einen Hinterhalt und wurde am 12. März 1507 erschlagen.

Vorbild bei Machiavelli
Die Vita von Cesare Borgia ist sicherlich reich an Dramatik, trotzdem hätte das wohl kaum für die riesige Faszination ausgereicht, die er seither auf Menschen ausübt – Spielernaturen und Abenteurer wie ihn findet man in der Geschichte schliesslich viele. Für Cesare Borgias Berühmtheit sorgten verschiedene Faktoren, auf die er kaum Einfluss hatte. Der wichtigste war Niccolò Machiavelli. Der florentinische Philosoph war Cesare Borgia mehrmals begegnet und zeigte sich von ihm und seinem militärischen Vorgehen tief beeindruckt. In seinem noch heute oft gelesenen Traktat «Il principe» thematisierte Machiavelli die Alleinherrschaft und beschrieb, wie ein Fürst vorgehen muss, wenn er Gebiete erobern und diese langfristig sichern will. Machiavelli untermauerte seine Thesen mit historischen Beispielen. Als positives Vorbild diente ihm jeweils Cesare Borgia. Machiavellis emotionslose Beschreibungen von Cesares Taten brachten diesem den Ruf ausserordentlicher Kaltherzigkeit und Skrupellosigkeit ein. Cesare war zweifellos ein brutaler Kerl – aber kaum brutaler als andere Heerführer und Fürsten seiner Zeit. Viele seiner Opfer hatten selber wenig Hemmungen bewiesen, wenn es darum ging, Verwandte zu töten oder ganze Familien auszulöschen. Unter den Mächtigen galt damals die Devise: morden oder gemordet werden.

Sündenbock in unruhigen Zeiten
Seinen ausnehmend schlechten Ruf verdankt Cesare aber nicht nur Machiavelli – der ihm sicher nicht schaden wollte –, sondern auch der Tatsache, dass er und seine Familie ideale Sündenböcke abgaben. Die Regierungszeit von Alexander VI. fiel in eine Epoche des Umbruchs; die Spanier und Portugiesen eroberten gerade Amerika. Weder kulturell noch gesellschaftlich oder politisch blieb in dieser geschichtsträchtigen Phase ein Stein auf dem anderen. Bereits zeigten sich überall Vorboten der Reformation. Das Papsttum wurde immer offener kritisiert – und der lebensfrohe Alexander VI. bot natürlich viel Angriffsfläche. Zu seinen schärfsten Kritikern zählte der florentinische Bussprediger Girolamo Savonarola, der flammende Reden gegen die herrschenden Schichten hielt und zum faktischen Diktator von Florenz aufstieg. Die Vorgänger von Alexander VI. hatten Savonarola gewähren lassen, der Borgia-Papst belegte den Dominikaner nun aber mit einem Predigtverbot und exkommunizierte ihn schliesslich. Durch solche unerschrockenen Handlungen machte sich Alexander VI. mächtige Feinde; vor allem die grossen italienischen Geschlechter befürchteten, dieser spanische Papst werde sie aller Privilegien berauben.

Gerüchte aus der Hexenkiste
Schon zu Lebzeiten setzten die vielen Feinde der Borgias unzählige Gerüchte über die Familie in Umlauf, um ihr zu schaden. In dieser Hinsicht tat sich besonders Johannes Burckard (Burchardus) hervor, der elsässische Zeremonienmeister von Alexander VI. Sein Tagebuch gilt als eigentliche Quelle für die Borgia-Geschichtsschreibung – aber es ist mit äusserster Vorsicht zu geniessen. Burckard pflegte enge Beziehungen zu den Inquisitoren Sprenger und Institoris, den Verfassern des unseligen «Hexenhammers», der so unermesslich viel Leid in die Welt brachte. Der Zeremonienmeister war vom Gedanken an Hexen und Hexenrituale geradezu besessen: Er berichtete, am Sterbebett von Alexander VI. seien sechs Dämonen in Affengestalt erschienen. Burckards legendäre Beschreibung einer Orgie, die Cesare am Hof von Alexander VI. veranstaltet haben soll, deckt sich auffällig mit der Darstellung von Hexenfesten im «Hexenhammer». Ob diese Orgie mit 50 Dirnen wirklich stattgefunden hat oder der lebhaften Fantasie Burckards entsprungen ist, lässt sich deshalb nicht feststellen.

Michelotto, der mörderische Handlanger
Die meisten Gerüchte um die Borgias lassen sich so weder durch akzeptable Quellen beweisen noch widerlegen. Es gibt auch kein schlüssiges Indiz dafür, dass Cesare oder Alexander VI. mit Lucrezia eine sexuelle Beziehung hatten – das entsprechende Gerücht geht auf einen Schmähbrief zurück, den Feinde des Papstes in Umlauf setzten, den berüchtigten «Savelli-Brief». Sogar Martin Luther glaubte übrigens an den Borgia-Inzest. Es gibt auch keinen Beweis dafür, dass Cesare seinen Bruder Juan umbrachte, um dessen Funktionen zu erben. Das Gerücht, er habe den Auftrag zum Mord gegeben, kam erst Jahre nach Juans Tod auf. Cesare hatte in seinem Gefolge tatsächlich einen brutalen Henker namens Michelotto. Dieser erwürgte offenbar Lucrezias ersten Ehemann, als er nicht mehr in die Pläne des Papstes und seines Sohnes passte. Der Mord bedeutet aber nicht, dass hinter jedem Todesfall, der sich im Umfeld des Papstes ereignete, ein Mordauftrag von Cesare steckte.

Die perfekte Romanvorlage
Warum hielt sich der schlechte Ruf der Borgias, der sich in diesem Ausmass kaum rechtfertigen lässt, dennoch über die Jahrhunderte? Vermutlich auch, weil die Familie und ihre überlieferte Geschichte so ungeheuer attraktiv ist. Ein lebensfroher Papst, eine schöne Tochter, ein brutaler Sohn, Mord, Sex, Aufstieg und Fall – das ist die Mischung, aus der Abenteuerliteratur gemacht wird. Es existieren buchstäblich Hunderte von Theaterstücken und Romanen über die Borgias; die meisten Autoren von Victor Hugo bis zu Conrad Ferdinand Meyer behandeln die alten Gerüchte und untermauern damit, unabhängig von ihrer jeweiligen Position, den Ruf der Borgias. Wenn Cesare Borgia schon zu Lebzeiten eine äusserst umstrittene Figur war, dann verkam er nach seinem Tod vollends zur Folie für Ängste und Sehnsüchte, zu einer selten Mischung aus Held und Antiheld.

Marius Leutenegger

Sonntag
23. März 2007 | 11:11