Claudius Luterbacher. Im Hintergrund die Kathedrale von St. Gallen.
Schweiz

Ein Mann der Worte

Claudius Luterbacher, Kanzler des Bistums St. Gallen, hat mit dem Protagonisten des von ihm ausgewählten Buches «Das Gewicht der Worte» von Pascal Mercier eines gemeinsam: Die Liebe zu Worten und zu Sprachen. Ein Beitrag der kath.ch-Sommerserie «Reisaus»*. 

Claudia Koch

Claudius Luterbacher scheint ein viel belesener Mann zu sein. Gleich zwei Bücher nannte er zur Auswahl für die Sommerserie, die sich mit moralischen und ethischen Fragestellungen zur Würde des Menschen auseinandersetzen. Ein Gebiet, auf dem sich der studierte Theologe und Ökonom – mit einem Doktortitel in Wirtschafts- und Sozialethik – bestens auskennt.

Entschieden hat er sich jedoch spontan für das neueste Werk von Pascal Mercier, «Das Gewicht der Worte», das er den Sommer über gelesen hat. Darauf gekommen sei er über Guido Scherrer, Generalvikar des Bistums St. Gallen, der wie er Merciers «Nachtzug nach Lissabon» kannte, so Luterbacher. «Als ich in einer Bibliothek nach neuer Lektüre suchte, entdeckte ich Merciers aktuellstes Buch und nahm es kurzerhand mit», sagt der bekennende Fan von Bibliotheken.

Philosophische Reflexionen

Was ihm an dem Buch besonders gefällt, erklärt er so: «Es gibt eine Handlung und dazu viele philosophische Reflexionen. Die Handlung allein wäre auf wenigen Seiten erzählt. Es sind diese vielfältigen Reflexionen, die mich gepackt und zum Sinnieren gebracht haben.»

Die Handlung dreht sich um einen Verleger und Übersetzer, der als Witwer in Triest lebt und das Ziel verfolgt, alle Sprachen rund um das Mittelmeer zu erlernen. Als er die Diagnose eines tödlichen Hirntumors erhält, fragt er sich, wie er die restliche Zeit verbringen will und was für ihn wichtig ist im Leben.

Claudius Luterbacher, Kanzler des Bistums St. Gallen, 2020 mit seiner Sommerlektüre «Das Gewicht der Worte» des Schweizer Autors Pascal Mercier.
Claudius Luterbacher, Kanzler des Bistums St. Gallen, 2020 mit seiner Sommerlektüre «Das Gewicht der Worte» des Schweizer Autors Pascal Mercier.

Auch plant er seinen Selbstmord. Denn für ihn, den Mann der Worte, ist die Aussicht, einen Sprachverlust zu erleiden oder keinen klaren Gedanken mehr fassen zu können, unerträglich. Als er erfährt, dass die Diagnose ein Irrtum ist, überkommt ihn eine Wut auf die Ärzteschaft. «All diese Themen, die ineinanderfliessen und durchaus auflehnende Reaktionen sowohl beim Protagonisten wie auch bei der Leserschaft auslösen, hat Mercier geschickt verarbeitet», sagt Luterbacher.

«Das Thema Selbstmord bekommt dadurch eine andere Sichtweise.»

Den Kanzler erinnert die Hirntumordiagnose auch an einen verstorbenen Berufskollegen. Luterbacher sagt dazu: «Mir ist auf andere Weise bewusst geworden, was in einem Menschen mit einer solchen Diagnose wohl vorgeht, welche Gedanken und Ängste ihn umtreiben. Auch das Thema Selbstmord bekommt dadurch eine andere Sichtweise.»

«Das Gewicht der Worte»

Seit seiner Kindheit ist Simon Leyland von Sprachen fasziniert. Gegen den Willen seiner Eltern wird er Übersetzer und verfolgt unbeirrt das Ziel, alle Sprachen zu lernen, die rund um das Mittelmeer gesprochen werden. Von London folgt er seiner Frau Livia nach Triest, wo sie einen Verlag geerbt hat. In der Stadt bedeutender Literaten glaubt er den idealen Ort für seine Arbeit gefunden zu haben – bis ihn ein ärztlicher Irrtum aus der Bahn wirft. Doch dann erweist sich die vermeintliche Katastrophe als Wendepunkt, an dem er sein Leben noch einmal völlig neu einrichten kann. (ck)

Pascal Mercier «Das Gewicht der Worte», Carl Hanser Verlag 2020, ISBN 978-3-446-26569-1

Sprachen sind Alltag

Über all den philosophischen Gedanken zu Leben und Sterben haben der Protagonist und Luterbacher eine gemeinsame Leidenschaft: die Liebe zu Worten und Sprachen. «Sprache und Sprachen sind für mich Alltag», sagt Luterbacher, der Italienisch sowie Französisch beherrscht und «auch im Englischen zurecht kommt».

Luterbacher hat ein Studium in Kirchen- und Staatskirchenrecht absolviert. Seit 2008 ist er beim Bistum St. Gallen tätig, vier Jahre als Verantwortlicher für alle Rechtsfragen, seit 2012 als Kanzler. In seinen Aufgabenbereich fallen die Koordination des Ordinariats, die Verantwortung für die Kanzlei, für die Bistumsfinanzen und für die Klöster im Bistum.

Über Bistumsgrenzen hinaus gefragt

Bei letzterem sind oft die richtigen Worte gefordert, wenn es darum geht, Klosterübergänge oder Neunutzungen strategisch zu planen und dabei die rechtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen. In dieser Tätigkeit ist Luterbacher auch ausserhalb der Bistumsgrenze gefragt, da es nicht viele gibt, die den Gesamtblick haben, gleichzeitig aber auch in die Tiefe sehen.

* «Reisaus»

Corona macht vielen Menschen einen Strich durch die Ferienplanung. Wer den Urlaub im nahen Ausland oder eben in der Schweiz nicht antreten möchte oder kann, erholt sich vielleicht auf Balkonien, im Schrebergarten oder an einem schattigen Plätzchen in der Natur. Bei vielen mit dabei: ein Buch! Eine unvergleichliche Möglichkeit, ferne Länder zu bereisen oder neue Welten zu entdecken, weitab von Schutzmaskenpflicht und Quarantäne-Auflagen. «Mit welchem Buch tauchen Sie ab? Welches Buch nimmt Sie mit auf eine mentale Reise?» – kath.ch antwortet auf diese Fragen mit der Sommerserie 2020.

Claudius Luterbacher. Im Hintergrund die Kathedrale von St. Gallen. | © Claudia Koch
24. August 2020 | 12:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
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Claudius Luterbacher

Claudius Luterbacher-Maineri (Jahrgang 1979) ist in Abtwil im Kanton St. Gallen aufgewachsen. Er studierte an der Universität Freiburg Theologie und Ökonomie mit dem Schwerpunkt Betriebswirtschaftslehre, danach folgte die Dissertation im Bereich der Wirtschafts- und Sozialethik.

Von 2007 bis 2009 absolvierte er ein berufsbegleitendes Studium in Kirchen- und Staatskirchenrecht an der Universität Strassburg. Von 2008 bis 2012 arbeitete Luterbacher als Fachmitarbeiter Recht/Kirchenrecht im Bischöflichen Ordinariat St. Gallen, seit 2012 als Kanzler.

Claudius Luterbacher ist verheiratet und Vater von vier Kindern. (ck)