Gedenkfeier im Berner Münster zu 100 Jahre Armeniergenozid
Schweiz

Strassburger Urteil: Schweizer Juden bedauern, Kirchenbund bestätigt seine Haltung zu Armeniern

Zürich, 17.10.15 (kath.ch) Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) und die Plattform der Liberalen Juden der Schweiz (PLJS) bedauern das Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vom 15. Oktober. Gemäss diesem hat die Schweiz im Fall Perinçek die Meinungsfreiheit verletzt. Perinçek hatte an Veranstaltungen in der Schweiz den Genozid an den Armeniern geleugnet. Das Urteil ist für den Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund (SEK) kein Grund, seine Haltung zum Genozid an den Armeniern zu ändern, wie das Internetprotal ref.ch mitteilt.

Dier Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) und die Plattform der Liberalen Juden der Schweiz (PLJS) drücken in ihrer gemeinsamen Mitteilung vom 16. Oktober ihr Bedauern über das Urteil aus. Strassburg stelle mit diesem Urteil jedoch die Vereinbarkeit der Rassismus-Strafnorm und der Meinungsfreiheit nicht in Frage. Die beiden jüdischen Dachverbände halten in ihrer Mitteilung fest, dass die Leugnung von Genoziden weiterhin bestraft werden könne, «wenn dabei die betroffene ethnische oder religiöse Gruppe gezielt herabgesetzt oder zu Hass gegen sie aufgerufen wird».

Rassismus-Strafnorm nicht auf Holocaust beschränken

Der EGMR halte allerdings auch fest, dass in früheren Urteilen die Bedingungen, welche die Leugnung von Genoziden unter Strafe stellen, «bei der Holocaust-Leugnung praktisch immer erfüllt waren». Zudem lasse der EMGR die Vermutung gelten, dass eine Leugnung des Holocaust die Herabsetzung der Juden automatisch beinhalte.

Die jüdischen Dachverbände betonen in ihrer Stellungnahme jedoch, dies dürfe nicht bedeuten, ” dass der Leugnungstatbestand der Rassismus-Strafnorm nur auf den Holocaust beschränkt sein sollte».

Die jüdischen Verbände warnen davor, das Urteil vom 16. Oktober zu instrumentalisieren, um damit die Rassismus-Strafnorm als Ganze in Frage zu stellen. Das Urteil betrifft ihrer Meinung nach nur einen kleinen Teil der Strafnorm und nicht die Norm als Ganze.

«Verhöhnung der Überlebenden»

Auch der Schweizerische Evangelische Kirchenbund (SEK) äusserte sich auf Anfrage des Online-Portals ref.ch zum Strassburger Urteil. Bereits im Februar 2014 habe SEK-Präsident Gottfried Locher in einem Brief an Bundesrätin Simonetta Sommaruga festgehalten: «Unabhängig von juristischen Urteilen und politischen Abwägungen bedeutet die Relativierung des geschehenen Menschenunrechts eine unerträgliche Verhöhnung der Überlebenden. Das ist mit einer auf Recht und Freiheit gründenden Weltgemeinschaft unvereinbar.» Für den Kirchenbund sei das Strassburger Urteil daher kein Grund, seine Position zum Genozid an den Armeniern zu ändern.

Auch der SEK befürchtet allerdings, dass das Urteil eine Schwächung der Rassismus-Strafnorm zur Folge haben könnte, was er sehr bedauern würde.

Der SEK hatte Ende September eine Gedenkfeier anlässlich des Genozids an den Armeniern organisiert. An dieser nahm Aram I. Kechichian, geistliches Oberhaupt der in der Diaspora lebenden Armenier mit Sitz im Libanon, teil. Bischof Markus Büchel vertrat die Schweizer Bischofskonferenz (SBK).

Perincek hatte im Jahr 2005 anlässlich mehrerer Auftritte in der Schweiz den Völkermord an den Armeniern vor hundert Jahren als «internationale Lüge» bezeichnet. Er war deshalb von der Schweizer Justiz durch alle Instanzen hinweg wegen Rassendiskriminierung verurteilt worden. 2013 hatte eine Abteilung des EGMR eher überraschend die Auffassung vertreten, dass die Schweiz damit die Meinungsfreiheit Perinçeks verletzt habe. Auf Ersuchen der Schweiz wurde der Fall von der Grossen Kammer des Strassburger Gerichtshofs neu angeschaut. Die Grosse Kammer des EGMR kam diese Woche zum Schluss, dass die Schweiz die Meinungsäusserungsfreiheit Perinçeks verletzt habe. (sys)

 

Gedenkfeier im Berner Münster zu 100 Jahre Armeniergenozid | © 2015 Jacques Berset
17. Oktober 2015 | 11:14
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