Ivo Graf, Theologe und Co-Präsident (bis April 2015) des Luzerner Männerbüros Manne.ch
Schweiz

«Mannsein ist wie Glauben: Ein lebenslanger Prozess»

Luzern, 1.7.15 (kath.ch) Gemeinschaft, Rituale – und wenig Moralismus. Männergruppen sind für viele Männer die bessere Kirche. Der Luzerner Ivo Graf (62) kennt beides gut. Für den Theologen und im April zurückgetretenen, langjährigen Co-Präsidenten von Manne.ch überwiegen Gemeinsamkeiten.

Remo Wiegand

Herr Graf, wie stiessen sie zur Männerbewegung?

Ivo Graf: Vor 16 Jahren begann ich mich in einer Männergruppe in Willisau zu engagieren. Wir trafen uns alle zwei Wochen, führten intensive Gespräche zu Fragen wie: Was heisst Mannsein für mich? Wo liegen für mich Probleme? Allmählich wurden dann auch gemeinsame Erlebnisse in der Natur, beim Spiel oder in der Körperarbeit wichtiger.

Rituale sind ein fester Bestandteil der Männerbewegung. Was gibt es für Männer zu feiern?

Graf: Ein wichtiges Ritual ist sicher die Wintersonnenwende im Dezember. Da geht es darum, zurückzuschauen und die Zukunft zu begrüssen. Ich habe Rituale erlebt, in dem man auf ein Stück Holz Belastendes aufschreibt, das man loslassen möchte. In einem Feuer wird das dann symbolisch gewandelt.

 Ähnliche Übergangsrituale gibt es in der Kirche. Was hat die Männerbewegung, was der Kirche fehlt?

Graf: Schwierig ist für viele Männer sicher die kirchliche Moral. Ich war in meiner Männergruppe zum Beispiel der einzige, der nicht geschieden oder in Trennung war. Das ist ein sehr belastetes Thema in der Kirche. In der Männerbewegung finden Sie einen Raum, in dem sie freier aussprechen können, was sie bewegt. Das Risiko, bewertet und beurteilt zu werden, ist kleiner.

Wie Sie engagieren sich auffällig viele Theologen in der Männerbewegung. Ist es für Sie die neue religiöse Heimat?

Graf: Ich bin sowohl dort wie in der Kirche zuhause. Die meisten Theologen arbeiten in der Diakonie, zum Beispiel in der Entwicklungshilfe oder – wie ich selbst – in der Gefängnisseelsorge. Das sind Bereiche, wo die gleichen Werte gelten wie in der Männerbewegung, nämlich offen und undogmatisch auf Menschen zuzugehen, unabhängig davon, was sie glauben oder gemacht haben. Die katholische Kirche Luzern macht zudem vieles, das uns sehr entspricht: Sie unterstützt das Männerpalaver oder organisiert sinnliche Rituale, beispielsweise in der Silvesternacht oder am Karfreitag, an denen mir immer wieder Männer unserer Bewegung begegnen.

Die feministische Theologie hat die weiblichen Seiten Gottes entdeckt. Inwiefern ergänzt auch die Männerbewegung das klassisch-kirchliche Gottesbild?

Graf: Auch wir haben weibliche Anteile in uns entdeckt. Wenn früher ein Mann weinte oder einen anderen Mann umarmte, galt das als unmännlich. Heute sagen wir selbstbewusst, dass Gefühle oder Körperlichkeit zu Männern gehören. Und somit sind es auch Attribute von Gott.

20 Jahre Manne.ch in Luzern 10 Jahre Männer.ch schweizweit. Was hat die Männer-Bewegung bisher erreicht? Und was sind die nächsten Herausforderungen?

Graf: Wir haben Räume geschaffen, wo sich Männer begegnen und untereinander austauschen. Das ist wesentlich, um ganzheitlich Mann zu werden, um das Patriarchat abzustreifen, das uns in den Knochen sitzt. Auf politischer Ebene sind die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die Förderung von Teilzeitjobs Schwerpunkte. Als zukünftige Herausforderung sehe ich, vermehrt mit Frauen in gesellschaftlichen und männerpolitischen Anliegen zu kooperieren.

Zum Schluss die Gretchenfrage: Wann ist ein Mann ein Mann?

Graf (lächelt): Wenn er sich dieser Frage in einem fortlaufenden Prozess stellt. Wenn er durch gesellschaftliche Tendenzen hindurch zu sich zu stehen lernt, zu allen Gefühlen, die er zuvor verdrängt hat. Es ist wie mit dem Glauben: Damit ist man nie fertig. Mannsein ist ein Weg, der über Auseinandersetzungen, Zweifel und Erkenntnisse, über Teilen und Zeugnisgeben zur Freiheit führt. (rw)


Männer feiern

Seit 20 Jahren gibt es das Luzerner Männerbüro Manne.ch, seit 10 Jahren den gesamtschweizerischen Dachverband Männer.ch. Ersteres ist mit 250 Mitgliedern und diversen Angeboten wie Männer-Zmorge, Ritualen oder Gewaltberatung das aktivste Männerbüro der Schweiz. Männer.ch seinerseits zählt 25 Kollektivmitglieder und vertritt rund 3000 Personen. Der Dachverband ist unter anderem Ansprechpartner für Politik und Medien. Manne.ch und Männer.ch feiern ihr Jubiläum mit verschiedenen Veranstaltungen. www.manne.ch / www.männer.ch (rw)

 

Ivo Graf, Theologe und Co-Präsident (bis April 2015) des Luzerner Männerbüros Manne.ch | © 2015 zVg
1. Juli 2015 | 07:15
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