Martin Luther in einem Porträt von Lucas Cranach dem Jüngeren.
Schweiz

Freiburger Symposium: Luther bald kein konfessioneller Zankapfel mehr?

Freiburg i.Ü., 3.6.15 (kath.ch) Martin Luther ist ein endloses Feld. Drei Tage lang beschäftigten sich Ende Mai über zwanzig Theologen aus ganz Europa in Freiburg mit der heutigen Stellung des Reformators auf dem Kontinent. Das Fazit des Treffens: Die ökumenische Diskussion hat zwischen den Konfessionen zu einer Annäherung bezüglich Luther geführt. Streng katholische Kreise wie die Piusbrüder weisen jedoch «noch etwas Lernbedarf auf», sagte der Paderborner Theologe Wolfgang Thönissen gegenüber kath.ch.

Georges Scherrer

Mit einer «Luther-Dekade» (»Luther-Jahrzehnt») von 2008 bis 2017 erinnern die evangelischen Kirchen Europas an den Reformator Martin Luther (1483-1546). Dieser schlug am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen gegen den Missbrauch des Ablasshandels an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg an. Das internationale Symposium der Theologischen Fakultät Freiburg (Schweiz) vom 28. bis 30. Mai mit dem Titel «Luther: Zankapfel der Konfessionen und ‘Vater im Glauben’?» bettete sich in das Reformationsgedenken ein.

Hauptverantwortlich für die Durchführung des Treffens war Mariano Delgado, Professor für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte in Freiburg. Mit dem Resultat des Treffens ist er überaus zufrieden. Es habe sich gezeigt, dass sowohl bei den protestantischen wie katholischen Referenten eine gemeinsame Basis der Verständigung entstanden sei. Theologen und Theologinnen suchten nicht nur nach einer Brücke zwischen den verschiedenen Denkformen. Sie bringen, wie Delgado gegenüber kath.ch erklärte, auch Verständnis für die verschiedenen Lebensformen auf, die sich in den Konfessionen entwickelt haben.

«Reinigung der historischen Erinnerung»

Die theologische Forschung habe dazu beigetragen, dass die Ökumene sich vorwärts gerichtet entwickeln konnte. Das Freiburger Treffen galt der Rezeption der Lutherbilder in den verschiedenen Konfessionskulturen und Nationalkulturen Europas. Die Geschichte Europas müsse gemeinsam interpretiert werden, damit «wir – so Delgado zu kath.ch – im Sinne dessen vorankommen, was die katholische Kirche unter Papst Johannes Paul II. Ende der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts intendierte: Eine Reinigung der historischen Erinnerung». Forschungsarbeit sei die Voraussetzung für die Umsetzung dieser Intention, so Delgado.

Als wichtiges Element habe sich nach drei Tagen Diskussionen heraus kristallisiert, dass Luther heute auch katholisch verstanden werden könne. Delgado: «Luther kann in der katholischen Kirche ankommen. Ein Stück weit ist mit dem Zweiten Vatikanische Konzil vieles von dem, was Luther in einer polemischen Verkleidung formuliert hat, durchaus als urkatholische Lehre anerkannt worden.»

Seit der Reformation hätten sich die Konfessionen, bedingt durch Kriege, Polemik und einer theologischen Streitkultur, auseinander gelebt. Heute müsse man lernen, so Delgado, die verschiedenen Reformationen im 16. Jahrhundert, die katholischen Reformen eingeschlossen, als ein «Ringen der damaligen Christenheit um das so genannte Wesen des Christentums zu verstehen. Dass wir dabei Jahrhunderte lang der anderen Seiten abgesprochen haben, überhaupt im Wesentlichen zum Wesen des Christentum zu gehören, das ist ein anderes Problem. Jetzt sollten wir aber anerkennen, dass dieses Wesen des Christentums grundsätzlich in jeder Konfession, in jeder Kirche mit eigenen Akzenten vorhanden ist».

Suche nach dem «korrekten Lutherbild»

Der evangelische Theologe Volker Leppin, Professor für Kirchengeschichte in Tübingen, eröffnet am 28. Mai den Reigen der zahlreichen Rednerinnen und Redner. Für ihn habe das Symposium die Vielfalt der Lutherwahrnehmungen in Europa aufgezeigt. Heute müsse diese Vielfalt berücksichtigt werden, wenn man über Luther reden wolle, sagte der Theologe gegenüber kath.ch. Schon allein im deutschsprachigen Raum würden unterschiedliche Perspektiven sichtbar und das heisst: «Wir sind konfessionell geprägt. Das heisst, wir müssen sehr vorsichtig miteinander umgehen und auf das hören, was jemand anderes in Luther sieht, an Luther findet, um zu einem korrekten Lutherbild zu kommen.»

Europäische Vielfalt und deutsche Luther-Fokussierung

Die Schweizer Reformierten würdigten Luther eingereiht in einen Kreis anderer Reformatoren wie Zwingli und Calvin, erklärte Leppin gegenüber kath.ch. Die Schweizer sähen Luther «ein Stück weit nüchterner als die deutschen Lutheraner». Ganz anders in Skandinavien: Dort stehe Luther in einer Kontinuität, weil die Kirchen insgesamt stärker ihre Strukturen an das Mittelalter anknüpften. In Deutschland schliesslich fokussierten die Kirchen der Reformation stark auf die Person Luther.

Die deutschen Lutheraner hätten eine Tendenz, Luther als Person in den Mittelpunkt zu stellen. Die Forschung aber habe diese Gefahr überwunden und Luther heute in sein damaliges Umfeld eingebettet. Darum Leppins Kritik: «Die Feiern für 2017 sind schon sehr stark auf die Person Luther gerichtet.»

Katholische Weiterentwicklung

In das laufende Lutherjubiläum bringe das Freiburger Symposium eine Vervielfältigung von Perspektiven ein. «Wir müssen sehen, dass Luther nicht eng geführt wird, sondern, dass er etwa auch im Gespräch mit der orthodoxen, der katholischen und auch der calvinistisch-reformierten Theologie eingebracht wird.Das Symposium habe auch deutlich gemacht, dass auf katholischer Seite Luther nicht mehr der Geruch des Häretikers anhänge. Aufgrund eines Lernprozesses werde heute auf katholischer Seite Luthers Beitrag zu einem Gesamtverständnis des Christentums gewürdigt.

Heute könnten katholische Theologen ohne weiteres sagen, dass es zur Spaltung der Kirche im 16. Jahrhundert aufgrund eines gegenseitigen Prozesses gekommen sei, denn «es liegt nicht allein an Luther und auch nicht allein an den Gegnern. Sie haben sich in mehreren Jahren hochgeschaukelt, bis die kritischen Anfragen Luthers zur Verurteilung in der Bannbulle führten».

Die Differenzen von damals und ihre Entstehung müssten genau analysiert werden, aber auch die Impulse, die Luther gab. Leppin gegenüber kath.ch: «Der positive Impuls Luthers ist ein grundökumenischer, wenn er sagt: Es ist eine Gnade Gottes, von der wir alle leben.» Der ökumenische Gedanke ist so neu nicht. Er wurde in der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtsfertigungslehre im Jahre 1999 festgehalten, präzisierte Leppin. An den heutigen Theologen liege es, dass sie immer wieder diesen Gedanken in das wissenschaftliche und ökumenische Gespräch einbringen.

Thönissen: Luther – ein Katholik?

Über eine mögliche heutige Einbindung Luthers in die Lehre der katholischen Kirche referierte der katholische Theologe Wolfgang Thönissen, Professor für Ökumenische Theologie in Paderborn. Er meinte in seinem Vortrag, er könne damit leben, «dass Luther der Reformator ist. Reformator heisst aber, er steht ausserhalb der Kirche», warnte Thönissen und ergänzte: «Wenn ich aber sage, er steht als Reformator, der die Reform der Kirche wollte, in der Kirche, dann ist er in gewisser Weise katholisch. Ich brauche den Begriff Reformator nicht abzuweisen. Ich nehme dieses Kantige, das Dagegen-sein, sehr wohl wahr. Aber ich meine, dass er auf dem Boden der katholischen Kirche stehen geblieben ist.»

Thönissen ist überzeugt, wie er gegenüber kath.ch ausführte, dass er mit einer solchen Aussage nicht einen Aufschrei bei den Angehörigen der anderen Konfessionen auslöst. Vielmehr sei man sich 500 Jahre nach der Reformation bewusst geworden, dass «wir auf einer gemeinsamen Grundlage stehen». Konkret heisse das, dass der Glaube an Jesus Christus so breit ist, dass darin auch unterschiedliche Vorstellungen, unterschiedliche Existenzformen das christliche Miteinander verbinden können.

Thönissen geht davon aus, dass die Zeiten eines konfessionell bedingten Lutherbildes vorbei sind. Im heutigen ökumenischen Zeitalter seien viele Zugänge zu Luther möglich. Anders gesagt: «Ich denke, der lutherische Luther ist kein antikatholischer Luther, und der katholische Luther ist kein antilutherischer Luther. Es sind vielmehr unterschiedliche Fragestellungen und Positionen, die innerhalb des einen Christentums möglich sind». Das Zweite Vatikanische Konzil habe eine Annäherung ermöglicht und die «Annäherung, die wir erreicht haben, ist grossartig». Streng katholische Kreise wie die Piusbrüder wiesen in diesem Zusammenhang jedoch «noch etwas Lernbedarf auf», so Thönissen gegenüber kath.ch. (gs)

 

Martin Luther in einem Porträt von Lucas Cranach dem Jüngeren. | © flickr magro_kr
3. Juni 2015 | 10:58
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Kardinals Kochs Begriff von Reformator hinterfragt

Bei einem Reformationskongress 2013 in Zürich hatte der Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, Kardinal Kurt Koch, erklärt, dass die Reformation eine von mehreren Reformbewegungen in der Geschichte der Kirche sei. Angesprochen auf diese Aussage sagte der evangelische Theologe Leppin am 30. Mai gegenüber kath.ch: «Man muss sauberer die Begriffe Reformer und Reformator unterscheiden. Als einen Reformator verstehe ich jemanden, dessen Anstösse auch gesellschaftliche Änderungen mit sich gebracht haben. Das ist bei Luther der Fall und auch bei Zwingli und Calvin. Franz von Assisi und Ignatius von Loyola haben neue Glaubensimpulse gesetzt und sind deshalb Reformer. Insofern gehört Luther zu den Reformern. Er hat aber als Reformator noch einmal stärker gewirkt.» Denn aus seiner Reformbewegung sei eine Reformation entstanden, die zur Gründung einer eigenen Kirche führte. (gs)

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Mit einer «Roadshow» wollen die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und der Deutsche Evangelische Kirchentag die Europäer miteinander verbinden. Ein Reformations-Lastwagen besucht dabei auch die Städte Bern, Basel, Zürich, Chur, Neuenburg, Lausanne und Genf. Die Reformationstour startet im November 2016. Der Reformations-Truck besucht 67 europäische Städte und wird zum Abschluss der Tour im Mai 2017 in Wittenberg erwartet. (gs)