Der Oberwalliser Peter Bürcher leitet die nördlichste Diözese der Welt

Reykjavik, 28.4.15 (kath.ch) Der Walliser Peter Bürcher ist seit 2007 Bischof im isländischen Reykjavik. Die Diözese ist jung, ihre Gläubigen sind mehrheitlich Einwanderer aus Polen und den Philippinen und sie gehört zu den wenigen Diözesen der westlichen Welt, deren Taufzahlen die Anzahl der Beerdigungen um das Zehnfache übersteigen. Nach acht Jahren Amtszeit in dem «faszinierenden Land voller Gegensätze» hat Bischof Peter Bürcher jetzt aus gesundheitlichen Gründen sein Rücktrittsgesuch eingereicht. Bis zum endgültigen Entscheid durch Papst Franziskus bleibt der 69-Jährige aus Fiesch VS Oberhaupt der 13’000 Katholiken der Insel. Ein Gespräch über den nördlichsten Teil der katholischen Welt.

Andrea Krogmann

Peter Bürcher, Sie sind seit 2007 Bischof von Reykjavik. Was für eine Diözese haben Sie vor nunmehr 8 Jahren übernommen?

Peter Bürcher: Diese Diözese ist jung, im Jahr 2008 hat sie ihr 40-jähriges Bestehen gefeiert. Als sechster Bischof seit der Reformation stiess ich auf reiche apostolische Erfolge: Konversionen, die Katholizität dieses Volkes, die ersten Krankenhäuser, die von Ordensgemeinschaften erbaut und geleitet werden. Gleichzeitig sah ich viel Elend. Die Katechese war rudimentär, das liturgische Leben grosszügig, aber oft vorkonziliar, die Sakramentalisierung stand vor der Evangelisierung. Vor allem aber war es eine Diözese in roten Zahlen. Ich habe mich mit vollem Einsatz in all diesen Bereichen engagiert.

Mit einer Ausnahme war kein Bischof der jungen Diözese Isländer. Ist die Sprachbarriere ein Handicap für den Kontakt zur isländischen Kirche?

Bürcher: Es ist sicher ein pastoraler Nachteil. In der Realität haben wir aber nicht viele isländische Priester. Unter den achtzehn Priestern meiner Diözese, deren Durchschnittsalter bei 48 Jahren liegt, ist nur ein einziger Isländer, und er ist älter als ich. Zum anderen ist dies ein Ausdruck der universellen Dimension der Kirche. Wir sind keine Nationalkirchen, sondern eine einzige Kirche, die sich in alle Welt ausbreitet. Und schliesslich sind nur eine kleine Minderheit der Katholiken hier Isländer. Die grosse Mehrheit sind Polen und Philippinen. Wenn man von diesem Standpunkt ausgeht, bräuchte es eher einen polnischen Bischof, der Isländisch sprechen kann.

Mit Blick auf eine Neuevangelisierung oder Mission in Island wären vertiefte Sprachkenntnisse aber dennoch hilfreich…

Bürcher: Für die Pastoral ist es wesentlich, die isländische Sprache, Geschichte und Kultur zu kennen. Wenn es also keinen isländischen Priester gibt, erfüllen nur jene Priester diese Kriterien, die in Island gelebt haben. Rein sprachlich zum Beispiel gibt es keine Ähnlichkeiten zu Dänisch oder Norwegisch. Wir sind also stark eingeschränkt. Wenn ich etwa die Sprache ausreichend hätte lernen wollen, hätte ich zunächst zwei Jahre Vollzeit an der Universität studieren müssen, wie es unsere jungen Priester tun. Da ich dies nicht tun konnte, war mein primäres Ziel, isländisch lesen zu können, um das Wesentliche zu verstehen und die Messe auf Isländisch feiern zu können und auf Isländisch predigen zu können.

Was wir aber brauchen, sind Berufungen – sowohl für das Priesteramt, als auch für das Ordensleben. Denn auch unter den 31 Ordensfrauen gibt es keine Isländerin. Vollamtliche Laientheologen haben wir in der isländischen Kirche nicht, vor allem aus finanziellen Gründen.

Kein Jahr nach Ihrer Ankunft trifft die Finanzkrise Island hart – und damit auch die Katholiken?

Bürcher: Viele Haushalte hatten Kredite in ausländischen Währungen zur Finanzierung ihrer Häuser oder Autos aufgenommen. Mit der Krise ist die Landeswährung, die isländische Krone, zusammengebrochen. Die Mehrheit unsrer Katholiken arbeitete in Fischereihäfen oder auf Baustellen, die kurzerhand eingestellt wurden. Viele Polen zum Beispiel sind in ihre Heimat zurückgegangen. Aber es ist ihnen schnell klar geworden, dass die Bedingungen für Arbeitslose in Island vorteilhafter sind als in Polen. Die meisten sind also nach Island zurückgekommen. Die ethischen Probleme im Zusammenhang mit der Arbeitslosigkeit wurden dadurch zu einer sozialen und pastoralen Sorge für uns.

Ist die schlimmste Krise überstanden?

Bürcher: Der Ausweg aus der Krise war mühsam, und noch heute zeigt er seine Schwierigkeiten in den verschiedenen landesweiten Streiks. Es wird noch Zeit brauchen, auch wenn die Schwäche der isländischen Krone einen wahren Touristenboom ausgelöst hat.

Vorausgesetzt, Papst Franziskus nimmt Ihren gesundheitsbedingten Rücktritt an: In welchem Zustand werden Sie die Diözese an Ihren Nachfolger übergeben?

Bürcher: Ich hoffe, dass ich Island in einem besseren Zustand hinterlasse, als ich es vorgefunden habe, zumindest was die katholische Kirche der nördlichsten aller Diözesen der Welt betrifft! Dieses vielfältige Land voller Kontraste hat mich fasziniert. Und natürlich habe ich meine Gewissensprüfung gemacht. Die Zahl der Katholiken ist in den letzten Jahren im Schnitt um 20 Prozent jährlich gestiegen, in Island haben wir den höchsten Katholikenanteil in allen nordischen Ländern, das heisst 3,6 Prozent. Während meiner Amtszeit konnte sich die Diözese dem Weg des ständigen Diakonats öffnen. Ich durfte die Bereiche der Bildung, der Katechese und der Liturgie erneuern. Wir haben verschiedene Gebetstriduen und eucharistische Anbetungen organisiert. Zum Thema sexueller Missbrauch haben wir, dem Beispiel der letzten Päpste folgend, Aufklärung betrieben und vor allem die Prävention verstärkt. Die Familienpastoral schliesslich muss sich weiterentwickeln in einem oft säkularen und christlichen Werten feindlich gesinnten Umfeld.

Während meiner Amtszeit habe ich die Beziehung zum Ritterordern vom Heiligen Grab in Jerusalem sowie zum Malteserorden vertieft, bei denen ich jeweils Mitglied bin. Als Bischof von ganz Island lag mir daran, die ökumenischen Beziehungen zu vertiefen, insbesondere jene mit der lutherischen Gemeinschaft und der russisch-orthodoxen Kirche. In Reykjavik lag es mir sehr am Herzen, den Armen Aufmerksamkeit zu schenken, vor allem in Zusammenarbeit der sehr engagierten Mutter-Teresa-Schwestern. Ich bedauere es nicht, dieser Insel mit einer Fläche zweieinhalb Mal so gross wie die Schweiz als Bischof gedient zu haben und die Gelegenheit gehabt zu haben, die nordischen Länder in ihrer Diversität kennenzulernen. Gleichzeitig weiss ich, dass es noch viel zu tun gibt – zum Glück für meine Nachfolger!

Was für einen Nachfolger wünschen Sie den Katholiken Islands?

Bürcher: Einen Hirten nach dem Herzen Gottes, der, soweit es bei all den genannten Einschränkungen möglich ist, den Erwartungen dieses katholischen Volkes entspricht, das von Jahr zu Jahr um zwanzig Prozent wächst. Ich würde mir wünschen, dass diese Entwicklung weitergeht und auch, dass der Glaube dieser Katholiken sich vertieft bei gleichzeitiger Offenheit gegenüber jenen, die die Mehrheit der Gläubigen Islands sind: den Lutheranern.

Welche von den zahlreichen Herausforderungen waren die grössten Ihrer Amtszeit?

Bürcher: Ich habe mich bemüht, in dem schwierigen sozio-ökonomischen Umfeld diejenigen im Glauben zu stärken, die mir anvertraut sind. So haben wir etwa in den letzten Jahren zu unserer grossen Freude zehn Mal mehr Taufen feiern dürfen als Beerdigungen. Das ist sehr hoffnungsvoll. Hier liegt die Chance zu einer Evangelisierung, und eine Katechese ist unerlässlich.

Zudem habe ich seit meiner Ankunft alles daran gesetzt, die Finanzen sowie die diözesane Infrastruktur zu konsolidieren. Aus Deutschland und der Schweiz haben wir grosse Hilfe erfahren. Zu den Unterstützern zählen neben mehreren Diözesen und Pfarreien das Bonifatiuswerk, das Diasporakommissariat, das Ansgarwerk, Kirche in Not, Aktion «Unsere Hilfe» und die «Association St. Jean-Marie Vianney Lausanne», die eine eigene Internetseite eingerichtet haben. Dank diesen Wohltätern konnten wir mehrere Grundstücke und Immobilien erwerben, so dass ich in acht Jahren drei neue Kirchen und zwei neue Kapellen einweihen durfte und wir jetzt 18 Gotteshäuser im Land haben. Dringend stehen jetzt noch der Neubau von zwei Kirchen und die Erweiterung zweier bestehender Kirchen an.

Es gibt noch weitere bedeutende Baustellen in Ihrer Diözese…

Bürcher: In Stykkisholmur in den Westfjorden entsteht derzeit das erste und einzige katholische Bildungs- und Exerzitienhaus Islands, das durch zweckgebundene Spenden aus Deutschland und der Schweiz möglich wurde. Es liegt unweit des Wallfahrtsortes Mariulind, an dem nach den Erzählungen im Jahr 1230 die heilige Jungfrau Maria einem meiner Vorgänger, Bischof Guðmundur Arason «dem Guten», erschienen ist. Seit 2011 ist es uns gelungen, eine jährliche Diözesanwallfahrt nach Mariulind zu etablieren. Und schliesslich habe ich den Plan, in der Nähe von Reykjavik ein Kloster für eine neue kontemplative Gemeinschaft einzurichten. Das sind die Herausforderungen für die Neuevangelisierung in Island.

Für welche Erfahrung Ihrer Amtszeit sind Sie besonders dankbar?

Bürcher: Im vergangenen Jahr haben wir nach intensiven Arbeiten und dank der Hilfe zahlreicher Mitarbeiter die erste Ausgabe des Missale Romanum in isländischer Sprache veröffentlichen können. Ein Exemplar haben wir Papst Franziskus überreichen dürfen, ein weiteres an den isländischen Staatspräsidenten. Das liturgische Buch wird nun in allen katholischen Kirchen des Landes eingesetzt.

Seit meinem ersten Jahr hier in Island lag mir am Herzen, die Teilnahme unserer Jugendlichen an nationalen und internationalen Weltjugendtagen zu fördern. Zu meiner grossen Freude sind die Jugendlichen meinem Appell gefolgt. Sie sind die Gegenwart und die Zukunft unserer Kirche.

Und Ihre persönlichen Projekte für die Zukunft?

Bürcher: Auf Rat meiner Ärzte habe ich Papst Franziskus mein Rücktrittsgesuch eingereicht. Ich bedaure es, nach zwanzig Jahren als Bischof in der Schweiz und in Island dieses schöne Land und diese junge und expandierende Diözese aus gesundheitlichen Gründen verlassen zu müssen. Ich habe die Ernennung zum Bischof von Reykjavik im Gehorsam gegenüber Papst Benedikt XVI. angenommen, ich werde im Gehorsam gegenüber Papst Franziskus und der Ärzte gehen, wenn es soweit ist.

Als Bischof emeritus werde ich der Kirche auf andere Weise dienen. Im Einvernehmen mit dem Lateinischen Patriarchen von Jerusalem habe ich beschlossen, meinen Ruhestand in einer ersten Zeit und in einem Teil des Jahres im Heiligen Land zu verbringen, sofern die Umstände es zulassen. Ich werde mich dort mit Freude dem Gebet widmen und, nach meinen Möglichkeiten, als Exerzitien- und Pilgerbegleiter zur Verfügung stehen, um wie seit Anfang meiner Amtszeit die Christen des Heiligen Landes zu unterstützen. Einen weiteren Teil des Jahres werde ich im Dominikanerinnenkloster in Schwyz verbringen.

Bis zur Entscheidung von Papst Franziskus bleibe ich für die Diözese Reykjavik verantwortlich. (ak)

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Pierre Bürcher

 

Firmung durch Bischof Peter Bürcher | © Andrea Krogmann
28. April 2015 | 15:00
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