Samuel M. Behloul
Schweiz

Verhüllungsinitiative: Der Mehr-Wert des Islam

Freiburg i.Ü., 30.9.15 (kath.ch) Die am Dienstag, 29. September, lancierte Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» spricht sich gegen eine Ganzkörperverschleierung von Musliminnen aus, hat aber, wie bereits die Anti-Minarett-Initiative den Islam als Ganzes im Visier. In einem Kommentar für kath.ch erläutert der Direktor von «migratio» aber noch weitere kritische Punkte dieses aus christlicher Sicht klar abzulehnenden Volksbegehrens.

Samuel M. Behloul*

Die vom «Egerkinger-Komitee» gestern lancierte Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» oder auch genannt als Burka-Initiative, gehört zweifelsohne nicht in die Kategorie einer vom Ausgang her ergebnisoffenen Initiativen. Kommt die Initiative vor das Volk, so ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sie angenommen wird. Die Gründe dafür liegen einerseits darin, dass ein Gesichtsschleier auf die meisten Menschen in der Schweiz, inklusive auch auf die meisten Musliminnen und Muslime, befremdlich wirkt. Der Initiativtext ist andererseits in einer wohlwollenden und von Sorge um die Allgemeinheit getragenen Form verfasst, dass er ein breites gesellschaftliches und politisches Spektrum anspricht – von links über feministisch und liberal bis hin zu rechts und christlich-konservativ.

Drei zentrale Motive, beziehungsweise Anliegen bestimmen den Initiativtext des «Egerkinger-Komitees»: 1. Die zwischenmenschliche Kommunikation, die nur dann möglich sei, wenn Menschen einander ins Gesicht schauen können; 2. Die Sorge um Sicherheit bei öffentlichen Veranstaltungen wie beispielsweise bei Demonstrationen oder Fussballspielen sowie die Gefahr terroristischer Akte bei Ganzkörperverhüllung und 3. die Gleichberechtigung von Frau und Mann.

Die genannten Motive, so logisch sie auf den ersten Blick auch erscheinen mögen, irritieren zugleich und werfen zahlreiche Fragen auf. Bei der Forderung nach einer idealen Kommunikation, bei der das Gesicht frei ist, stellt sich für mich spontan die Frage, ob es in einer demokratischen und freiheitlichen Gesellschaftsordnung einen gesetzlich vorgeschriebenen Zwang zur Kommunikation geben kann. Wenn ich beispielsweise in Zürich Wiedikon einen ultraorthodoxen Juden mit seinem überdimensionierten Pelzhut anspreche und dieser mir aus religiösen Gründen die Kommunikation verweigert, dann gehört es zu seiner persönlichen (Religions-)Freiheit, dies zu tun. Ob ohne oder mit Kopfbedeckung, ohne oder mit einem Gesichtsschleier haben auch Musliminnen ihr persönliches oder religiös begründetes Recht, mir die Kommunikation zu verweigern.

Dass es schwerwiegende Gründe der Sicherheit geben kann, die direkt die Bekleidung betreffen, ist unstrittig. Mit Blick auf die Burkaträgerinnen in der Schweiz sehe ich diese Begründung aber nicht gerechtfertigt. Man kann diese oder jene Art der Kleidung natürlich nicht mögen. Aber in einer Gesellschaft, in der die Freiheit des Individuums ein hohes Gut darstellt, können sich die Menschen – ob aus religiösen oder modischen Gründen – kleiden wie es ihnen gefällt. Und solange wir uns dabei bloss befremdet fühlen, gibt es keinen Grund, gesetzliche Vorschriften zu erlassen.

Die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» mag auf den ersten Blick erstaunen. Dies insbesondere wenn man bedenkt, dass sie ausgerechnet aus einem politischen Kreis kommt, der für weniger Staat und Bürokratie und für die Eigenverantwortung des Individuums kämpft. Die im Initiativetext allgemein bekundete Sorge um das Allgemeinwohl einer Gesellschaft kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Initiative, wie auch die vom gleichen Komitee 2009 erfolgreich durchgeführte Minarett-Verbots-Initiative, wiederum die muslimische Minderheit in der Schweiz im Visier hat. Die Initiative steht in der Kontinuität einer seit Jahren andauernden Problematisierung von rund 5 Prozent der Gesamtbevölkerung in diesem Land.

Wie auch immer die Initiative am Schluss ausgehen mag, es bliebe zu hoffen, dass damit der «Islam-Hut» des «Egerkinger-Komitees» endlich leergezaubert würde. Aber schon bei der Minarett-Initiative wurde im Initiativtext nicht nur das Minarett definiert, sondern auch der Islam, der demnach «mehr» sei als eine Religion und der für eine andere fremde Ordnung stehe. Wenn Islam also mehr ist als eine Religion, dann wird er für das Egerkinder-Komitee auch in der Zukunft einen Mehr-Wert besitzen für weitere Initiativen. Dem friedlichen Miteinander, dem sich solche Initiative gerne verschreiben, dienen sie aber nicht. Sie machen eine religiöse Minderheit, die in diesem Land schon immer ein friedliches Miteinander pflegte, aus rein politischen Gründen zu einem Dauerproblem, das als solches gar nicht existiert.

*Samuel M. Behloul ist Nationaldirektor von «migratio», der Dienststelle der Schweizer Bischofskonferenz für die Seelsorge für die Migranten und Menschen unterwegs.

Islam-Experte: «Diese Initiative stört den Religionsfrieden»

Zur lancierten Verhüllungsinitiative: Freiheit fürs Gesicht oder Freiheit für religiöse Symbole?

Samuel M. Behloul | © 2015 Bistum Basel zVg
30. September 2015 | 14:24
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