Bischof Charles Morerod
Schweiz

Bischof Morerod: Christen lesen homophobe Bibel-Zitate im Licht des Neuen Testamentes

Freiburg i.Ü., 12.8.15 (kath.ch) Kaum noch jemand verstehe das biblische Buch Levitikus, aus dem der Churer Bischof Vitus Huonder anlässlich eines Vortrags homophobe Passagen zitierte, wörtlich. Dies sagte der Westschweizer Bischof Charles Morerod im Interview mit der Genfer Tageszeitung «Le Temps» (online, 12. August). Christen läsen den alttestamentlichen Text im Lichte des Neuen Testamentes, erklärte der Vizepräsident der Schweizer Bischofskonferenz (SBK). Im Übrigen warteten er und die Konferenz auf die Stellungnahme Huonders.

Soviel er wisse, habe auch der Churer Bischof nicht gesagt, man müsse die Bibel-Zitate in die Tat umsetzen, so Morerod weiter. Juden würden das Buch Levitikus nur selten wörtlich verstehen, wie das nun bei kürzlich an der Jerusalemer «Gay Pride Parade» geschehen sei, als ein Mann mit dem Messer auf Teilnehmer der Kundgebung losging, eine junge Frau tötete und weitere Personen verletzte.

Todesstrafe kommt nicht in Frage

Christen läsen die Passagen, die gleichgeschlechtlichen Sex mit der Todesstrafe ahnden, «im Lichte des Neuen Testamentes», sagte Morerod und zitierte gleich zwei Stellen: «Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein…» Und «Wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen.» Er selber habe die Todesstrafe schon immer radikal abgelehnt, auch für Verbrechen. Und hier, «wo es nicht um ein Verbrechen geht», erst recht.

Die Tatsache, dass jemand homosexuell sei, sei weder ein Verbrechen noch eine Sünde – vor allem dann, wenn er dies nicht selbst gewählt habe. Die Kirche bezeichne aber mit Berufung auf die Bibel «gewisse Handlungen» als «Sünde»: Denn sie gehe davon aus, dass die Fruchtbarkeit, die auf dem Unterschied zwischen Mann und Frau basiere, ein zentrales Merkmal der Sexualität sei. Es sei aber offensichtlich, dass dieser Ansatz – von einer nicht-religiösen Perspektive betrachtet – den meisten Zeitgenossen «absurd» erscheinen müsse.

Frage mit Spaltpotential

Morerod wies weiter darauf hin, dass die Frage des Umgangs mit Homosexualität ein Spaltpotential für jede Kirche darstelle, weil es ernsthafte Divergenzen in Sachen Bibelinterpretation gebe. Als Beispiel nannte der Bischof von Lausanne-Genf-Freiburg die Anglikaner. Als Mitglied einer für den Dialog zwischen Anglikanern und Katholiken zuständigen Kommission wisse er um die Spannungen unter den anglikanischen Kirchen. Eine der Hauptursachen dafür seien die grossen Unterschiede im Umgang mit Homosexualität.

Das Bistum Chur hat für diese Woche eine Stellungnahme zu Huonders Vortrag vom 31. Juli in Fulda (D) in Aussicht gestellt. In dem Vortrag hatte der Churer Bischof homophobe Bibelverse aus dem Buch Levitikus zitiert. Dies provozierte einen Sturm der Entrüstung in Medien und sozialen Netzwerken. Gegen den Bischof wurden zwei Strafanzeigen bei der Bündner Staatsanwaltschaft eingereicht. Aus der Bischofskonferenz zum Vorfall geäussert hatten sich bislang der St. Galler Bischof Markus Büchel und der Einsiedler Abt Urban Federer. (bal)

Das Interview von «Le Temps» (französisch)

Bischof Charles Morerod | © Maurice Page
12. August 2015 | 12:06
Lesezeit: ca. 2 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!