Caritas-Direktor Hugo Fasel: «Die Nationalbank-Milliarde für die Kantone gehört den Armen»

Zürich/Luzern, 23.1.15 (kath.ch) Exklusiv auf kath.ch: Gastkommentar zum Nationalbank-Entscheid von Caritas-Schweiz-Direktor Hugo Fasel:

Der Entscheid der Nationalbank, den Frankenkurs frei zu geben, sorgt für Aufregung. Der Euro taucht. War dieser Schritt notwendig? War es der richtige Zeitpunkt? Niemand weiss es wirklich, und niemand kennt die realen Auswirkungen. Die Komplexität der wirtschaftlichen Vernetzung ist enorm, und die konkreten Folgen sind schwierig voraus zu sagen. Eine Gewissheit aber haben wir: Der Entscheid der Nationalbank schafft Unsicherheit, sogar Turbulenzen, und diese gehen zu Lasten der Schwächsten einer Volkswirtschaft, der Armutsbetroffenen und Arbeitsuchenden. Sie werden überhaupt vergessen, denn ihre Stimme wird kaum gehört im Lärm der grossen Verbände, die alle lautstark ihre Interessen verteidigen. Es ist deshalb wichtig, dass auch den Armutsbetroffenen Gehör verschafft wird.

Die Nationalbank hat im 2014 einen Gewinn von 38 Milliarden Franken erzielt. Vorgesehen ist, dass die Kantone jährlich eine Milliarde Franken aus diesen Gewinnen erhalten. Aufgrund der ausserordentlichen Gewinnsituation fordern die Kantone nun nachdrücklich eine höhere Gewinnausschüttung, und sie verlangen als Sondermassnahme eine zusätzliche Milliarde Franken, um ihre Budgets 2015 aufzupolieren.

Sündenböcke für leere Kantonskassen

In den letzten Jahren haben die Kantone unisono die Steuern gesenkt. Sie wollten im so genannten Steuerwettbewerb unbedingt mithalten und überboten sich gegenseitig mit Anpassungen nach unten. Dazu kam die Unternehmenssteuerreform, die vom damaligen Bundesrat Hans-Rudolf Merz dem Volk mit falschen Zahlen schmackhaft gemacht wurde. Resultat dieser Politik: die tieferen Steuern haben vor allem den Bestverdienenden und den Unternehmen Vorteile in Milliardenhöhe gebracht. Die Kehrseite dieser Geschenke besteht darin, dass viele Kantone heute Defizite verzeichnen. Die Steuersenkungen haben sie in eine finanzielle Sackgasse geführt.

Um die Budgets einigermassen ausgeglichen zu gestalten haben die Kantone Sparprogramme beschlossen. Statt einzugestehen, dass der Steuerabbau eine Übertreibung war, wird zur Rechtfertigung der Korrekturmassnahmen nach Sündenböcken gesucht. Es sind die Armutsbetroffenen, die Sozialhilfe-Empfänger! Genau jene Haushalte, die von den Steuersenkungen nicht profitiert haben, sollen nun verantwortlich dafür sein, dass Sparpakete und schliesslich auch Steuererhöhungen notwendig werden. Das sind Ammenmärchen!

Sozialabbau und Vertreibungspolitik gegen Arme

Mehrere Kantonsparlamente haben bereits Kürzungen bei der Sozialhilfe beschlossen. Es sei zu viel Geld, wenn eine alleinstehende Person pro Tag 30 Franken für Essen, Trinken, Kleider, Zahnarzt, Bus- oder Trambillet und Internetanschluss zur Verfügung habe. So die Argumentation. Der Kanton Bern spielte die Rolle des Wegbereiters. Andere Kantone folgten. Verschiedenen Gemeinden, insbesondere in St. Gallen und im Aargau, sind sogar dazu übergegangen, Armutsbetroffene gezielt in andere Gemeinden zu vertreiben. Armutsbetroffene als Vertriebene im eigenen Lande, das kennen wir normalerweise aus Ländern, die von Diktatoren beherrscht werden.

Rückkehr zu ordentlichen Leistungen in der Sozialhilfe

Vor diesem Hintergrund erwartet die Caritas von den Kantonen, dass sie die Folgen der übertriebenen Steuersenkungspolitik nicht auf dem Buckel der Ärmsten dieses Landes austragen. Wir wollen, dass die Kantone und deren Parlamente die zusätzliche Milliarde, die sie von der Nationalbank erhalten, unbedingt für die Rückkehr zu den ordentlichen Leistungen der Sozialhilfe gemäss SKOS-Richtlinien verwenden. Die zusätzliche Nationalbank-Milliarde gehört den Armutsbetroffenen!

Eine aktive Bekämpfung der Armut verlangt nach einer nachhaltige Investitionspolitik. Diese soll verhindern, dass die Zahl der Sozialhilfe-Empfänger trotz bester Konjunktur weiter wächst . Dazu gehören bessere Leistungen für kinderreiche Familien und Alleinerziehende. Heute zählt die Schweiz 260 000 Kinder, die in armutsbetroffenen Familien leben.

Um zu verhindern, dass Armut von einer Generation auf die nächste übertragen wird, braucht es Investitionen in die Frühförderung, Ergänzungsleistungen für Familien und bessere Kinderzulagen. Aus der Armutsforschung ist ebenso bekannt, dass vor allem ungenügende berufliche Ausbildung ein grosses Armutsrisiko darstellt. Investitionen in nachholende Bildung und in berufliche Weiterbildung sind ein Gebot der Stunde. Dafür sind die Gewinne der Nationalbank einzusetzen. Es geht in unsicheren Zeiten darum, die Situation der Schwächsten in unserer Gesellschaft nicht aus den Augen zu verlieren.

Hugo Fasel

23. Januar 2015 | 12:15
Lesezeit: ca. 2 Min.
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