«Wir sind traurig! Wir sind desillusioniert! Wir sind zerrissen!» 50 Seelsorgende solidarisieren sich mit Veronika Jehle

Pfingsten gilt als Geburtstag der Kirche. Doch Veronika Jehles Kündigung und ihr Abschiedsbrief an Bischof Joseph Bonnemain wühlen Seelsorgende in der Schweiz auf. In einem offenen Brief solidarisieren sie sich mit Veronika Jehle – und fordern Reformen.

Monika Hungerbühler*

Veronika Jehle hat im Herbst 2021 Bischof Bonnemain einen berührenden Abschiedsbrief geschrieben und ihre Missio für Ihre Arbeit als Spitalseelsorgerin zurückgegeben. Danach folgten viele Gespräche. Dieser Schritt wurde am 27.5.2022 öffentlich und damit ist er ein kirchenpolitisches Statement

Das Ringen um den Auftrag Christi

Auf kath.ch waren Reaktionen von Hella SodiesKarin ItenFranziska Driessen-RedingSabine ZgraggenMentari BaumannMeinrad Furrer und Monika Schmid zu lesen. 

Veronika Jehle fragt im Abschiedsbrief: «Kann ich dem Auftrag Christi unter den Menschen gerecht werden und mit der römisch-katholischen Institution in ihrer gegenwärtigen Form uneingeschränkt verbunden bleiben?» Und sie beantwortet ihre Frage: «Nein, ich kann es nicht. Deswegen gebe ich meine Missio zurück.» 

«Im Grunde wissen es alle»

Sie kapituliert vor der Nicht-Reformierbarkeit der römisch-katholischen Kirche und folgert in einem darauffolgenden persönlichen Gespräch: «Im Grunde wissen es alle».

Doris Reisinger hat in ihrer Dankesrede für den diesjährigen Herbert Haag-Preis analysiert:  «Missbrauch von Macht steckt in der DNA der Kirche. Aber die bittere Wahrheit ist: Eine Reform braucht ein Mindestmass an funktionierender Struktur, eine Verfassung, eine Rechtsordnung, eine Grundlage, die die Reform tragen kann, ohne selbst reformbedürftig zu sein. Und diese Grundlage gibt es in der katholischen Kirche nicht.»

«Weggemeinschaften von Gleichgestellten»

Die Kirche, in der wir arbeiten oder gearbeitet haben, ermöglicht eine gute, sinnvolle und schöne Arbeit, denn «immer sind es die Menschen…» (Rose Ausländer), aber die meisten meiner Kolleg:innen wissen es und haben – nicht in ihrer seelsorgerlichen Arbeit, aber – vor der Institution Kirche kapituliert. 

Sie verschwenden keine Kräfte (mehr) mit dem Rennen gegen die Wand der Institution Kirche, mit demütigenden Gesprächsrunden und Aktionen betreffend Reformen. Sie hören den Ruf Jesu, zählen sich zur «Weggemeinschaften von Gleichgestellten» (Elisabeth Schüssler Fiorenza) und leben aus der Schatztruhe der biblischen Schriften, der feministischen Theologie und der Befreiungstheologie und der Mystiker:innen. 

Das Wichtigste sind die Verbundenheiten

Aber sie arbeite(te)n in einer Kirche, die sie als Institution als heillos menschenrechts-, insbesondere als frauenfeindlich und als unreformierbar einstufen. Sie haben, wie es Doris Reisinger in ihrer Herbert Haag-Rede formuliert hat, «jedes Vertrauen in die katholische Kirche verloren». Und arbeiten (arbeiteten) doch in ihr.

Aus Freundschaft zu und in Solidarität mit all jenen, die aus verschiedenen Gründen aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten sind, die ihre Missio zurückgegeben oder erst gar keine Missio bekommen haben – zum Beispiel auf Grund ihrer offen gelegten sexuellen Orientierung, in Freundschaft und Solidarität mit all jenen, die spirituell und sexuell ausgebeutet, in ihrer Würde tief verletzt worden sind –, ist es uns wichtig, unsere Trauer über den Weggang von guten Theolog:innen und Seelsorgenden wie Veronika Jehle und vielen anderen und unsere Zerrissenheit als Seelsorgende in der römisch-katholischen Kirche zu zeigen. Dieser Schritt lässt uns nicht kalt.

«Das Ende der katholischen Kirche»

Im Bewusstsein, dass «diese Krise bodenlos ist. Sie hört nicht auf. Sie ist das Ende der katholischen Kirche» (Doris Reisinger), sehen wir: Viele stehen aktiv in Schweige-Kreisen für den Frieden, engagieren sich für Einsame und Geflüchtete, verbinden sich mit Klima-Schützer*innen, stehen gedemütigten (Ordens-) Frauen*, Männern*, Jugendlichen und Kindern bei, sind da in Spitälern, Heimen, Gefängnissen, Schulen, Bildungshäusern, Klöstern, Universitäten, Pfarreien, Verbänden und feiern das Leben. 

Ob innerhalb oder ausserhalb der römisch-katholischen Kirche ergreifen sie mit ihrer Arbeit Partei für «das gute Leben für alle» – in der Nachfolge Jesu. 

* Die feministische Theologin Monika Hungerbühler war viele Jahre für das Bistum Basel tätig. Sie wurde kürzlich pensioniert. 50 Seelsorgerinnen und Seelsorger unterstützen ihren offenen Brief. Wer Monika Hungerbühler kontaktieren möchte: info@monika-hungerbuehler.ch.


Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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