Bonnemain wird Bischof: Das sind zehn Gewinner

«Es darf nicht Sieger und Besiegte geben», sagt Joseph Maria Bonnemain, der künftige Bischof von Chur. Trotzdem bringt jede Ernennung Gewinner und Verlierer mit sich. Zu den Gewinnern gehören die Bischofskonferenz, das Opus Dei – und das duale System. Eine Analyse.

Raphael Rauch

Bischofskonferenz

Anders als in Frankreich oder Deutschland trägt die Schweizer Bischofskonferenz ihre Konflikte nicht offen aus. Hinter den Kulissen tun sich aber Abgründe auf. Wie #DomkapitelLeaks zeigte, beschuldigte Generalvikar Martin Grichting die Bischöfe von Basel und St. Gallen sowie den Abt von Einsiedeln der «feindlichen Übernahme» des Bistums Chur.

Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Bischof Felix Gmür, konterte mit der Aussage: «Es ist erschreckend und traurig zu sehen, wie tief die Gräben im Churer Domkapitel sind und wie wenig das institutionelle Wahlverfahren geachtet wird. Umso mehr braucht es als neuen Bischof einen Brückenbauer.»

Die Blockade durch Chur in der Bischofskonferenz ist ein Grund für deren Dysfunktionalität – mit fatalen Folgen für die Kommunikation, wie Mariano Tschuor in seinem Buch «Gesegnet und verletzt» schreibt: «Eine vernetzte und digitalisierte Welt kennt keine medialen Grenzen. Die Themen von Chur sind auch jene von St. Gallen, Lugano und Basel.»

Die Ernennung von Joseph Bonnemain dürfte zu einem Neustart in der Bischofskonferenz führen. Was Joe Biden in den USA versucht, könnte auch den Schweizer Bischöfen gelingen: «e pluribus unum» Wirklichkeit werden zu lassen – »aus vielen eines» zu werden.

Es wäre schön, wenn die Bischöfe die Prophezeiung von Daniel Kosch widerlegen würden. Der Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz (RKZ) bleibt skeptisch:

«Auch wenn die anderen Bischöfe sich künftig nicht mehr auf ‹Chur› berufen können, um zu erklären, warum vieles stagniert und blockiert, würde es mich positiv überraschen, wenn die SBK nun plötzlich zum ‹Dreamteam› würde, das voller Tatendrang nach vorne stürmt und ein Tor nach dem anderen schiesst, um ein Bild aus dem Fussball zu verwenden.»

Zu viel Tatendrang könnte freilich die RKZ überfordern. Aber nach dem Tod der Hand Gottes in Argentinien sind alle gespannt, wie die katalanisch-jurassische «bonne main» in der Bischofskonferenz reüssiert. Mit gezielten Fouls aus Chur ist jedenfalls nicht mehr zu rechnen.

Franziska Driessen-Reding und die Kantonalkirchen

In den 1980er- und 1990er-Jahren war Joseph Bonnemain kein Freund des dualen Systems. Die Kantonal- und Landeskirchen waren für ihn ein Fremdkörper, die nicht zur DNA der katholischen Kirche passten. Doch die Zeiten sind vorbei. Bonnemain hat sich gewandelt. Ob aus Überzeugung oder Machtkalkül, kann nur er sagen.

Bonnemain arbeitet im selben Gebäude wie die Zürcher Landeskirche und die Römisch-Katholische Zentralkonferenz: im Hirschengraben 66 in Zürich. Eine der ersten, die ihm zur Bischofsernennung gratulierten, war Franziska Driessen-Reding. Sie steht dem Zürcher Synodalrat vor.

Franziska Driessen-Reding ist nicht naiv. Sie weiss genau, dass Joseph Bonnemain ein konservativer Bischof wird. Aber sie weiss auch, dass er aufgeschlossen sein kann. Und dass sie mit ihm einen Bischof gewinnt, der ihr zuhört. Das war bei den letzten Bischöfen nicht der Fall.

Peter Henrici SJ

Der frühere Weihbischof des Bistums Chur, Peter Henrici, ist mittlerweile 92 Jahre alt. Ein Alter, in dem viele nicht mehr ganz ernst genommen werden – oder die Welt selbst nicht mehr ernst nehmen.

Im Fall des Jesuiten-Professors ist es anders. Trotz seines hohen Alters kämpfte er bis zuletzt für einen Brückenbauer für Chur. Hierfür liess er mehrmals seine Beziehungen in die Bischofskongregation spielen.

Auch weiterhin dürfte mit Peter Henrici zu rechnen sein. Schliesslich gibt es weitere Bischofsämter in der Schweiz zu besetzen: vielleicht einen Weihbischof in Chur, ganz sicher aber einen in Basel.

Jacqueline Fehr

Religionspolitik ist in der Schweiz ein undankbares Politikfeld. Man kann damit viel falsch machen, aber selten Wahlen gewinnen. Respekt verdient die Zürcher Religionsministerin Jacqueline Fehr, dass sie nicht tatenlos zuschauen wollte, als der erzkonservative Nuntius Thomas Gullickson im Frühjahr 2020 vier erzkonservative Bischofskandidaten nach Rom meldete: Laut NZZ waren dies Martin Grichting, Andreas Fuchs, Martin Rohrer und Gion-Luzi Bühler.

Fehr entwarf einen Brief, den sie zusammen mit den Bistumskantonen an den Bundesrat schicken wollte. Doch eine SVP-Intrige bremste die SP-Politikerin Jacqueline Fehr aus.

Als Kardinalsstaatssekretär Pietro Parolin die Schweiz besuchen wollte, um 100 Jahre diplomatische Beziehungen zu feiern, nahm Fehr mit Aussenminister Ignazio Cassis Kontakt auf – und teilte ihm die Zürcher Interessen mit.

Was sie genau dem Bundesrat mitteilte, ist unklar. Aber ihre grobe Linie ist öffentlich einsehbar: «Der Regierungsrat mischt sich nicht in kirchliche Personalentscheide ein. Er erwartet aber von den Verantwortlichen die Einhaltung der zürcherischen Verfassung und Gesetze.»

Fehr betrieb also Konflikt- und Krisenprävention – ein klassisches Ziel der Aussenpolitik. Die Nachrufe auf die Altbundesräte Flavio Cotti und René Felber erinnern daran, wie viel aussenpolitischen Schaden Wolfgang Haas im Bistum Chur anrichten konnte.

Laut Fehr muss sich der neue Bischof zum dualen System bekennen und einen konstruktiven Beitrag zur Ökumene und zum Religionsfrieden leisten. Joseph Maria Bonnemain gibt keinen Grund, ihre Wunschliste nicht zu erfüllen.

Martin Kopp

Als Bischof Peter Bürcher im März 2020 Martin Kopp fristlos schasste, schwieg Joseph Bonnemain. Zwar war dem Experten für Kirchenrecht klar, dass der Rausschmiss nicht ganz sauber ablief – Kopp war kein rechtliches Gehör gewährt worden.

Doch das ist eben Joseph Bonnemains Auffassung von Loyalität: Kritik übt er lieber leise und diskret – so auch im Fall von Martin Kopp.

Schliesslich weiss er um Kopps Verdienste für das Bistum. Und er weiss, was die Bischöfe Wolfgang Haas und Vitus Huonder ihren Führungskräften angetan haben.

Bonnemain dürfte sich bald bei den ehemaligen Generalvikaren Martin Kopp und Josef Annen bedanken: mit einer Berufung ins Domkapitel. Martin Kopp würde damit der erste Domherr, der lieber einen schwarzen Hoodie als den Kollar trägt.

Opus Dei

Das Opus Dei fristet in der Schweiz ein Schattendasein. Zwar erhielt es letztes Jahr mit dem Beginn eines Seligsprechungsprozesses mediale Beachtung. Allerdings wurde auch die Frage gestellt: Warum soll ein unauffälliger ETH-Absolvent seliggesprochen werden, wenn katholische Gegner des Nationalsozialismus wie der Rottenburger Bischof Joannes (!) Baptista Sproll noch immer auf eine Seligsprechung warten?

Nichtsdestotrotz gehört das Opus Dei zu den Gewinnern der Ernennung. Sie haben künftig einen direkten Draht in die Bischofskonferenz. Und Joseph Bonnemain gibt der Personalprälatur ein freundliches Gesicht und hilft mit, dass die illustren Opus-Dei-Phantasien à la Dan Brown und Pedro Almodóvar dekonstruiert werden.

So musste in den letzten Tagen klargestellt werden: Nein, das Opus Predigt predigt nicht auf Latein (SRF-Falschmeldung). Und nein, die Opus-Dei-Priester weichen Frauen nicht mit einem eigens angebauten Treppenhaus aus (Tagesanzeiger-Falschmeldung).

Andreas Rellstab

Er gehört zu den prominentesten Opfern des Systems Vitus Huonder: der Zürcher Pfarrer Andreas Rellstab. Er dürfte der grosse starke Mann unter Bischof Joseph Bonnemain werden.

Rellstab hat bereits unter Vitus Huonder als Generalvikar für die Region Graubünden Verwaltungserfahrung gesammelt – bis es zu einem Zerwürfnis kam und Rellstab zurücktrat.

Doch nun ist der Kairos wieder da. Andreas Rellstab werden Organisations-Talent, Entschlossenheit und Durchsetzungsstärke nachgesagt. Viele sehen im Mann von grosser Statur und mindestens ebenso grossem Selbstbewusstsein einen starken Stellvertreter Bonnemains: sei es als Weihbischof oder als Generalvikar.

Spitalseelsorge

In Corona-Zeiten wurde klar, wie wichtig die Spitalseelsorge ist. Mit Hände waschen und Abstand halten allein war es nicht getan. Die Menschen leiden unter den psychischen Folgen den Corona-Krise. Dafür hat der neue Bischof grosses Verständnis.

Die Spitalseelsorge ist seine grosse Leidenschaft – die ideale Kombination seiner Studienfächer Medizin und Theologie. Auch wenn Notfälle ihn manchmal um den Schlaf bringen: Ehrensache, dass Joseph Bonnemain alles unternimmt, um den Kranken ein seelsorgerliches Gespräch oder das Sakrament der Krankensalbung anzubieten. Laut Sabine Zgraggen heisst der vor Kraft nur so strotzende Bonnemain unter Spitalseelsorgern «Superman».

Entsprechend euphorisch reagierte auch Simon Peng-Keller auf die Ernennung. Er ist Professor für Spiritual Care an der Uni Zürich:

Bonnemains Kontakte aus der Spitalseelsorge dürften sich auch auf anderem Gebiet auszahlen: Über die Spitalseelsorge lernte er Rita Famos kennen, die jetzige EKS-Präsidentin. Opus Dei hin oder her: Wer Ökumene täglich im Spital lebt, tut dies womöglich auch auf dem Bischofssitz.

«Vielstimmig Kirche sein»

Die Gruppe «Vielstimmig Kirche sein» engagiert sich gegen Machtmissbrauch in der katholischen Kirche und protestiert energisch gegen die Entlassung des beliebten Generalvikars Martin Kopp. Gerne würde sie hierüber einen Dialog mit der Bistumsleitung führen. Doch Bischof Peter Bürcher und Generalvikar Martin Grichting verweigern den Dialog.

Mit einer Klage gelangten sie zum Kirchenrichter Joseph Bonnemain. Der Offizial antwortete auf salomonische Art. Im Idealfall wird die Gruppe «Vielstimmig Kirche sein» bald überflüssig – und löst sich auf. Im Konfliktfall kann sie den neuen Bischof aber auf seine eigenen Hinweise aufs Kirchenrecht festnageln:

«Alle Gläubigen, vor allem aber die Bischöfe, sollen eifrig bemüht sein, dass Rechtsstreitigkeiten im Gottesvolk ohne Beeinträchtigung der Gerechtigkeit nach Möglichkeit vermieden und baldmöglichst friedlich beigelegt werden.»

Theologische Hochschule Chur

Es gibt Bischöfe, die ihre Muskeln gerne in Berufungsverfahren spielen lassen. Hierzu gehörte Vitus Huonder nicht. Bischöflicher Ansprechpartner für die Hochschule in Chur war Joseph Bonnemain – was gut für die Hochschule war.

Trotzdem verzögerte Generalvikar Martin Grichting so manche Berufung oder Rochade. Eva-Maria Faber wartet etwa bis heute darauf, das Amt der Prorektorin mit dem Rektoratssessel zu tauschen.

Die Hochschule ist erleichtert, dass mit Bonnemain ein Freund der Hochschule und der Wissenschaftsfreiheit Bischof wird. Für Muskelspiele hat Bonnemain sein Fitness-Studio – da braucht er keine Hochschule. Entsprechend euphorisch fielen die Statements von Eva-Maria Faber, Christian Cebulj und des ganzen Professoriums auf die Ernennung Bonnemains aus.

Vielleicht erhält die Hochschule auch bald einen neuen Regens, der ein akademischeres Profil ausweist als der jetzige. Dieser fühlt sich vor allem den «Servi della Sofferenza» verpflichtet.


Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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