Sie predigt «heilende Liebe»: Wer ist Schwester Scholastika Jurt?

Die Schweizer Dominikanerin Scholastika Jurt (58) war die grosse Überraschung des Synodalen Wegs. Immer wieder meldete sie sich mit pointierten Voten zu Wort – und sprach den Bischöfen ins Gewissen. Sie stammt aus Rickenbach und lebt in einem deutschen Kloster. Ihre Mission: «heilende Liebe». Und: «Die Kirche nimmt Maria Magdalena nicht ernst. Sie war die erste Verkündigerin.»

Raphael Rauch

Es gibt eine inoffizielle Rollenverteilung beim Synodalen Weg. Es gibt die Nein-Sager wie den Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer. Es gibt die Ja-Sager wie den Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode. Beide melden sich häufig zu Wort, beide sagen meistens Vorhersehbares.

Glaubenszeugnis statt Polit-Sprech

Und dann gibt es Menschen wie die Schweizer Dominikanerin Scholastika Jurt. Sie tritt leise und unscheinbar auf. Der deutsche Verbandskatholizismus mit all seinen Anträgen, Phrasen und Formalia ist ihr fremd. Und trotzdem meldet sie sich regelmässig zu Wort mit Voten, die überraschen. Weil sie unverbraucht klingen. Weil sie mehr Glaubenszeugnis als Polit-Sprech sind.

Schwester Scholastika Jurt parallelisiert die Berufungsfrage mit der Passionsgeschichte. «Wir haben ein Gesetz und nach diesem Gesetz muss er sterben», sagt sie in Frankfurt, und doppelt nach: «Manchmal habe ich den Eindruck: Wir haben ein Gesetz, und nach diesem Gesetz müssen Berufungen von Frauen sterben.»

«Wir müssen Gott gross denken»

Sie plädiert dafür, Gott weit zu denken: «Dass der Heilige Geist in unserer Zeit heute wirkt.» Für sie ist die Frage, wer Christus repräsentieren kann, keine Frage des Geschlechts. Wenn Gott so viel grösser als alles andere sei – dann lasse er sich nicht nur von Männern im Pflichtzölibat vertreten, findet Schwester Scholastika Jurt.

Am Ende des Synodalen Wegs sind viele von der Schweizer Schwester begeistert. Der Basler Bischofsvikar Georges Schwickerath beobachtet für die Schweizer Bischofskonferenz den Synodalen Weg in Frankfurt. Von Schwester Scholastika Jurt ist ihm der Satz in Erinnerung geblieben: «Wir müssen Gott gross denken.» Und: «Wir dürfen nicht so ängstlich sein!»

«Nicht alle Bischöfe über einen Kamm scheren»

Ängstlich ist Schwester Scholastika Jurt nicht. Seit knapp drei Jahrzehnten lebt sie in Deutschland. Ihr Hochdeutsch ist helvetisch geprägt. Sie spricht Klartext, achtet aber auf Zwischentöne. Sie möchte nicht pauschalisieren: «Wir dürfen nicht alle Bischöfe über einen Kamm zu scheren. Einige wehren sich, eine nicht kleine Gruppe ist einen inneren Weg der Umkehr gegangen. Und einige sind sowieso sehr offen.»

Schwester Scholastika Jurt spricht sich öffentlich für den «Segen für alle» aus. Sie ist überzeugt: «Gott liebt alle Menschen – unabhängig von der geschlechtlichen Identität und den individuellen Lebensentwürfen. Gott spricht allen Menschen seinen Segen unterschiedslos zu.» Und sie findet: «Wir brauchen angemessene liturgische Formen zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare.»

Gemeinschaft der Arenberger Dominikanerinnen

Schwester Scholastika Jurt stammt aus Rickenbach LU. Sie besuchte das Lehrerinnen-Seminar der Baldegger Schwestern und war Primarlehrerin. «Ohne Habit! Eine ganz normale Lehrerin», erzählt sie und lacht. Vier Jahre unterrichtete sie in Nottwil LU. Erst dann trat sie in die Gemeinschaft der Arenberger Dominikanerinnen in Koblenz ein. 

Arenberg? Wie? Wo? Was? «Unsere Ordensgründerin war eine Schweizerin», erklärt Schwester Scholastika Jurt geduldig, als habe sie alle Zeit der Welt. Dabei wuseln Synodale um sie herum, die sich mit ihr abstimmen möchten.

Die «Heute Show» interessiert sich für Schwester Scholastika

ZDF-Comedian Fabian Köster von der «Heute Show» scheint gefallen am beige-schwarzen Habit zu finden. Er wartet geduldig in der Frankfurter Messehalle, bis Schwester Scholastika Jurt endlich Zeit für ihn hat. Dann kommt ihre Mistreiterin vorbei, die Benediktinerin Philippa Rath. Sie ist grösser und auffälliger als Schwester Scholastika Jurt. Und sie hat Zeit. Fabian Köster wendet sich Schwester Philippa Rath zu.

Schwester Scholastika Jurt kann ungestört weitererzählen: «Unsere Ordensgründerin Cherubine Willimann stammte aus Rickenbach. Sie ging nach Deutschland und hat dort unseren Orden gegründet.» Das war Ende des 19. Jahrhunderts.

Im 20. Jahrhundert erreichte der Orden eine Blütezeit, 1981 entstand sogar eine Niederlassung in Rickenbach. Also unmittelbar in ihrer Heimat. Die Ilanzer Dominikanerinnen waren für Schwester Scholastika weit weg. «Von ihnen habe ich erst später etwas gehört.» Also klopfte sie bei den Arenbergern an, weil ihre Weise, die dominikanische Spiritualität zu leben, sie damals ansprach.

«Heilende Liebe»

Offiziell heisst ihr Orden: «Schwestern der heiligen Katharina von Siena im Orden des heiligen Dominikus in Arenberg.» In der Ordens-DNA steckt also eine selbstbewusste Frau und der berühmte Prediger. Das Charisma des Ordens laute «heilende Liebe», sagt Schwester Scholastika.

«Heilende Liebe.» Das ist auch ihre Botschaft auf dem Synodalen Weg. Nicht explizit, aber implizit. «Gott liebt alle Menschen», sagt sie, und findet, die Kirche dürfen niemanden mehr ausschliessen. Das würden zwar einige Bischöfe predigen. «Aber über die Bücher wollen sie dann doch nicht gehen», kritisiert Schwester Scholastika Jurt.

«Manche Predigten sind eine richtige Zumutung»

Die Dominikaner sind als Predigerorden gross geworden. Wenn es nach Rom geht, dürfen nur Diakone und Priester in einer Eucharistiefeier predigen. Für Frauen wie Schwester Scholastika ist offiziell kein Platz am Ambo. «Die Kirche nimmt Maria Magdalena nicht ernst. Sie war die erste Verkündigerin. Ohne Maria Magdalena kein Ostern!»

Schwester Scholastika Jurt legt nach: «Jetzt mal ehrlich! Manche Predigten sind eine richtige Zumutung. Warum dürfen nicht die predigen, die predigen können? Die Menschen sollen in einer Predigt Gottes Liebe spüren. Sie sollen berührt werden, Hilfe finden, eine Kraftquelle spüren.»

Eine Schweizer Schwester leistet in Deutschland Entwicklungshilfe

Schwester Scholastika Jurt wäre viel zu höflich, um zu sagen, sie leiste in Deutschland Entwicklungshilfe. Auch wenn sie weiss, dass manche Punkte des Synodalen Wegs im Bistum Basel für Augenrollen sorgen würden. Schliesslich dürfen hier Frauen nicht nur predigen, sondern auch taufen und trauen. 

Schwester Scholastika Jurt freut sich, als die Synodale Juliane Eckstein das Wort erhebt und das Schweizer Hochgebet als Beispiel für konstruktiven Ungehorsam in der Kirchengeschichte erwähnt: erst verboten, dann durch die Hintertür zugelassen – und jetzt offiziell Teil des Messbuchs. Avanti, vorwärts, das ist ganz nach Schwester Scholastika Jurts Geschmack.

«Gott ist weit, Gott schenkt Gaben»

Schwester Scholastika Jurt wurde vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken gebeten, beim Synodalen Weg als Beraterin mitzuwirken. Vor allem in der Frauenfrage. Sie versteht nicht, warum Bischöfe wie Rudolf Voderholzer die göttliche Ordnung aufs Geschlecht und auf die sexuelle Orientierung reduzieren wollen: «Ich finde es fatal zu sagen, Frauen oder queere Menschen haben keine Berufung zum Priestertum. Dieses Gottesbild wäre ein Affront! Gott ist weit, Gott schenkt Gaben – und er schenkt diese Gaben auch Frauen und queeren Menschen!»

Als Generalpriorin ist sie die Chefin des Mutterhauses. Wobei sie einschränkt: «Priorin heisst: Die erste unter den Schwestern zu sein. Wir haben ein synodales, sehr demokratisches Leitungsprinzip. Wir hören zu, bevor wir Entscheidungen treffen.» 

Ihre Hobbys: Filme, klassische Musik, Bücher, Berge, Wandern

Nach ihrer Profess liess sich Schwester Scholastika in geistlicher Begleitung und Exerzitienleitung ausbilden. «Heilende Liebe», das möchte sie als Mensch im Allgemeinen und als Seelsorgerin im Besonderen leben und weitergeben. 

Hat eine Priorin auch Freizeit? «Wenig», sagt Schwester Scholastika und lacht. Offiziell gibt sie als Hobbys an: «Filme, klassische Musik, Bücher, Berge, Wandern.» Die Berge und das Wandern – natürlich vermisse sie da die Schweiz. Doch ein Zurück in die Schweiz wird es wohl nicht geben. Seit 2020 ist das Kloster in Rickenbach Geschichte. Schwester Scholastika Jurt wird in Deutschland gebraucht.

Frauenpriestertum? Die Wette gilt!

Ihre Benediktiner-Kollegin Philippa Rath ist fest davon überzeugt, dass das Frauenpriestertum in zehn bis 15 Jahren möglich ist. Benedikt XVI. habe ihr in einer Privat-Audienz versichert, dass der Ausschluss von Frauen von Weiheämtern kein Dogma sei, sagt Philippa Rath – durchaus in Richtung Rudolf Voderholzer gewandt. Schwester Scholastika Jurt hört genau zu und schmunzelt. Ganz nach dem Motto: Die Wette gilt!

Nach dem Synodalen Weg ist ein Statement von Schwester Scholastika Jurt einer der am meisten geklickten Artikel auf kath.ch. Schwester Scholastika zeigt sich überrascht: «Ich sehe mich nicht so gross, wie Sie mich beschreiben und habe nicht gespürt, dass meine Beiträge eine solche Wirkung haben», sagt sie bescheiden. 

Bei den ersten grossen Treffen fehlte sie

Dabei wurde sie durchaus darauf angesprochen, warum sie erst in der fünften Synodalversammlung prominent auffalle. Sie habe schon beim Vorbereitungsforum des Synodalen Weges mitgewirkt, sagt Schwester Scholastika Jurt. Bei den ersten Vollversammlungen indes sei sie verhindert gewesen – Generalkapitel und grosse Exerzitien fielen dazwischen.

Dafür hat sie aus Sicht mancher Teilnehmenden den Schlusssprint mitgerockt. Schwester Scholastika Jurt hingegen sieht ihre Rolle synodal, wie sie sagt: Es gehe nicht um sie, sondern um das ganze Volk Gottes. Und vor allem um «heilende Liebe».


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