Wegen diskriminierender Missio-Politik: Veronika Jehle kündigt als Spitalseelsorgerin

Paukenschlag in Zürich: Veronika Jehle (36) kritisiert Bischof Joseph Bonnemain und kündigt als Spitalseelsorgerin. Damit verliert das Bistum Chur eine profilierte Theologin: Veronika Jehle ist bekannt als ehemalige «Wort zum Sonntag»-Sprecherin.

Raphael Rauch

Das Wort «Marke» mag Veronika Jehle (36) nicht. Und trotzdem kann sie nicht abstreiten, dass sie zu einer Marke in der katholischen Religionslandschaft geworden ist.

Sie demonstriert in klirrender Kälte am Central

Egal ob Frauenfragen, Spitalseelsorge, 500 Jahre Zürcher Wurstessen oder allgemeine Kirchenkritik: Veronika Jehle mischt überall mit, wo Reformanliegen einen Platz finden. 

Angefangen hatte alles unscheinbar im Advent 2019 am Zürcher Central, wo sie trotz klirrender Kälte mit Transparenten Kirchenreformen einforderte. Später ging es mit einer Online-Petition zugunsten des geschassten Generalvikars Martin Kopp weiter und mit einem Protestmarsch nach Chur.

«Ich arbeite für Jesus Christus»

Veronika Jehle stammt aus Wien und ist katholisch aufgewachsen. Sie ministrierte am Wiener Stephansdom und diente dort für den aufgeschlossenen Kardinal Christoph Schönborn.

«Warum arbeitest du als Frau, noch dazu als junge, eigentlich für die katholische Kirche?» Auf diese Frage hatte Veronika Jehle lange Zeit eine klare Antwort:  «Ich arbeite nicht für die Kirche, ich arbeite für Jesus Christus.» Und: «Die katholische Kirche liebe ich eben, sie ist für mich wie eine Familie.»

Kritik an Bonnemain, Varandas und Länzlinger

Schon länger ist Veronika Jehle aber an einem Punkt angelangt, der für sie nicht mehr tragbar ist. Besonders die Vergabepolitik bei den bischöflichen Beauftragungen, der sogenannten «Missio canonica», hat für sie mit der christlichen Botschaft nichts zu tun.

Bischof Joseph Bonnemain, Generalvikar Luis Varandas und der Personalverantwortliche Urs Länzlinger waren bislang nicht bereit, transparente Kriterien für die Vergabe einer bischöflichen Beauftragung aufzustellen. Stattdessen betont der Bischof von Chur, dass jeder, der mit einer Missio die Frohbotschaft verkünde, den Willen haben müsse, «kohärent mit dieser Frohbotschaft sein Leben zu gestalten»

Josef Annen spricht sie auf ihr Konkubinat an

Was auch immer das heisst. Für Veronika Jehle ist das eine Aufforderung zur Doppelmoral. Ehrlichkeit werde in der katholischen Kirche nicht belohnt, kritisiert sie. Sie hält es für übergriffig, dass die Kirche als Arbeitgeberin übers Privat- und Intimleben Bescheid wissen wolle. 

«Generalvikar Josef Annen hat mich bei meiner Anstellung darauf angesprochen, dass ich im Konkubinat lebe», sagt Veronika Jehle. Es war damals das erste Mal, dass jemand ihre Beziehung Konkubinat genannt hatte. 

Hans Küng sagte: «Nicht aufgeben»

Lange Zeit hat Veronika Jehle mit sich und ihrer Kirche gerungen. Sie hat die Worte Hans Küngs im Kopf: «Nicht aufgeben – die grösste Versuchung ist es zu denken, dass alles doch keinen Sinn habe!» Und: «Selber handeln – zu viele klagen und murren über Rom und die Bischöfe, ohne selber etwas zu tun.»

Im Herbst hat Veronika Jehle beschlossen, den Rubikon zu überschreiten. Sie schrieb einen persönlichen Brief an Bischof Joseph Bonnemain, in dem sie ihr Ringen um ihre eigene Glaubwürdigkeit in der Kirche offenlegte – und gab damit ihre Missio zurück. Sie wollte damit ein Zeichen setzen und ihre Solidarität mit jenen Kolleginnen und Kollegen bekunden, die keine Missio erhalten oder um ihre Missio bangen.

«Die Missio-Vergabepolitik diskriminiert»

Veronika Jehles Hoffnung war und ist, dass Bischof und Synodalrat ihren Brief zum Anlass nehmen, um die Anstellungsordnung zu überarbeiten. Sodass künftig qualifizierte und bewährte Seelsorgerinnen und Seelsorger ihren Dienst tun können – unabhängig von ihrem Missio-Status.

«Die Missio-Vergabepolitik des Bischofs und des Generalvikars diskriminiert», sagt Veronika Jehle. Wer zu seiner homosexuellen Beziehung steht, müsse damit rechnen, keine Missio zu erhalten. Ebenso, wer nach einer Scheidung wieder heiratet. 

Auch der Synodalrat soll aktiv werden

Der schwule Theologe Meinrad Furrer sagte unlängst zu kath.ch, er habe früher eine Missio vom konservativen Bischof Vitus Huonder erhalten – sei sich aber nicht sicher, ob er unter Bonnemain noch eine bekäme

Und der Synodalrat? «Der könnte sich dafür einsetzen, dass die Anstellungsordnung so angepasst würde, dass Seelsorgende auch ohne Missio ihre Arbeit behalten, solange sie diese qualifiziert tun», findet Veronika Jehle.

Messen mit zweierlei Mass

Was Veronika Jehle ebenfalls stört: das Messen mit zweierlei Mass. Wer nicht zu seiner Liebesbeziehung stehe – ob Priester, homosexuelle Theologin oder Wiederverheirateter – behalte seine Missio. Wer offen zu seinem Leben und seiner Liebe stehe, müsse mit dem Verlust der Arbeitserlaubnis, also der Missio, rechnen.

«Das verantworte ich nicht mehr mit», sagt Veronika Jehle. Sie habe keinen Groll, wolle aber nicht mehr ein System mittragen, das die christlichen Werte verrate und offen diskriminiere. Auf Ende Juni hat sie als Spitalseelsorgerin gekündigt.

Stellvertretende Chefredaktorin

Als Reformkraft bleibt sie der Kirche erhalten. Sie engagiert sich bei «Vielstimmig Kirche sein» und auch in anderen Reformgruppen, etwa der «Allianz Gleichwürdig Katholisch». Und als stellvertretende Chefredaktorin des Zürcher Pfarrblatts «Forum» bleibt ihr kritischer Geist den Zürcher Katholikinnen und Katholiken erhalten.


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