Franziskus feiert Sternstunde der Weltreligionen in der Heimat Abrahams

Judentum, Christentum, Islam: Alle drei Weltreligionen berufen sich auf Abraham. Entsprechend symbolträchtig ist Ur, die Heimat Abrahams. Erstmals hat sie ein Papst besucht. Später feierte Franziskus eine Messe im ostsyrischen Ritus.

Burkhard Jürgens

In einer historischen Begegnung ist Papst Franziskus am Samstag von Grossajatollah Ali al-Sistani empfangen worden. Das Treffen hat den Rang eines Brückenschlags zwischen der katholischen Kirche und den Schiiten, der weltweit zweitgrössten Strömung des Islam. Der 90-jährige al-Sistani, der selten öffentlich in Erscheinung tritt, hiess den Papst in seiner bescheidenen Residenz in der heiligen Stadt Nadschaf willkommen.

Geschwisterlichkeit aller Menschen

Dass der hoch angesehene schiitische Geistliche einer Veröffentlichung von Bildmaterial nach der privaten Unterredung zustimmte, unterstreicht, welche Bedeutung er dem Besuch beimisst.

Anschliessend bekräftigte der Papst bei einem interreligiösen Treffen in Ur seine Botschaft von Dialog und Geschwisterlichkeit aller Menschen. Das Land, das vor genau 100 Jahren ohne Rücksicht auf ethnische und religiöse Grenzen als Nationalstaat entstand, droht bis heute immer wieder entlang der alten Bruchlinien zu zerbrechen.

Al-Sistani ist gemässigter als Teheran

Franziskus und al-Sistani finden sich auf einer Ebene, was die Rolle von Religion in der Gesellschaft angeht. Der Grossajatollah lehnt das iranische Modell einer Herrschaft der Mullahs ab und vertritt die Idee eines säkularen und pluralen Staats.

Während der Bedrohung durch den «Islamischen Staat» rief er zum Schutz der christlichen Minderheit auf. Westlichen Diplomaten gilt al-Sistani als einzige wirkliche moralische Autorität im Land. Sein Einfluss reicht in den Iran, in dem er neben karitativen Werken 49.000 Theologiestudierende unterstützt und damit die künftige Führungselite heranbildet.

In der Heimat Abrahams

Ohne Beisein von al-Sistani, aber in seinem Geist warb Franziskus in Ur, einem zentralen Ort für die irakische Identität, für eine Mitgestaltung der Religionen in der Gesellschaft. In der antiken sumerischen Stadt, die nach biblischem Zeugnis die Heimat Abrahams ist, leitete er ein interreligiöses Treffen. Juden, Christen und Muslime beziehen sich auf Abraham als gemeinsamen Stammvater. Vor den Ruinen Urs und dem 4.000 Jahre alten Stufentempel in der Wüste des Südirak beschwor er Vertreter aller Glaubensgemeinschaften, jeglichem Hass entgegenzutreten.

Als Grundlage dafür verweist der Papst auf die gemeinsame Gotteskindschaft aller Menschen. Religionen betrachtet er als Wegbereiter der Verständigung: «Wir dienen Gott, um aus der Sklaverei des Ichs herauszukommen», sagte er. «Vom Haus unseres Vaters Abraham aus bekräftigen wir: Gott ist barmherzig, und die grösste Beleidigung und Lästerung ist es, seinen Namen zu entweihen, indem man den Bruder oder die Schwester hasst.» Feindseligkeit, Extremismus und Gewalt seien «Verrat an der Religion», erklärte Franziskus. «Wir Gläubigen dürfen nicht schweigen, wenn der Terrorismus die Religion missbraucht.»

Mutig den Blick zu den Sternen erheben

Die Bibel erzählt, wie Gott Abraham aufforderte, die Sterne zu zählen – so zahlreich sollten seine Nachkommen sein. Franziskus greift dieses Bild der Verheissung auf: «Es liegt an uns, den Mut zu haben, den Blick zu erheben und die Sterne zu betrachten, die Sterne, die unser Vater Abraham gesehen hat, die Sterne der Verheissung.»

In der von Konflikten zerrissenen Region mahnte der Papst, es werde keinen Frieden geben «ohne Völker, die anderen Völkern die Hand reichen». Ohne das Ringen des Iran und arabischer Staaten um die Vorherrschaft im Mittleren Osten als Beispiel zu nennen, warnte er, Bündnisse gegeneinander verstärkten nur die Spaltung. «Frieden erfordert weder Sieger noch Besiegte, sondern Brüder und Schwestern, die trotz der Missverständnisse und Wunden der Vergangenheit den Weg vom Konflikt zur Einheit gehen.»

Vor allem Christen und Jesiden werden verfolgt

Die Wunden im Irak sind nach mehr als 40 Jahren Krieg und schwierigen Bemühungen um Wiederaufbau weiterhin tief; manche bluten noch, wie nach den Verfolgungen der Jesiden und Christen unter dem Terrorregime des «Islamischen Staats» im Nordirak. Dorthin will Franziskus am Sonntag reisen. (cic)


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