Zwei Querdenker auf dem Weg nach Rom

Luzern, 16.3.18 (kath.ch) Papst Franzskus baut auf die Jugend. Darum lädt der Vatikan vom 19. bis zum 24. März junge Menschen zwischen 18 und 29 Jahren aus aller Welt zu einer Vorsynode ein, um mit ihnen über ihre Lebenswelten und ihre Haltung zur Kirche zu sprechen. Mit dabei sind auch der Kirchenkritiker Jonas Feldmann und der Atheist Sandro Bucher – als kritische Stimmen aus dem deutschsprachigen Raum.

Vera Rüttimann

Sandro Bucher, Social-Media-Manager und Journalist beim Wissensmagazin «Higgs», bezeichnet sich als Atheist. Mit 16 trat er sogar aus der Kirche aus. Dass Sandro Bucher nun zur Vorsynode nach Rom fährt, ist nur auf den ersten Blick erstaunlich. Der Luzerner ist in der Kirchenszene kein unbeschriebenes Blatt. In den sozialen Medien ist Sandro Bucher sehr aktiv und äussert sich pointiert zu atheistischen und humanistischen Inhalten.

«Die katholische Kirche und der Glaube an Gott sind nicht das, was ich brauche.»

Das Interesse an Religion und Katholizismus interessierte ihn schon als Kind. «Ich wollte auf Spaziergängen jede Kapelle von innen sehen», sagt Sandro Bucher. Dennoch kam er in seiner Jugend zu einem Punkt in seinem Leben, an dem er erkannte, «dass die katholische Kirche und der Glaube an Gott nicht das ist, was ich brauche.» Mit der Kirche brach er jedoch nie. Der Luzerner sucht auch heute noch das Gespräch mit Klerikern und Laien, beispielsweise mit Martin Werlen, dem streitbaren Mönch vom Kloster Einsiedeln. In gewissen gesellschaftlich-politischen Fragen fühle er sich Leuten wie Werlen oftmals auch nahe.

Nicht in eine Blase geraten

Sandro Bucher ist ein Quer- und Andersdenker. Ihm sei es wichtig, dass er nicht in eine Blase gerate, «in der sich alle nur noch gegenseitig zustimmen.» Den Glauben an Gott könne er sich nicht wirklich erklären, darum sei er auch ständig auf der Suche nach Antworten. Die sucht er auch in atheistischen und humanistischen Organisationen, wie etwa der Freidenker-Vereinigung Schweiz.

Fortschrittsfeindliche Kirche

Der junge Journalist betrachtet die katholische Kirche mit einem «Blick von aussen». Er reibt sich an ihr immer wieder, wenn er Äusserungen wie etwa zum Zölibat, zur Stellung der Frau oder über die Abtreibungspolitik liest. Fortschrittfeindlich und realitätsfern kommt sie ihm dann vor. Auch stört ihn der Umgang mit Atheisten. «Atheisten werden in der Öffentlichkeit, speziell auch in der katholischen Kirche, zu wenig wahrgenommen. Dabei sind wir viele», betont Sandro Bucher. Nicht mal in der Sendung «Sternstunden Religion» seien Atheisten mit ihren kirchenkritischen Stimmen vertreten, «obwohl dort viele naturphilosophische Fragen diskutiert werden.»

Hoffen auf Denkanstösse

Sandro Bucher reist mit vielen Erwartungen nach Rom. Er geht davon aus, dass er auf viele verschiedene Ansichten vom Katholizismus treffen wird. «Ich bin sehr neugierig darauf und erhoffe mir auch neue gesellschaftliche, religiöse und philosophische Denkanstösse.» Von der Jugendsynode im Herbst allerdings erhofft er sich wenig. Die Haltung seitens der katholischen Kirche Atheisten gegenüber wird sich seiner Meinung nach wohl kaum etwas verändern.

Ein Machtfaktor

Warum sich Sandro Bucher dennoch freut: «Ich bin zwar Atheist, dennoch ist mir die Kirche nicht gleichgültig. Ob positiv oder negativ, die Kirche beeinflusst uns. Sie ist ein gesellschaftlicher Machtfaktor.» Darum finde er es wichtig, dass man die Kirche nicht wie eine Parallelwelt betrachtet, sondern sie kritisch beobachtet und begleitet.

In der Kirche verwurzelt, aber kritisch

«Warum ausgerechnet ich?» Das fragte sich Jonas Feldmann, Medizinstudent aus Zug, als ihn Martin Iten anfragte, ob er als Delegierter zur Vorsynode nach Rom reisen wolle. «Ich war kirchlich in den letzten Jahren nicht gerade sehr aktiv», beteuert er. In der Pfarrei St. Michael in Zug, wo der 25-Jährige aufwuchs, hat er sich lange sehr wohl gefühlt. Von seinen Eltern habe er viele christliche Werte vermittelt bekommen, die ihn auch heute noch durchs Leben tragen.

Ich frage mich: «Kann und will ich noch Mitglied dieser Institution sein?»

Der aufgeweckte Medizinstudent bezeichnet sich als «kritischen Katholiken», weil es gewisse Dinge in dieser Institution gebe, die ihn von der Kirche in den letzten Jahren entfremdet habe. In den Medien lese er immer wieder Statements von Bischöfen, die er persönlich nicht unterstützen könne. «Teilweise störte mich das so, dass ich mich fragte: Kann und will ich noch Mitglied einer Institution sein, die solche Dinge öffentlich verlauten lässt?» Mit solchen Dingen meint er beispielsweise die systematische Benachteiligung von Frauen oder die Haltung der Kirche zu Sterbehilfe und Abtreibung.

Ablehnung der Homo-Ehe «absolut unverständlich»

Der Lokalpolitiker der Jungen Alternative Zug spricht aus, was er denkt. Was ihn am meisten umtreibt, ist die Haltung der katholischen Kirche zur Homosexualität. Jonas Feldmann sagt: «Dass sich der Vatikan nicht dazu durchringen kann, die homosexuelle Ehe als gleichwertige Ehe anzuerkennen, finde ich absolut unverständlich.» Wie mit den Themen Sexualkunde-Unterricht und Verhütung umgangen wird, stört ihn ebenfalls. «Ich habe bei gewissen Äusserungen manchmal das Gefühl, dass die Kirche nicht im heutigen Zeitalter angekommen ist», gibt er zu.

Noch immer verwurzelt

Warum nicht aus der Kirche austreten? Das kam für Jonas Feldmann bislang nicht in Frage, weil er sich noch immer tief in der Kirche verwurzelt fühlt. «Dann geht man auch nicht bei der ersten Unstimmigkeit weg», betont er. Er habe, betont er, noch immer das Gefühl, ein Teil dieser Kirche zu sein, auch wenn er sie hart kritisiere. Er wisse, dass es viele gebe in der Kirche, «die progressive Ansichten haben in gesellschaftlichen Fragen und dennoch nicht austreten.» Ihm ist es deshalb wichtig, diesen Teil der Jugendlichen an der Vorsynode in Rom zu vertreten.

Vermisse Leute, die dazwischen stehen

Jonas Feldmann beobachtet mit einer gewissen Sorge eine zunehmende religiöse Polarisierung unter jungen Leuten: Einerseits gebe es jene, die unkritisch fromm seien und sich oftmals in Freikirchen engagieren. Zum andern solche, die mit dem Thema Kirche abgeschlossen haben und nicht mehr sichtbar seien. «Was ich vermisse, sind Leute wie mich, die dazwischen stehen. Die die Kirche kritisieren, und sie dennoch als positiv empfinden und nicht aufgeben.» Eine liberal-kritische Mitte, die die Zentrifugalkräfte, die an ihr zerren, austariere. Er ist überzeugt, dass es diese Leute gibt. Sie seien wohl schlicht «zu wenig laut hörbar».

Das Vorbereitungstreffen zur Jugendsynode findet vom 19. bis 24. März in Rom statt. Franziskus lud dazu neben Glaubenden auch kirchenkritische und nicht glaubende Jugendliche ein. Ausgewählt wurden Sandro Bucher und Jonas Feldmann von Martin Iten, der in der Kommission für Öffentlichkeit und Medien der Schweizer Bischofskonferenz und beim Weltjugendtag mitarbeitet. Sie vertreten die kirchenkritisiche Jugend der deutschsprachigen Länder. Medea Sarbach hingegegen vertritt die Schweizer Kirche beziehungsweise die kirchennahe Jugend an der Vorsynode. Alle drei reisen am Sonntag, den 18. März, gemeinsam mit dem Zug nach Rom.

Die Themen, die die gut 300 Jugendlichen an der Vorsynode besprechen, sollen in die Ergebnisse der Jugendsynode im Herbst einfliessen.

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