Neuer Einsiedler der Verenaschlucht: «Ich bin kein Ausstellungsobjekt»

Solothurn, 15.2.17 (kath.ch) Seit 1. Oktober lebt der Deutsche Michael Daum in der Einsiedelei in der Verenaschlucht. Er will diesen Ort als «Ort der Stille» erhalten. Von «mentalen Hundeleinen» und Velofahrern, die die Kurve nicht kriegen, erzählte er am 15. Februar an einer Medienkonferenz in Solothurn.

Sylvia Stam

Er sieht aus wie eine Mischung aus Niklaus von Flüe und Anselm Grün: Langes, lockiges, schlohweisses Haar, Rauschebart. Eine korpulente Erscheinung. Man glaubt ihm, dass er genügend Bodenhaftung und Standfestigkeit hat, um dem Rummel in der Verena-Schlucht standzuhalten. Dem Rummel, der seine beiden Vorgängerinnen aus der Einsiedelei vertrieben hat.

Was er diesem entgegensetzen will, macht er in den ersten Minuten der Medienkonferenz klar: Noch vor der Begrüssung bittet er um fünf Minuten Ruhe, «um hier anzukommen», und lässt mit einem kurzen Schlag eine Klangschale erklingen.

Und tatsächlich, nachdem die Klicks der Kameras, die diesen Moment des Schweigens nutzen, verklungen sind, herrscht zwei Minuten absolute Stille.

Ort der Stille wahren

«Ich möchte, dass der Ort als Ort der Stille gewahrt bleibt», sagt Michael Daum (56) später gegenüber den Medien. «Denn viele Menschen kommen wegen der Stille.» Daum weiss, wovon er spricht, er lebt seit 1. Oktober in der Einsiedelei. Die Klause sei «kuschelig warm», er friere nicht.

Zu seinen Aufgaben gehört es, die Kapelle um 10 Uhr zu öffnen und um 17 Uhr wieder zu schliessen, für Ordnung und Sauberkeit in der Schlucht zu sorgen. Auch wenn seine primäre Aufgabe in diesen Hauswartsarbeiten besteht, wie dies auch der Vertrag mit der Bürgergemeinde Solothurn vorsieht, ist Daum dennoch auch für die Menschen da.

Mentale Hundeleine

Menschen, die er nach den ersten vier Monaten schon ganz gut kennt: Da ist der Kantonsschullehrer, der immer um 6.15 Uhr mit dem Velo durch die Schlucht fährt, «der kriegt meistens die Kurve nicht». Da ist die alte Frau, die regelmässig kommt, und eines Tages einen Stock dabeihat. Daum begleitet sie also ein Stück des Weges, weil sie an diesem Tag offensichtlich nicht bei Kräften ist.

Auch mit diversen Hundebesitzern hat er so seine Erfahrungen gemacht. «Man hat mir schon erklärt, es gebe mentale Hundeleinen», sagt er schmunzelnd. In solchen Situationen dürfte ihm zugutekommen, dass er sechs Jahre als Polizist gearbeitet hat.

Kein Polizist

«Der Einsiedler soll nicht Polizist spielen», versichert Sergio Wyniger, Präsident der Bürgergemeinde Solothurn, zwar gegenüber den Medien. Dennoch bleibt er eine klare Antwort schuldig, wie die Regeln, die in der Verenaschlucht gelten sollen, durchgesetzt werden. Das Fahrverbot etwa oder das Verbot, Alkohol auszuschenken. Wyniger appelliert an den gesunden Menschenverstand der Besucher. Grosse Anlässe sind jedenfalls unerwünscht in der Schlucht. Der Einsiedler werde die Leute sicherlich darauf ansprechen.

Wyniger zeigt sich sehr zufrieden über die ersten vier Monate von Daum als Einsiedler. Auch wenn der Begriff «Probezeit» nicht fällt, hat Daum diese offensichtlich «tadellos gemeistert» und werde bestimmt auch die Hochsaison im Sommer «mit Bravour» überstehen.

Der Einsiedler mit dem schwäbischen Dialekt komme bei den Besuchern der Schlucht gut an mit seinem «bestimmten, sympathischen Auftreten». Auch die anwesenden Medienschaffenden weiss Daum für sich einzunehmen, indem er sich ihren Fragen mit Humor und Geduld stellt und bisweilen schmunzelnd vielsagende Antworten gibt.

Medien in der Schlucht unerwünscht

Eigentliche Lehren aus den Jahren mit den Eremitinnen, welche ihr Amt beide wegen des vielen Rummels aufgegeben haben, hat die Bürgergemeinde nicht gezogen, wie Wyniger auf Anfrage von kath.ch sagt. Die Vorgängerinnen seien aus verschiedenen Gründen gegangen. Mit Daum habe man eine Persönlichkeit gewählt, die mit dem Rummel umgehen könne. Im Unterschied zu früher wolle man jedoch nicht mehr so aktiv auf die Medien zugehen. Diese sollen den Einsiedler auch nicht in der Schlucht aufsuchen, erklärt Wyniger.

Daum selber sieht einen Unterschied darin, ob jemand Eremit oder Einsiedler ist. Ein Eremit sei der Welt abgewandt. «Ich bin Einsiedler. Ich lebe als Mensch für die Menschen», der Welt also zugewandt. Ob er Menschen auch Rat gebe? «Zu mir kommen Menschen und mit mir sprechen Menschen», entgegnet er geheimnisvoll und schmunzelt.

Die Menschen kommen denn auch aus aller Welt: «Aus Brasilien, Costa Rica, Russland», erzählt Daum. Auch wenn viele seinetwegen kämen, sieht er sich nicht als Ausstellungsobjekt: «Nicht ich bin wichtig, sondern die Verenaschlucht, der Ort der Stille.»

Fünf Kinder und ein Enkel

Für seine Familie, Daum hat «fünf Kinder, eines davon im Himmel, und einen Enkel», will er trotz Einsiedlerleben da sein. «Meine Kinder stellten gewisse Bedingungen, etwa einen Festnetzanschluss», erzählt er. Er sei in ständigem Kontakt mit ihnen, auch online, und rühmt in diesem Zusammenhang die modernen Medien.

Seine Kinder seien auch die Einzigen, die bei ihm in der Klause übernachten dürften. Das sei mit der Bürgergemeinde so abgesprochen. Sein jüngster Sohn habe nach seinem Einzug in die Klause zu ihm gesagt: «Papa, jetzt bist du endlich da, wo du hingehörst!»


Verenaschlucht: Solothurner Bürgergemeinde will weiterhin Eremit

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