«Die persönliche Empfehlung des Kardinals hat keine Verbindlichkeit»

Freiburg i.Ü, 12.7.16 (kath.ch) Christus sei die Mitte der Versammlung des Volkes Gottes um den Altar. Wende sich der Priester zur Apsis – dem rückwärtigen Teil des Altarraumes -, unterlaufe dies die gemeinsame Darbringung der Eucharistie durch Priester und Gemeinde. Das sagt Martin Klöckener im Gespräch mit kath.ch. Der Professor für Liturgiewissenschaft an der Universität Freiburg kritisiert die jüngsten Aussagen von Kardinal Robert Sarah.

Barbara Ludwig

Robert Sarah findet es «sehr wichtig», dass die Katholiken «schnellstmöglich» zur gemeinsamen Ausrichtung von Priestern und Gläubigen zurückkehren, nach Osten oder in Richtung der Apsis, «also auf den ankommenden Herrn hin». Finden auch Sie dies wichtig?

Martin Klöckener: «Sehr wichtig» in der Liturgie ist, dass die Gemeinde der Getauften sich regelmässig zur Eucharistie versammelt, dass sie darin und daraus als Kirche lebt, dass das Wort Gottes als erste Quelle des Glaubens verkündet und aufgenommen wird, dass die Gläubigen den Leib und das Blut Christi gereicht bekommen und dadurch selbst immer mehr das werden, was sie empfangen: nämlich Leib Christi, wie es Augustinus so schön in einer Predigt an Neugetaufte sagt.

Die Frage der Ausrichtung von Priester und Gläubigen im liturgischen Gebet gehört zweifellos nicht zu den vorrangigen Problemen der Liturgie, die man «schnellstmöglich» lösen müsste. Manche sehen in der Ostung beim gemeinschaftlichen Gebet einen wertvollen symbolischen Ausdruck. Wir kennen auch in der Geschichte die Ausrichtung der Kirchengebäude nach Osten; aber das war nie ein durchgängiges Prinzip. So sind zum Beispiel die römischen Patriarchalbasiliken nach Westen ausgerichtet. In der Neuzeit verbinden sich mit der Ostung und dem entsprechenden Kirchenbau ein bestimmtes Eucharistieverständnis, ein Priesterbild und ein Verständnis von der Teilnahme der Gemeinde, die in vielen Punkten aus theologischen Gründen heute nicht mehr haltbar sind.

«Die Frage der Ausrichtung im liturgischen Gebet gehört zweifellos nicht zu den vorrangigen Problemen.»

Nach den Vorstellungen des Kardinals würden Priester und Gemeinde nicht während der ganzen Messe Richtung Osten schauen, sondern erst ab der Gabenbereitung. Ist dies mit der Liturgiereform des Konzils vereinbar?

Klöckener: Das Konzil hat sich zu dieser Frage nicht geäussert. Die Dokumente der Liturgiereform eröffnen dann recht bald die Möglichkeit, dass der Priester sich am Altar der Gemeinde zuwendet, ohne dies vorzuschreiben. Entscheidend ist hier nicht der Aspekt, ob der Priester der Gemeinde den Rücken zuwendet oder nicht, schon gar nicht erst ab der Gabenbereitung.

Was ist denn entscheidend?

Klöckener: Gemäss einem theologischen Konzept, das in der Liturgischen Bewegung seit dem frühen 20. Jahrhundert praktiziert wurde und das sich auf altkirchliche Praxis berufen kann, geht es darum, dass sich das Volk Gottes um den Altar versammelt, auf dem Leib und Blut Christi in den Gestalten von Brot und Wein gegenwärtig werden. Christus ist die Mitte der Versammlung; er ist unter anderem gegenwärtig im verkündeten Wort und in den Gestalten von Brot und Wein. Diese Zentralität Christi bringt die Versammlung um den Altar besonders treffend zum Ausdruck.

Und was hätte Sarahs Vorschlag zur Folge?

Klöckener: Eine Ostung des Priesters oder dessen Orientierung zur Apsis ab der Gabenbereitung, wie sie Kardinal Sarah vorschwebt, unterläuft die gemeinsame Darbringung der Eucharistie durch Priester und Gemeinde, wobei der Priester aufgrund seiner Ordination mit amtlichem Auftrag der Feier vorsteht. Die Polemik, dass sich das Volk Gottes selbst feiere, wenn es sich um den Altar versammelt, hört man immer wieder aus bestimmten Kreisen, ist aber eine unhaltbare Aussage.

Falls das Ansinnen des Kardinals durchkommt, wäre dies aus Ihrer Sicht ein Rückschritt gegenüber dem, was das Konzil wollte?

Klöckener: Kardinal Sarah hat seine Äusserungen kürzlich in einem Vortrag auf einer Tagung der Vereinigung «Liturgia Sacra» in London gemacht; diese Vereinigung bemüht sich unter anderem um die Förderung der Messe in der tridentinischen Gestalt und bezieht auch sonst ähnliche Positionen. Da das Konzil die römische Liturgie in ihrer tridentinischen Gestalt für zutiefst erneuerungsbedürftig gehalten hatte, entstehen in der Tat erhebliche Spannungen zum Konzil.

Ist die Aufforderung von Kardinal Sarah verbindlich?

Klöckener: Es handelt sich um eine private Empfehlung des Kardinals, die keinerlei Verbindlichkeit hat, selbst wenn er Präfekt der Gottesdienstkongregation ist. Man kennt ähnliche Anliegen des Kardinals aus anderen Zusammenhängen: Ihm geht es immer wieder darum, die «Sakralität» der Liturgie hervorzuheben und eine Distanz zwischen Liturgie und anderen Lebensbereichen zu schaffen, und das angesichts von gesellschaftlichen und kirchlichen Kontexten, mit denen der Kardinal offensichtlich beträchtliche Mühe hat.

«Dem Kardinal geht es darum, Distanz zwischen Liturgie und anderen Lebensbereichen zu schaffen.»

Das Konzil hat eine ausgezeichnete Grundlage für die Liturgiereform gelegt; diese durchzuführen, war nicht mehr seine Aufgabe. Dies geschah in gemeinsamer Arbeit des Apostolischen Stuhls, der Bischofskonferenzen und vieler Experten; die positive Rezeption durch das Volk Gottes ist auch ein theologisches Kriterium. Und wir dürfen wohl ebenfalls davon ausgehen, dass dies alles unter dem Antrieb des Heiligen Geistes geschah, der seine Kirche in allen Zeiten führt. Es ist Aufgabe der Kirche, den begonnenen Weg weiterzugehen und in kollegialer und synodaler Arbeit immer neu die rechten Wege im Wandel der Zeiten zu suchen.

Haben die Vorstellungen des Kardinals eine Chance, je umgesetzt zu werden?

Klöckener: Persönliche Empfehlungen eines Kardinals kann man in der Kirche zur Kenntnis nehmen; Folgen für den liturgischen Vollzug haben sie – hoffentlich – nicht. Kardinal Sarah führt hier eine typisch postmoderne Linie fort, die auch im Vatikan an manchen Stellen – dem Zeitgeist geschuldet – um sich greift: nämlich die Individualisierung des liturgischen Handelns bei gleichzeitiger Schwächung der zuständigen Instanzen, vor allem der Bischofskonferenzen.

«Das wird zu einer neuen Art von ‹liturgischem Wildwuchs› führen.»

Wie werden die Bischofskonferenzen geschwächt?

Klöckener: Gemäss den Aussagen Sarahs sollen nicht die Bischofskonferenzen in der Frage ihre Verantwortung für die Liturgie wahrnehmen, auch nicht die Diözesanbischöfe, sondern die einzelnen Priester werden aufgefordert, diese Praxis einzuführen. Wenn ein Termin, der 1. Adventssonntag dieses Jahres, genannt wird, soll damit eventuell der Eindruck von Verbindlichkeit erweckt werden. Wenn auf diese Weise jeder einzelne Priester über eine solche Frage, die die ganze Gemeinde und Kirche betrifft, entscheiden soll, und das ohne dem Bischof verpflichtet zu sein, wird das zu einer neuen Art von «liturgischem Wildwuchs» führen, der der Einheit der Kirche in höchstem Masse abträglich ist. Man kann nur hoffen, dass dieser Aufruf im medialen Zirkus bald wieder untergeht. (bal/gs)

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