Weihnachtsmärkte hier, Kriege dort: Wie passt das zusammen?

Der Advent rückt näher. Und damit auch die Zeit der Weihnachtsmärkte. Doch nicht nur in der Ukraine sterben seit Längerem täglich viele Menschen. Auch im Heiligen Land tobt nun ein schrecklicher Krieg. Kann da einem der Glühwein noch schmecken? Abt Urban Federer ist der Meinung, dass gerade in Kriegs- und Krisenzeiten «wertvolle Begegnungen» wichtig sind: «Mit sich, mit Menschen und mit Gott.»

Wolfgang Holz

Weihnachts­märkte sind emotionale Angelegenheiten. Die Menschen sehnen sich – vor allem nach zwei Jahren, die von der Corona-Pandemie und Absagen oder Auflagen geprägt waren – nach einem Stück vorweihnacht­licher Tradition.

Waffen versus Watte

Doch nun sprechen nach gut eineinhalb Jahren Krieg in der Ukraine auch in Nahost die Waffen. Viele Menschen sterben täglich. Und wir stehen demnächst neben einem mit Lametta und Watte dekorierten Hüttli auf dem Weihnachtsmarkt und trinken Punsch. Geht das, ohne Gewissensbisse zu bekommen?

«Gerade in schweren Zeiten ist es wichtig, dass die Menschen zusammenrücken und im Gespräch Trost finden können» sagt Thomas Ritter von der Firma CP9 AG in Adliswil, welche Weihnachtsmärkte in Zürich organisiert wie etwa den «Zürcher Christkindlimarkt» im Hauptbahnhof und den Weihnachtsmarkt im Niederdorf.

«Eine Tasse heisser Punsch in der Hand, die Gegenwart anderer Menschen aus jeder Altersgruppe und ein festlich dekoriertes Umfeld können unsere Stimmung aufhellen und den Blickwinkel verändern. Mit Respekt und Toleranz entdecken wir neue Wege, verändern Horizonte und erweitern Perspektiven», ist Ritter überzeugt.

Positive Treffpunkte

Weihnachtsmärkte seien positive Treffpunkte und Orte des gemeinsamen Austauschs. «Wir sind überzeugt, dass Weihnachtsmärkte den Fokus vermehrt auf ein harmonisches Miteinander richten und gleichzeitig die Solidarität für Menschen in problematischen Situationen wecken können.»

Worte, die Mut machen – auch wenn ein Weihnachtsmarktorganisator selbstverständlich Weihnachtsmärkte gut findet. Gut finden muss. Schliesslich geht es auch ums liebe Geld.

«Ich liebe Weihnachtsmärkte und ich finde es schön, dass es sie gibt – auch heute, obwohl es auf der Welt teils recht trostlos ist.»

Franziska Keller, Pastorale Mitarbeiterin, Pfarrei Einsiedeln

Franziska Keller, Pastorale Mitarbeiterin in der katholischen Pfarrei Einsiedeln unterstreicht, dass der Kommerz auf Weihnachtsmärkten natürlich ein Thema sei. Das sei auf dem Einsiedler Weihnachtsmarkt nicht anders – einem der schönsten und stimmungsvollsten Weihnachtsmärkte der Schweiz.

«Aber grundsätzlich muss man sich bewusstwerden, warum wir Weihnachten feiern. Dann werden Geschenke und Kommerz zweitrangig.»

Der Sinn von Weihnachten sei ganz etwas anderes. Es gehe darum, sich auf Jesus einzulassen, Jesus und seine Botschaft bei uns in der heutigen Zeit, in unserer Sprache und unserem Alltag ankommen zu lassen, ist die katholische Powerfrau überzeugt. Jesus sei schliesslich auch arm und bedürftig in einem Stall auf die Welt gekommen. «So möchte er bei jedem von uns ankommen.»

Lichtermeer hüllt Klosterplatz in Lichterschein

«Ich liebe Weihnachtsmärkte und ich finde es schön, dass es sie gibt – auch heute, obwohl es auf der Welt teils recht trostlos ist», bekräftigt Franziska Keller. Das spricht aber nicht dagegen, sich auf die adventliche Stimmung an einem Markt einzulassen – sei es durch die Musik, die Gerüche, einen Glühwein, die Begegnungen mit Menschen.»

Doch auf dem Einsiedler Weihnachtsmarkt wird nicht nur konsumiert. Es gibt neben dem Weihnachtssingen auch spirituell-religiöse Veranstaltungen. Beispielsweise wird ein Lichtermeer» inszeniert. Die Pfarrei Einsiedeln und Firmanden des aktuellen Firmwegs  unterstützen auf diese Weise die Solidaritätsaktion «Eine Million Sterne» der Caritas. Hunderte von Kerzen erhellen den Klosterplatz. Jede Kerze soll daran erinnern, dass auch bei uns viele Menschen arm, einsam und ausgeschlossen leben.

«In Einsiedeln wollen Kloster und Dorf Menschen empfangen, damit sie hier wertvolle Begegnungen machen können.»

Abt Urban Federer, Kloster Einsiedeln

Für Abt Urban Federer vom Kloster Einsiedeln ist es kein Widerspruch, in Krisen- und Kriegszeiten einen Weihnachtsmarkt zu besuchen. Im Gegenteil.

«In Einsiedeln wollen Kloster und Dorf Menschen empfangen, damit sie hier wertvolle Begegnungen machen können: mit sich selbst, mit anderen Menschen, mit Gott. Das ist in diesen Tagen der verschiedenen Kriege und Krisen wohl noch wichtiger als in anderen Zeiten. Vor diesem Hintergrund dürfen wir dankbar sein, dass es bei uns in Einsiedeln möglich ist, einen Weihnachtsmarkt überhaupt durchzuführen.»

Besuch in der Gnadenkapelle

Wobei für den Einsiedler Abt der Weihnachtsmarkt zudem eine Gelegenheit bietet, «der Mutter Gottes in der Gnadenkapelle einen Besuch abzustatten oder einen Gottesdienst zu besuchen, sei es das Konventamt um 11.15 Uhr oder Vesper und Salve Regina um 16.30 Uhr. Auch dafür sind wir dankbar.»

Aber wenn wir die schrecklichen Bilder von Blut und Bomben momentan im Fernsehen und in den Nachrichten sehen, kann einem vielleicht das harmonische Ambiente eines Weihnachtsmarkts mit Watte und Glühwein wie aus der Welt gefallen erscheinen.

Passen Weihnachtsmärkte also wirklich im Augenblick in die Zeit, in der gerade Menschen in Israel und in der Ukraine täglich im Krieg sterben?

Moralische, nicht ethische Frage

Ruth Baumann-Hölzle, Mitbegründerin und Leiterin des «Interdisziplinären Instituts für Ethik im Gesundheitswesen» der Zürcher Stiftung Dialog Ethik, ist der Meinung, dass dies eine moralische und keine ethische Frage sei, die jeder nach seinem Gewissen beantworten müsse.

«Für viele ist der Besuch auf dem Weihnachtsmarkt auch ein vorweihnachtliches Ritual mit Familie, Freundinnen und Freunden.»

Ruth Baumann-Hölzle, Stiftung Dialog Ethik, Zürich

«Ein Besuch auf einem Weihnachtsmarkt hat viele Facetten und Motive. Für viele ist der Besuch auf dem Weihnachtsmarkt auch ein vorweihnachtliches Ritual mit Familie, Freundinnen und Freunden», so Baumann-Hölzle. «In Zeiten der Einsamkeit, die im November und Dezember besonders schmerzhaft empfunden werden, können so Weihnachtsmärkte auch Beziehungen stärken.»

Die Sache mit der Konsumkritik

Sie selbst gehe kaum auf Weihnachtsmärkte und wenn, dann meist, um Hand gezogene Kerzen zu kaufen. «Die Adventszeit ist für mich eine leise und besinnliche Zeit, in der es aber immer auch sehr viel zu tun gibt.»

Was den Konsum auf Weihnachtsmärkten angeht, sagt Ruth Baumann-Hölzle, dass es immer noch viele Marktfahrerinnen und Marktfahrer sowie andere Kleinhändler gebe. «Sie verkaufen ihre Ware und haben kommerzielle Interessen. Doch sie spielen in einer anderen Liga als Kaufhäuser oder Onlineanbieter. Wenn schon Konsumkritik, dann müsste sich diese mehr gegen Grosshändler wenden und nicht auf die kleinen Geschäftemacher – die mit Märkten auch eine besondere Kultur darstellen.»

Im Gegensatz zum Besuch von Weihnachtsmärkten macht es der Ethikerin sehr viel mehr Mühe, dass derzeit Filme mit viel Gewalt abgefeiert werden. «Die Motivation, sich in Kriegszeiten auch noch mit Gewalt zu bespassen, ist für mich absolut nicht nachvollziehbar.»


Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

https://www.kath.ch/newsd/weihnachtsmaerkte-hier-kriege-dort-wie-passt-das-zusammen/