Claudia Opitz-Belakhal: «Mein Gott ist ein lieber Gott»

Feministin, Professorin, Mutter und Ehefrau. Claudia Opitz-Belakhal führt ein Leben zwischen Freiburg, Basel und Tunesien, der Heimat ihres Mannes. Alles unter einen Hut zu bekommen, war nicht immer einfach und manchmal schlicht unmöglich. Besonders mit zunehmendem Alter «ist Religion immer wieder Thema» im Hause Opitz-Belakhal.

Annalena Müller

Claudia Opitz-Belakhal (67) sitzt gut gelaunt in ihrem Büro im vierten Stock des Departement Geschichte der Universität Basel. Seit mehr als dreissig Jahren prägt die Professorin die deutschsprachige Geschichtswissenschaft. Sie hat über Hexenverfolgung geforscht, über weibliche Heilige publiziert, die Frauen- und Dämonenbilder von Bodin, Luther, Rousseau und Montesquieu analysiert und über Familienalltag geschrieben.

Privat ist die Feministin der ersten Stunde seit über 30 Jahren mit einem Tunesier verheiratet. Die Familie lebt im deutschen Freiburg. Die Töchter wurden muslimisch erzogen. In Opitz-Belakhals Verständnis von Feminismus ist das kein Widerspruch. Aufgabe des Feminismus sei es, Frauen den nötigen Raum zu erkämpfen, damit sie ihren Lebensentwurf frei wählen können. Nicht, ihnen neue Vorschriften zu machen.

Christliche Kindheit am Bodensee

Aufgewachsen ist Claudia Opitz-Belakhal am Bodensee. Ihr Vater ist praktizierender Lutheraner, ihre Mutter eine suchende Katholikin, die ihre spirituelle Heimat schliesslich in der protestantischen Landeskirche findet. Opitz-Belakhal erfährt eine weltoffene religiöse Erziehung.

Seit ihrer Kindheit seien starke Frauenfiguren prägend gewesen, erzählt sie. «Wir waren ein Frauenhaushalt – vier Töchter! Und dann hat meist noch irgendwer bei uns gelebt. Eine Cousine oder Austauschschülerinnen aus den USA. Es war immer etwas los.» Ihre Mutter habe den Laden zusammengehalten. Diese Prägung wirkt sich auch auf Opitz-Belakhals Forschung aus. «Starke Frauen» und «Familie» sind zwei Themen, die sich wie ein roter Faden durch ihr Schaffen zieht. Zuletzt in der Veröffentlichung einer Geschichte der Basler Familie Gernler.

Die K-Frage

In ihrem eigenen Leben hat Opitz-Belakhal alles erreicht, was die Gesellschaft von emanzipierten Frauen erwartet. Sie hat eine herausragen Karriere in der Wissenschaft gemacht und zwei Kinder bekommen. Aber die Historikerin macht deutlich, dass die gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen unfair seien.

Denn Kinder und Karriere unter einen Hut zu bekommen, sei mit grossen Opfern verbunden – und zwar von beiden Elternteilen. So sei es auch bei ihr und ihrem Mann gewesen, obwohl sich die beiden private Kinderbetreuung leisten konnten.

Mit zwei kleinen Kindern kam das Paar Opitz-Belakhal in den 1990er Jahren mehrfach an seine Grenzen. Ihr Mann, Hamouda Belakhal, ist für sie aus Tunesien nach Deutschland gezogen. Beide sind berufstätig. Er ist Ingenieur und sie Professorin, erst in Hamburg und ab 1998 in Basel. Sie teilen sich die Care-Arbeit für die beiden Töchter zu gleichen Teilen. Und trotzdem ist die Belastung oftmals zu gross.

Opitz-Belakhal beschreibt einen Schlüsselmoment aus dieser Zeit: Die Kinderfrau soll die beiden Töchter vom Kindergarten bzw. der Schule abholen. Claudia Opitz-Belakhal will sich von den Mädchen verabschieden. Sie hält einen wichtigen Vortrag in einer anderen Stadt und muss zum Bahnhof.

Kinderfrau und Töchter verspäten sich. Opitz-Belakhal wartet zunehmend ungeduldig. Hamouda Belakhal arbeitet in Neuenburg. Er ist nicht zuhause, als die Kinderfrau nicht kommt. Claudia Opitz-Belakhal muss los, sonst verpasst sie ihren Zug. Aber sie will nicht gehen, bevor sie weiss, wo ihre Mädchen sind. In diesen Momenten, so sagt sie, habe sie die Abgründe der K-Frage – Kind und Karriere – im Schnelldurchlauf durchlebt.

Augen zu und durch

Wie soll sie sich in diesem Moment entscheiden? Sie weiss, dass sie das Falsche priorisieren muss – den Zug. Die Lösung des Dilemmas, die keine ist: die Hoffnung, dass alles schon irgendwie gut kommt.

Als keine Zeit mehr zum Warten bleibt, «bin ich zum Bahnhof gerast und mit einem unglaublich schlechten Gewissen in den Zug gestiegen.» Es sei ein schrecklicher Moment gewesen, so Opitz-Belakhal. Die Geschichte geht gut aus – ein Anruf aus dem Zug zeigt, dass Kinderfrau samt den beiden Mädchen gut zuhause angekommen sind.

Home-Office und 150-prozentiger Einsatz

Trotzdem organisieren sich die Eltern in der Folge um. Hamouda Belakhal beginnt von zuhause zu arbeiten. «Heute arbeitet jeder im Home-Office. Damals nicht.» Claudia Opitz-Belakhal selbst leistet zu dieser Zeit «150-prozentigen Einsatz». An der Uni ist sie ganz Professorin und zuhause Mutter und Ehefrau. Wenn diese Quadratur des Kreises mal nicht gelingt, dann ist Hamouda Belakhal da und hält der jungen Professorin den Rücken frei.

«Hamouda ist ein sehr überzeugter Familienvater und Familienmensch.» Er habe den Mädchen sogar arabisch beigebracht – auch lesen und schreiben. «Das können nur wenige Secondos und Secondas, weil das Erlernen der komplizierten Schriftzeichen ziemlich viel Zeit und Mühe kostet.»

Wanderin zwischen den Welten

Der Vater unterrichtet seine Töchter auch im Islam. Religion sei ihrem Mann wichtig, sagt Opitz-Belakhal. Sie habe damit kein Problem. Sie selbst sei zwar nicht sehr religiös. Aber ihr sei es wichtig gewesen, dass ihre Kinder «irgendeine Art an religiöser Erziehung erfahren. Das kann auch eine muslimische sein.»

Sie selbst geniesst das Wandern zwischen den kulturellen und religiösen Welten. Die Sommer verbringt die Familie im ländlichen Tunesien, den Rest des Jahres in Europa. Gefragt nach unterdrückten Frauen und dominanten Männern, winkt Opitz-Belakhal ab. Sicher, Frauen würden sich eher im häuslichen Raum treffen und nicht «in die Cafés oder Diskos gehen», aber Diskos gäbe es «auf dem Land eh nicht».

In Bezug auf Autorität sei neben dem Geschlecht die Rolle in der Familienkonstellation entscheidend. In ihrer tunesischen Familie würden die Alten «die Jungen ganz schön herumscheuchen», unabhängig vom Geschlecht. Zentral sei, «ob man als Mutter, Ehefrau oder eben als Tochter auftritt.» Wobei Mütter und Ehefrauen mehr Autorität hätten als Töchter.

Die Gretchen-Frage

«Wie hast du’s mit der Religion?», fragt Gretchen im «Faust» den um sie buhlenden Gelehrten. Während bei Goethe die Rollen-Bilder klassisch verteilt sind: der aufgeklärt-rationale Mann und die glaubende Frau, ist es im Hause Opitz-Belakhal andersherum.

«Religion ist durchaus immer wieder Thema bei uns», sagt Opitz-Belakhal. Natürlich sei der Islam ähnlich vielfältig wie das Christentum, aber die meisten Muslime glaubten, dass man nur als Moslem in den Himmel komme. Auch ihr Mann sehe das so. «Je älter wir werden, desto grösser scheint auch seine Sorge um mein Seelenheil zu werden. Aber da kann ich ihm auch nicht helfen,» sagt sie lapidar.

Auf ihren eigenen Glauben angesprochen, sagt Opitz-Belakhal: «Ich bin irgendwie immer noch in meinem Kinderglauben verankert.» In Religionsgesprächen mit ihrem Mann, sage sie ihm deshalb auch immer wieder, dass sie keine Angst vor der Hölle habe. «Mein Gott ist ein lieber Gott. Da gibt es keine Hölle.»


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