Hannah Audebert: Unsere Kirche ist eine alte, schwerhörige Dame geworden

Am Sonntag findet der Weltgebetstag für geistliche Berufe statt. Die Seelsorgerin Hannah Audebert sucht als Frau in einer Kirche, die sich selbst behindert und zunehmend unglaubwürdiger macht, noch immer vergebens ihren Platz. Sie betet deshalb für die sich berufen fühlenden Frauen und dafür, dass die katholische Kirche sich schleunigst die Ohren putzt, um besser zuzuhören. Ein Gastkommentar.

Hannah Audebert*

Alle Jahre wieder wird am «Gut-Hirten-Sonntag» für Berufungen gebetet. Und dann wird immer zweiflügelig gebetet: zum einen die allgemeine Berufung zum Christsein, dass jeder und jede das Christsein in den eigenen Gaben und Lebensumständen entfalten kann.

Klerikales Grossereignis

Und zum anderen gebetsmühlenartig die Bitte, dass Gott Menschen für den besonderen Dienst als Priester oder für das geweihte Leben berufen möge. Für viele ist das genauso gut und richtig und führt das Bild vom Hirten und Schaf weiter. Sichtbar beispielsweise an einer Priesterweihe, die zum klerikalen Grossereignis wird, auch weil sie einen so grossen Seltenheitswert hat.

Doch wie können wir ehrlich Gott um Berufungen in der Kirche bitten, wenn die Kirchenstruktur so viele behindert und verhindert? Zum Beispiel so viele Frauen, die sich als Priesterin und Diakonin berufen fühlen.

Sr. Philippa Rath sammelte ihre biographischen Erzählungen im Buch «Weil Gott es so will» und es ist zutiefst berührend, ihnen zuzuhören, wie sie mutig versuchen, ihre Berufung trotz allem zu leben, in andere Berufe auszuweichen, die Konfession wechseln und tun, was möglich ist. Oder auch die Frauen der Junia-Initiative, die frisch und beharrlich für die Gleichwürdigkeit einstehen.

«Werden sie erhört? Wer ruft und beruft? Ist es Gott oder die Kirchenleitung?»

Das Thema des diesjährigen Gebetstags heisst «Hören». Hierzu eine Episode: Um nicht als Theologin in der Kirche zu verbittern, nachdem Papst Johannes Paul II. den Nicht-Geweihten das Predigen und Segnen untersagte, trat ich in die Gemeinschaft der Kleinen Schwestern Jesu ein.

Vertiefte Beziehung zu Christus

Es war nicht ganz meine Berufung. Doch der geschwisterliche Umgang untereinander und mit allen Menschen tat mir gut und die kontemplative Ausrichtung vertiefte in mir die Beziehung zu Christus.

Nach 7 Jahren stand die Erneuerung der Gelübde an. Und da entzündete sich mein Innenohr. Der Ohrenarzt war am Ende seines Lateins, denn kein Medikament half und das Hörvermögen nahm ab. «Was können wir noch tun? Gibt es etwas, auf das Sie nicht hören können oder wollen», fragte er mich.

Diese Frage öffnete mir das Herz und mir war schlagartig klar, dass ich meiner Berufung folgen und hierfür die Gemeinschaft verlassen muss. Just an diesem Tag war das Tagesevangelium: «Wenn er die eigenen Schafe alle hinausgetrieben hat, geht er vor ihnen her, und die Schafe folgen ihm, weil sie seine Stimme kennen. (Joh 10,4). Die Schwestern betätigten, dass sie mich auf dem pastoralen Feld sehen und segneten meinen Abschied. Danach klang die Ohrentzündung schnell ab.

Noch immer suche ich als Frau vergebens meinen Platz in der katholischen Kirche, die sich selbst so behindert und in den Augen der Gesellschaft immer unglaubwürdiger macht, wenn sie für die Gleichwürdigkeit der Menschen eintritt und dann bei der Zulassung zur Priesterweihe selektiert und diskriminiert.

Eine zweite Episode

Als Seelsorgerin bin unter anderem auch in einem Altenheim tätig. In einem Gespräch mit einer 98-jährigen Frau erzählt diese von den vielen gelingenden Lebenserfahrungen und auch von schweren Zeiten. Auf die Frage, ob es etwas gibt, das sie anders machen würde, antwortet diese sofort: Ja, ich hätte auf meine Kinder hören sollen und mir mit 90 Jahren ein Hörgerät kaufen sollen. Jetzt ist es zu spät.»

«Es ist nie zu spät», war meine spontane Antwort. Und tatsächlich kaufte sich diese Dame noch ein Hörgerät und Sie sollten ihre Freude sehen, dass sie am Tisch oder bei den Gottesdiensten wieder so viel besser verstehen kann und sogar die Vögel wieder hört. Vielleicht ist unsere Kirche auch so wie eine alte, steif gewordene schwerhörige Dame?

Das Gebet um Berufungen hat also drei Adressen: Gott, der/die beruft, wir Menschen, die inmitten der Vielstimmigkeit Gottes Stimme zu erlauschen suchen und die Kirche, die dazwischen steht.

Möge die Stimme jeweils klar hörbar und die Ohren jeweils «geputzt» (oder mit Hörgerät verstärkt) sein – damit «Himmelsklang und Erdenklag» in Resonanz kommen.

*Hannah B. Audebert ist Seelsorgerin in der Dompfarrei in St. Gallen.


Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

https://www.kath.ch/newsd/hannah-audebert-unsere-kirche-ist-eine-alte-schwerhoerige-dame-geworden/