Warum Frauen wie Nora Gomringer, Hubertine Underberg und Felicitas Hoppe in der Kirche bleiben

In einem neuen Buch beschreiben prominente Katholikinnen, warum sie in der Kirche bleiben. Etwa die Lyrikerin Nora Gomringer. Oder Hubertine Underberg-Ruder, VR-Präsidentin der Underberg AG in Dietlikon. Oder Felicitas Hoppe, die einen Zweitwohnsitz im Wallis hat. Die Autorin wünscht sich kreativere Antworten als einfach nur Priesterinnen in einer hierarchischen Kirche.

Nina Schmedding und Raphael Rauch

Warum in der Kirche bleiben? Diese Frage hat die Journalistin Elisabeth Zoll, Redaktorin bei der «Südwest Presse» in Ulm, 18 prominenten Frauen gestellt und aus ihren Antworten ein Buch gemacht. 

Trotz aller Kritik sind die Frauen gerne katholisch

«Wir bleiben! Warum sich Frauen nicht aus der katholischen Kirche vertreiben lassen», heisst der am Mittwoch erschienene Sammelband. Die Textformen der Autorinnen sind dabei ganz unterschiedlich: es gibt Gedichte, autobiografische Texte und Interviews.

Auf rund 180 Seiten schildern die Frauen aus Politik, Gesellschaft, Literatur und Wirtschaft, warum sie immer noch katholisch sind und was sie in der Kirche hält – trotz aller Kritik an ihren Strukturen, dem Umgang mit sexuellem Missbrauch oder einer fehlenden Gleichberechtigung von Frauen.

Annette Schavan würdigt den Glarner Moraltheologen Franz Böckle

Darunter sind auch Frauen, die einen Bezug zur Schweiz haben. Etwa die schweizerisch-deutsche Lyrikerin Nora Gomringer. Oder die Autorin und Büchner-Preisträgerin Felicitas Hoppe, die in Leuk im Wallis ihren Zweitwohnsitz hat. Mit dabei ist auch die Mikrobiologin Hubertine Underberg-Ruder. Sie ist Präsidentin des Verwaltungsrates der Underberg AG in Dietlikon. Und die frühere deutsche Botschafterin am Heiligen Stuhl, Annette Schavan, die in ihrem Aufsatz schreibt, wie wichtig der Glarner Moraltheologe Franz Böckle für sie war.

Nora Gomringer, die auch Delegierte des Synodalen Weges in Deutschland ist, lässt ihre Lyrik als eine Art Bekenntnis sprechen. Zum Beispiel ihre Zeilen über «Unsere Mütter»:

Die Schriftstellerin Felicitas Hoppe erzählt in dem Band von ihrem katholischen Weltbild. «Welches Kind versteht schon die Beichte?», fragt Hoppe nüchtern. Sie könne «so schön wie schrecklich sein, das hängt von der jeweiligen Erfahrung ab». Als Sakrament sei sie heute nicht mehr vermittelbar, und auch für sie selbst lange keine Option mehr, was Hoppe durchaus auch bedauert.

Damit verschwinde «eine Möglichkeit der Entlastung, das Gefühl, dass ich etwas abgeben kann, dass ich nicht für alles allein zuständig bin; auch das ein Grund, warum ich gern katholisch bin. Natürlich lässt sich das therapeutisch kompensieren, aber Religionen enthalten Lebensweisheiten, die über unsere eigenen Erfahrungen hinausgehen.»

Weite, Offenheit, Universalität

Trotz aller Krisen verbindet Felicitas Hoppe mit dem Katholischen vor allem Positives: «Weite, Offenheit, Universalität. Es gibt diese schöne englische Wendung: to be of catholic tastes. Das meint eine Person, die universal gebildet ist: offen, allumfassend, ganz entgegen den heutigen Vorstellungen von katholischer Rückwärtsgewandtheit und Enge.»

Darin stecke «natürlich auch eine grosse Hybris». Doch für sie bedeute, katholisch zu sein, auch «aus engen Begrenzungen herauszukommen». Überall auf der Welt fühle sie sich als Katholikin willkommen: «Überall steht ein Tisch, überall ist Eucharistie.»

Priesterinnen in einer apostolisch-männlich geprägten, hierarchischen Kirche?

Auch ihr künstlerisches Schaffen sei von der katholischen Tradition geprägt, schreibt Felicitas Hoppe: «Katholisch ist die Ästhetik, die Bildhaftigkeit, die Musikalität – all das, was mein Schreiben bis heute prägt.»

Mit Blick auf Reformdebatten sagt Felicitas Hoppe: «Ich frage mich zum Beispiel, warum Frauen unbedingt katholische Priesterinnen werden wollen?» Die katholische Kirche sei «genuin apostolisch-männlich geprägt und hierarchisch, also undemokratisch verfasst. Wollen Frauen wirklich einem Bischof Gehorsam geloben, der ihnen danach huldvoll die Hand auflegt, um sie zu Priesterinnen einer männlichen Kirche zu machen?»

«Wir brauchen Kraft, um diese Veränderung auszuhalten»

Felictias Hoppe findet, die katholische Kirche brauche kreativere Antworten als einfach den Status quo für alle Geschlechter zu öffnen: «Wir brauchen Kraft, um diese Veränderung auszuhalten, ohne in Panik zu verfallen. Selbstgerechtigkeit, egal von welcher Seite, ist dabei ein schlechter Ratgeber.»

Die Unternehmerin und Mikrobiologin Hubertine Underberg-Ruder geht ihrer katholischen Identität in «sieben Begriffen» nach, wie sie schreibt: «zum Weiterdenken und Weiterverhandeln und vor allem Weiterhandeln». Die sieben Begriffe heissen «Sprechfähigkeit, Schöpfung, intrinsische Motivation, Dienen, Subsidiarität, Freiheit, Ökumene».

Schöpfung bedeutet Kreativität und Innova­tion

Als Mikrobiologin hat Hubertine Underberg-Ruder ein besonderes Verhältnis zur Schöpfung. Sie erinnert an Goethes Faust, wo Heinrich Faust in seiner Studierstube nach einer adäquaten Übersetzung für den Begriff «Logos» brütet: etwa Wort, Sinn, Kraft und Tat. «Jeder dieser vier Begriffe beschreibt einen anderen, unverzichtbaren Aspekt von Schöpfung», schreibt Hubertine Underberg-Ruder. «Heutiger ausgedrückt könnte man auch von Kreativität und Innova­tion sprechen statt von Schöpfung. Bei umgesetzten, kreativen Projekten spricht man von Innovation – Wort, Sinn, Kraft und Tat – eben.»

Hubertine Underberg-Ruder stellt sich die Frage: «Woher kommt diese Kraft? Warum war und ist diese seit dem Urknall immer da?» Und als Antwort schreibt sie: «Wir wissen es nicht. Aber wir wissen, dass sie da ist – heute, jetzt. Vor diesem Gedanken war Gott für mich vor allem der Erschaffer der Welt. Nach diesen Gedanken ist er auch der, ‘der die Welt trägt und hält’. Dadurch ist mir seine Gegenwart bewusster. ‘Der uns hält’, ist für mich das, was man wohl Heiligen Geist nennt.»

Gerlinde Kretschmann trat mit 27 Jahren aus der Kirche aus und mit 51 wieder ein

Im Buch kommt auch die First Lady von Baden-Württemberg zu Wort, Gerlinde Kretschmann. Die ehemalige Lehrerin, engagierte Grüne und Frau des Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg erzählt, warum sie mit 27 Jahren aus der katholischen Kirche austrat und mit 51 wieder eintrat.

Bereits in ihrer Kindheit störte es sie, dass «die Kirche versuchte mich klein zu machen. Ständig ging es um Sünde und um Verzicht. Aber auf was sollten wir Kinder damals verzichten?» Nachdem sie jahrelang ohne Kirche zufrieden war, wuchs sie langsam wieder darauf zu: Ihre Kinder interessierten sich für Religion, wollten getauft werden, sie ging in den Kirchenchor – und trat wieder ein. «Katholisch-Sein – das gibt mir Heimat», sagt Kretschmann heute. «Trotz Tod ist das so viel Hoffnung. Das Leben geht weiter – in welcher Form auch immer. Das bewegt mich ganz tief. Mehr kann Glaube nicht bieten.»

Der Glaube gibt dem Leben eine Perspektive

Die CDU-Politikerin Annette Schavan, ehemalige deutsche Bildungsministerin und Botschafterin am Heiligen Stuhl, schildert augenzwinkernd ihre Erstkommunion: Pastor und Kaplan hätten «erklärt, dass Jesus in der Hostie wirklich bei uns sei. Ich nahm das so ernst, dass ich alles tat, um die Hostie, die mir auf die Zunge gelegt wurde, nicht zu beschädigen. Ich hoffte, sie löse sich irgendwann auf, so dass ich sie hinunterschlucken könnte. Alles andere hätte ja bedeutet, so war ich überzeugt, den Herrn Jesus zu beissen.» 

Für Annette Schavan ist der Glaube auch Ausdruck einer Haltung, die Politik und Wirtschaft gestaltet. Christentum sei «Internationalität jenseits all der neuen Nationalismen und Egoismen, die gerade zu beobachten sind. Das ist Versöhnung in einer unversöhnlichen Welt», sagt die ehemalige deutsche Botschafterin am Heiligen Stuhl. Der Glaube habe ihrem «Leben eine Perspektive gegeben. Das hat meinen Blick auf die Welt, die Zeit und den Menschen beeinflusst, mich respektvoll und freiheitsliebend sein lassen.»

Elisabeth Zoll (Hg.): Wir bleiben! Warum sich Frauen nicht aus der katholischen Kirche vertreiben lassen. Stuttgart: Hirzel-Verlag.


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