Warum Alain de Raemy nicht Bischof von Lugano werden kann

Seit kurzem ist der Sitz des Bischofs von Lugano vakant. Eine Klausel legt fest, dass die Diözese Lugano von einem Tessiner geleitet werden muss. Warum das so ist, zeigt ein Blick in die Geschichte der jüngsten Schweizer Diözese.

Barbara Ludwig

Valerio Lazzeri (58) war bis 10. Oktober Bischof von Lugano. Übergangsweise leitet der Weihbischof von Lausanne, Genf und Freiburg, Alain de Raemy, die Geschicke des Bistums. Und zwar als Apostolischer Administrator.

Dass Apostolische Administratoren die Kirche im Südzipfel der Schweiz leiten ist – im historischen Rückblick – nicht aussergewöhnlich. Von 1885 bis 1971 war das sogar die Regel. Erst damals entstand das Bistum Lugano als letztes der Schweiz. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein war das Tessin Teil der lombardischen Bistümer Mailand und Como. Diese Ordnung kam mit der Entstehung der Nationalstaaten unter Druck.

Bundesrat beendete Herrschaft lombardischer Bischöfe

1859 hob der Bundesrat per Beschluss die Gerichtsbarkeit ausländischer Bischöfe auf eidgenössischem Gebiet auf. Damit habe er den Einfluss der Bischöfe von Como und Mailand auf das Tessin de facto unterbunden, schreibt Antonietta Moretti im Historischen Lexikon der Schweiz.

In den folgenden Jahrzehnten kam es mehrfach zu Verhandlungen über die kirchliche Situation. Eugène Lachat, der abgesetzte Bischof von Basel, wurde 1885 erster Apostolischer Administrator des Tessins. Es war ein Provisorium von kurzer Dauer, Lachat starb 1886.

Dem Bistum Basel angegliedert

Zwei Jahre später schlossen der Heilige Stuhl und die Eidgenossenschaft ein Abkommen über die definitive Errichtung einer Apostolischen Administration. Der Bischof von Basel hiess fortan «Bischof von Basel und Lugano» und hatte ein Mitspracherecht bei der Ernennung des Administrators.

In dem Abkommen sei die vollständige Unabhängigkeit der beiden Titel garantiert worden, schreibt Moretti. «Es handelte sich de facto um die kanonische Errichtung der Tessiner Diözese, auch wenn in den Dokumenten dieser Begriff sorgsam vermieden wurde, da die eidgenössische Gesetzgebung die Schaffung neuer Diözesen untersagte.» Moretti bezieht sich damit auf einen der konfessionellen Ausnahmeartikel in der Bundesverfassung, die ihren Ursprung im Kulturkampf des 19. Jahrhunderts hatten.

1971 bekommt das Tessin den ersten Bischof

Das Tessin erlebte in der Folge sechs Apostolische Administratoren. Der letzte war Giuseppe Martinoli. Er wurde der erste Bischof von Lugano, der sich auch so nennen durfte. Grundlage dafür war das Abkommen zwischen dem Bundesrat und dem Heiligen Stuhl von 1968, in dem die Abtrennung der Apostolischen Administration des Tessins vom Bistum Basel und ihre Umwandlung in ein Bistum beschlossen wurde.

In dem Abkommen ist festgehalten, dass der Bischof von Lugano «aus der Zahl der dem Kanton Tessin angehörenden Priester gewählt wird» – sprich Tessiner sein muss. Eine solche Bestimmung habe jedoch bereits für die Apostolischen Administratoren Geltung gehabt, teilt Giosia Bullo auf Anfrage von kath.ch mit. Bullo ist Sprecherin der Staatskanzlei des Kantons Tessin.

Immer war ein Tessiner der Chef

Über die Angliederung der Tessiner Pfarreien an eine Schweizer Diözese sei im 19. Jahrhundert intensiv und hitzig diskutiert worden. «Die Tessiner wollten nicht der Basler Diözese unterstellt werden. Der Bundesrat hingegen wollte keine neue Diözese errichten, sondern die Tessiner Pfarreien einer bereits existierenden Diözese unterstellen.»

Die Errichtung der Administration 1888 sei schliesslich eine Kompromisslösung gewesen. Bis zur Aufhebung der Administration waren sämtliche Administratoren und anschliessend alle Bischöfe aus dem Tessiner Klerus gewählt worden – mit Ausnahme des 1886 verstorbenen Eugène Lachat.

Misstrauen gegenüber anderen Kulturen

Pier Giacomo Grampa war von 2004 bis 2013 Bischof von Lugano. Er stammt aus Italien, liess sich aber im Tessin einbürgern und konnte deshalb Bischof von Lugano werden. Die Gründe für die Klausel, wonach der Bischof von Lugano ein Tessiner sein muss, seien kultureller und historischer Natur, teilt Grampa mit. «Die Tessiner Pfarreien waren immer italienischen Bischöfen unterstellt.» Zudem habe ein gewisses Misstrauen geherrscht gegenüber «reformerischen» Traditionen und gegenüber Traditionen, die von anderen Sprachen und Kulturen geprägt sind.

Nicht aus dem Tessin stammt der aktuelle Apostolische Administrator Alain de Raemy. Der Romand ist somit kein Kandidat für den Bischofssitz von Lugano. Es sei denn, er würde das Tessiner Bürgerrecht erhalten. Doch das könnte er frühestens nach drei Jahren im Tessin beantragen. Und einen Bischofssitz so lange vakant zu lassen – das wäre durchaus ungewöhnlich.


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