Solo-Karriere als Sängerin – oder Nonne bleiben? Markus Muff über Suor Cristinas Ordensaustritt

Cristina Scuccia wurde als singende Nonne in der TV-Show «The Voice of Italy» bekannt. Nun hat die Ursuline ihr Kloster verlassen. Die Gründe, ein Ordensleben zu beginnen, sind selten die gleichen Gründe, die einen dazu bewegen, in der gewählten Gemeinschaft zu verharren. Ein Gastbeitrag.

Markus Muff*

Was könnte eine junge Frau – konkret die ehemalige  Sängerin Cristina Scuccia – veranlasst haben, das Ordensleben aufzugeben? Die Frage ist sehr kompliziert und die Thematik ist bei allen (ehemaligen) Ordensleuten eine andere. Es ist also nahezu unmöglich, eine Ferndiagnose zu stellen und ohne vertiefte Kenntnisse korrekt zu argumentieren. Daher verbleibe ich im Versuch, einige allgemeine Überlegungen zusammenzustellen. Sie ergeben sich nahezu von selbst, wenn es um den Austritt aus einer Ordensgemeinschaft geht.

Rationale und emotionale Überlegungen

Die Gründe, ein Ordensleben zu beginnen, basieren in den meisten Fällen nicht ausschliesslich auf rationalen Überlegungen. Tatsächlich nennen wohl die meisten Ordenschristen gute und nachvollziehbare Gründe für den Beginn ihres Ordensleben, vor allem um zu belegen, dass sie nicht blind ein Abenteuer beginnen.

Gegenüber der eigenen Familie, im Gespräch mit Freunden und Arbeitskolleginnen kann also ein ganzes Dispositiv von Argumenten aufgefahren werden: Wieso beginne ich ein Ordensleben, weshalb wähle ich diese Gemeinschaft, wie gehe ich mit Verzicht um, was bedeuten mir Freiheit oder Vorschriften et cetera? Auf all diese Fragen suchen sich junge Menschen mit Sicherheit eine Antwort, bevor sie sich für ein Ordensleben entscheiden.

Eine Berufung fühlt sich wie eine Verpflichtung an

Soweit also der rational begründbare Teil. Weniger einfach zu begründen ist eine Erfahrung, die oft als Ruf Gottes – als Berufung – bezeichnet wird. Frauen wohl eher als Männer geben im Gespräch Antworten, die eine starke innere, religiös konnotierte Erfahrung wiedergeben. Die freie Wahl eines Ordenslebens ist konditioniert – man fühlt sich gerufen, man fühlt sich nahezu verpflichtet, ein Ordensleben zu beginnen. 

Die Erlebnisse, welche zu einer solchen Verpflichtung führen, mögen völlig unterschiedlich sein. Doch bilden sie im konkreten Leben mancher Menschen die Basis für einen Entscheid: Ich will, ja ich muss diesen Weg unter die Füsse nehmen.

Sucht der Kandidat wirklich Gott?

Die Regel des Benedikt von Nursia kennt diesen Neulings-Eifer. Es war schon zur Zeit Benedikts, also vor rund 1’500 Jahren so, dass junge Menschen vielleicht unvermittelt an die Türe eines Klosters klopften und um Aufnahme baten. Sie hatten ihre rational nachvollziehbaren Gründe; sie hatten wohl auch eine Art religiöses Erlebnis im oben beschriebenen Sinn.

Benedikt mahnt, gegenüber dem Neuling eine gewisse Zurückhaltung, ja Strenge zu bewahren. Der Eintritt in ein Kloster soll einem Interessenten nicht einfach gemacht werden. Vor allem sei zu prüfen, ob der Kandidat wirklich Gott suche. Ohne Zweifel geht es Benedikt darum, die religiöse Motivation zu klären.

Heute sind die Kriterien laxer

So weit, so gut! Doch wie klärt man denn eine religiöse Motivation ab? Die rationalen Argumente können gut zurechtgelegt werden. Die tiefste innere religiöse Motivation bleibt bei einer Abklärung zu einem schönen Teil verborgen. Man kann sie nur intuitiv erfassen. Selbst erfahrene Äbtissinnen oder Abte können sich täuschen – oder lassen sich Sand in die Augen streuen. Den Novizenmeisterinnen mag es ähnlich ergehen.

Besonders in einer Phase des Niederganges des traditionellen Ordenslebens in Zentraleuropa werden Kandidatinnen für das Ordensleben ebenso wie Kandidaten für einen Priester- oder Ordensberuf tendenziell etwas grosszügiger bewertet, als das vor 50 Jahren der Fall gewesen wäre. Man braucht schliesslich junge Kräfte!

Ein bisschen rosa Brille muss sein

Die Abklärungen sind nicht standardisiert und können es nicht sein. Eine Reihe von äusserlich wahrnehmbaren Verhaltensweisen der Kandidaten haben oft ein zu grosses Gewicht. Die Abklärungen, welche die religiöse Motivation betreffen, sind anspruchsvoll – und häufig sind die Einschätzungen nur zum Teil zutreffend.

So kreuzen sich also die Wünsche und Überzeugungen von Kandidaten oder Kandidatinnen mit den Vorstellungen, Wünschen und Hoffnungen einer Gemeinschaft und deren Vertretern. Im Normalfall gibt jede Seite der anderen einen hohen Vertrauensvorschuss. Das ist wohl ähnlich wie bei der Anbahnung einer Ehe oder Partnerschaft; ohne Vertrauensvorschuss und ohne die rosa Brille gehen wir kaum irgendwelche Bindungen ein. Selbst rein geschäftliche Bindungen basieren in den seltensten Fällen auf rein rationalen Entscheidungen; das können wir aktuell auch gut bei Grossbanken beobachten.

Wie in einer Ehe: irgendwann dominiert der Alltag

Fazit: dem Beginn eines Ordenslebens geht üblicherweise eine starke religiöse Motivation voran – deren Echtheit und Konsistenz schwierig zu beurteilen sind. Der Beginn eines Ordenslebens ist argumentativ gut zu meistern – die rational darlegbaren Gründe sind nicht wenige.

Wie in einer Ehe auch, so tritt im Verlauf eines Ordenslebens der Alltag ein – früher oder später. Meist eher etwas später, weil die religiöse Motivation doch eine gute Weile anhält.

Noviziat, Ausbildung, Profess

Die Bewältigung des Alltags rückt immer mehr in den Vordergrund. Häufig sind straffe Strukturen in diesem Alltag prägend; es nerven  hierarchisch dominierte Entscheidungswege – oftmals hinter gespieltem oder echtem Wohlwollen versteckt. Es belasten die eigenen menschlichen  Unvollkommenheiten ebenso wie die Laster und Fehler der anderen Mitglieder einer Lebensgemeinschaft. Die Regel Benedikts gibt den Rat, diese Schwächen geduldig zu ertragen. Das ist ein wichtiger Ratschlag – nicht immer einfach in der Umsetzung. 

Schwester Cristina ist nach vier Jahren aus der Ordensgemeinschaft ausgetreten. Es braucht tatsächlich ungefähr drei bis vier Jahre, bis ein Zusammenleben einigermassen objektiv wahrgenommen wird. Nicht umsonst gibt es nach der Kandidatur das Noviziat, dann die Ausbildung – nicht umsonst dauert es bei den Benediktinern drei Jahre, bis die einfache Profess in feierlicher Form bestätigt wird.

Das Klosterleben als grosser Prellbock

Ein Austritt nach vier Jahren ist für die junge Frau in mancher Hinsicht eine Belastung. Sie muss sich von den engen Verhältnissen in der Ordensgemeinschaft wieder lösen und auf eigenen Füssen stehen. Sie kann nicht weiter einen Grossteil der täglichen Entscheidungen delegieren; manche Gemeinschaften sind ja so organisiert, das einzelne Obere gerne über andere wachen und Entscheidungen  zweifellos auch ungefragt jederzeit abnehmen. Für junge und dynamische Menschen ist das oft ein grosser Prellbock.

Die oft fehlende Anleitung zu mündigem Leben ist auch in italienischen Ordensgemeinschaften ein Thema. Die manchmal beengten,  oder in Ausnahmefällen sogar bigotten Tendenzen können auch noch so gut motivierte Mitglieder auf Dauer zermürben. 

Bestens ausgebildete Frauen müssen in der Küche schuften

Wir stellen hier von Rom aus fest, dass das Beharrungsvermögen einer religiösen Gemeinschaft unendlich sein kann; neue Ideen, auch gut begründbare Alternativen zu bisherigen Lösungen, werden ignoriert oder marginalisiert. Selbst päpstliche Appelle gehen bald vergessen. Es kommt vor, dass bestens ausgebildete Frauen – seltener Männer – nach dem Studium in ihre Gemeinschaft zurückkehren und dort sofort für den Küchendienst oder die Arbeit im Garten abgestellt werden. Studium hin oder her: Die «Arbeit für die Gemeinschaft» hat Vorrang – und «die Kräfte werden nicht mehr».

Wenn eine junge Frau oder ein junger Mann die Ordensgemeinschaft nach reiflicher Überlegung verlässt, so gibt das in der Gemeinschaft und in der interessierten Öffentlichkeit zuerst mal zu reden. Es gibt vielleicht zu denken. In wenigen Fällen führt ein Austritt zu Änderungen, am Wenigsten wohl in der allein gelassenen Gemeinschaft. Denn die ist ja weiterhin unterwegs und ist sich ihres Lebensstils häufig gewiss.

Die Nächstenliebe als Richtschnur

Eine Form der Unbelehrbarkeit kann mancherorts zum guten Ton gehören. In einer rasant sich entwickelnden und global vernetzten Welt ist es nicht einfach, die uralten Ordensregeln oder die zumindest über Jahrzehnte erprobten Gebräuche einer religiösen Gemeinschaft so auszulegen und zu leben, dass sie der Gemeinschaft und ihren Mitgliedern wirklich dienen. Denn Regeln und Gebräuche haben in sich wenig Wert – sie haben nach traditioneller Überzeugung nur dann einen Wert, wenn sie uns Menschen im Glaubensleben voranbringen.

Gebräuche und Regeln haben einzig die Aufgabe, uns alle in der menschlich-religiösen Reifung zu fördern. Nicht umsonst nennt Benedikt das Kloster eine Schule; eine Umgebung also, die existenzielle Fortschritte ermöglichen soll. Das Klosterleben soll Anregung und Anleitung bieten um dem Liebesgebot immer besser zu entsprechen: «Liebe Gott und deinen Nächsten ebenso wie dich selbst.» 

Die Äusserlichkeiten auch im Ordensleben sind wichtig, aber sie dürfen den Auftrag Jesu nicht beschneiden. 

Es mag gut sein, dass ein Austritt mehr – auch in diesem Fall – wenig bewirkt; ein paar interne Gespräche oder etwas mediale Aufmerksamkeit ausgenommen.

Markus Muff stammt aus Rothenburg LU und trat ins Benediktiner-Kloster Engelberg ein. Der Pater ist Entwicklungsdirektor der Benediktinischen Konföderation für Europa. Sein Büro hat er in Rom am Hauptsitz der Benediktiner, in Sant’Anselmo auf dem Aventin-Hügel.


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