In Kenia verboten, in Baden zu sehen: Spielfilm über lesbische Liebe

«Rafiki» war 2018 der erste kenianische Spielfilm über ein lesbisches Liebespaar. Er war in Kenia nur kurz zu sehen – und dann wieder verboten. Trotzdem wurde er zum Kinohit. Heute läuft er im «Royalscandalcinema» in Baden, eingeführt von der Sozialanthropologin Serena O. Dankwa.

Sarah Stutte

Wie viele Male haben Sie den Film bereits gesehen?

Serena O. Dankwa*: Ich habe ihn einmal im Kino gesehen, im Rahmen des Queersicht-Filmfestivals in Bern. «Rafiki» beruht auf der Kurzgeschichte «Jambula Tree» der ugandischen Schriftstellerin Monica Arac de Nyeko. Diese habe ich mehrmals gelesen.

«‹Rafiki› bedeutet in Swahili schlicht Freundschaft.»

Gibt es Unterschiede zwischen Buch und Film?

Dankwa: Das Buch ist in der Retrospektive erzählt und der Film linear. Der Filmtitel «Rafiki» bedeutet in Swahili schlicht Freundschaft. Die dortige Filmzensurbehörde hat verlangt, den Namen zu ändern, damit er nicht mit der Kurzgeschichte in Verbindung gebracht wird.

Die Originalstory spielt in Kampala, der Hauptstadt von Uganda – der Film aber in einem Quartier in Nairobi. Er wurde auf ein kosmopolitisches Mittelklassemilieu angepasst, die Musik von einer kenianischen Musikerin eingespielt und das Hauptaugenmerk auf die Kreativität eines boomenden, jungen Nairobis gelegt.

«Häufig haben queere Personen schwierige Beziehungen zu ihren Herkunftsfamilien.»

Worauf werden Sie vor der Filmvorführung in Baden hinweisen?

Dankwa: Ich werde den Freundschaftsbegriff thematisieren. Häufig wird mit den Worten queer und lesbisch ausschliesslich Sexualität verbunden. Im Alltag von vielen queeren Menschen zählen aber vor allem die Freundschaften – zu ihren Geliebten, aber auch ihren Netzwerken und Wahlfamilien. Häufig haben queere Personen schwierige Beziehungen zu ihren Herkunftsfamilien. Freundschaften bekommen umso mehr Gewicht.

Sie haben in Ghana dazu geforscht…

Dankwa: Genau. Für meine Doktorarbeit zu gleichgeschlechtlicher Liebe, Freundschaft und Sexualität zwischen Frauen in Ghana habe ich im Süden des Landes mit Frauen aus der Arbeiterschicht zusammengelebt und sie interviewt. Ich wollte herausfinden, wie die Intimitäten zwischen Frauen-liebenden Frauen jenseits einer queeren Szene gelebt werden.

Gibt es denn eine queere Szene in Ghana?

Dankwa: Ja, wobei die dortigen Aktivist*innen nicht nur gegen eine staatliche Homophobie kämpfen müssen. Sie stehen zudem vor der Herausforderung, rein durch die Weltwirtschaftsordnung und die Folgen des Kolonial-Rassismus benachteiligt zu sein. Die Prekarität zwingt viele Menschen dazu, eine grosse Flexibilität an den Tag zu legen, um überhaupt über die Runden zu kommen.

«Queere Menschen werden doppelt marginalisiert.»

Wenn also Sanktionen gegen homophobe Staaten erhoben werden, treffen diese in erster Linie die Bevölkerung und damit auch die queeren Menschen, die doppelt marginalisiert werden. Hinzu kommt, dass afrikanische Politikerinnen und Politiker Queer-Feindlichkeit instrumentalisieren, um von anderen Themen abzulenken.

Und welche Bedeutung hat ein Film wie «Rafiki» für ostafrikanische Aktivist*innen?

Dankwa: Eine grosse. Es gibt nur zwei queere kenianische Filme, die international bekannt worden sind. Neben «Rafiki» ist das «Stories of our Lives», eine Kurzfilmsammlung von 2014. Beide Filme sind in Kenia verboten. «Rafiki» ist nur ganz kurz in den kenianischen Kinos gelaufen. «Rafiki» ist aber der erste kenianische Film, der in Cannes gezeigt wurde und international Beachtung fand. Auch weil er trotz seiner ernsten Geschichte sehr positiv und farbig ist.

In «Rafiki» mobilisiert in einer Szene ein evangelikaler Prediger im Gottesdienst gegen Homosexualität. Entspricht diese Situation der Realität?

Dankwa: Die charismatischen Kirchen benutzen Homosexualität häufig als Feindbild. Die meisten Menschen in Ghana sind sehr religiös. Im Zuge meiner Recherchen habe ich viele Frauen befragt, die regelmässig zur Kirche gehen. Wie es ihnen ergeht, wenn sie solche Botschaften hören. Einige nehmen das gelassen, weil sie finden, an einem Sonntag sind die Homosexuellen die Zielscheibe, am nächsten die Alkoholiker oder die Ehebrecher.

Sie relativieren das für sich, um mit dieser Ambivalenz leben zu können. Der Umgang damit ist sicher eine Herausforderung. Einerseits auf einer persönlichen Ebene, aber auch, weil die Religion in vielen afrikanischen Ländern gesellschaftlich wichtig und präsent ist. In den ehemals presbyterianischen oder katholischen Kirchen ist man aber weniger explizit. Denn in den meisten afrikanischen Traditionen gehört es sich nicht, über Sexualität zu reden und schon gar nicht von einer Kanzel.

Wie gross ist der Einfluss der Evangelikalen in Ghana?

Dankwa: Dort gibt es mittlerweile fast mehr Anhänger*innen der charismatischen Bewegungen als der traditionellen.

Können sich queere Menschen offen zeigen?

Dankwa: Die Frage ist, ob sie das auch wollen. Es ist salonfähiger geworden, Sexualität öffentlich zu thematisieren, auch in den Medien. Ich habe jedoch mit vielen Frauen in Ghana gesprochen, die erst jetzt mit dieser Medialisierung ein Problem sehen.

«Wenn Frauen Händchen halten, ist das nichts Ungewöhliches.»

Vorher hatten sie einfach eine Freundin und diese Nähe wurde im engen Umfeld toleriert oder zumindest nicht in Frage gestellt, denn wenn Frauen beispielsweise in der Öffentlichkeit Händchen halten, ist das erstmal nichts Ungewöhnliches. Sie wünschen sich deshalb eher, dass man aufhört, darüber zu reden und wollen in Ruhe gelassen werden.

In Kenia wurde «Rafiki» erst verboten und nach einem juristischen Beschluss dann doch gezeigt. Wie waren die Reaktionen darauf?

Dankwa: In den sieben Tagen, in denen der Film in Kenia gelaufen ist, damit er in Cannes gezeigt werden konnte, ist «Rafiki» sehr gut gelaufen. Gleich nach «Black Panther» war er der zweitgrösste Kinohit aller Zeiten. Bei intimen Szenen im Film gab es scheinbar nicht nur positive Reaktionen, aber es haben ihn sehr viele Menschen in dieser kurzen Zeitspanne gesehen.

Es ist nur schade, dass seither in Kenia niemand mehr diesen Film sehen konnte. Da sind die nigerianischen Filme, auch unter dem Label Nollywood bekannt, viel präsenter. Die nigerianische Menschenrechtsorganisation Tiers hat nun angefangen, Nollywood-Filme in Auftrag zu geben, die positivere queere Charaktere beinhalten. Das ist eine hoffnungsvolle Entwicklung.

*Serena O. Dankwa ist Sozialanthropologin, Dozentin und Leiterin der Fachstelle Gender, Equity and Transformation bei der Entwicklungsorganisation Iamaneh Schweiz. Sie ist die Autorin des Buches «Knowing Women» und Mitherausgeberin des Sammelbands «Bildung.Macht.Diversität». Der Film «Rafiki» läuft heute im Kulturbetrieb Royal in Baden um 20 Uhr: www.royalbaden.ch (sas)


Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

https://www.kath.ch/newsd/in-kenia-verboten-in-baden-zu-sehen-spielfilm-ueber-lesbische-liebe/