«Wie in einer anderen Welt»: Freiwillige beleben das ehemalige Kapuzinerinnenkloster

Dutzende Freiwillige halten das ehemalige Frauenkloster Maria der Engel in Appenzell lebendig. In kurzer Zeit ist aus einem leerstehenden Gebäude das «Kloster für Freiwillige» entstanden, das von zwei Appenzellerinnen geleitet wird.

Vera Rüttimann

Stefanie Koller schaut zu den paar Frauen und Männern, die gerade im Gemüsegarten arbeiten. Es sind Freiwillige, die sich einbringen im Kloster Maria der Engel in Appenzell. Das Kloster ist kein Kapuzinerinnenkloster mehr, sondern ein «Kloster für Freiwillige». Stephanie Koller leitet hier den «Treffpunkt».

Im Hintergrund summen Insekten in den Zwetschen- und Birnbäumen und Beeren. Koller sagt: «Wenn ich hier bin, dann merke ich, dass wir durch die Klostermauern beschützt sind. Von der Aussenwelt. Wir sind wie in einer anderen Welt.»

Stefanie Koller besuchte in Appenzell die Schule. Am Kloster lief die gelernte Köchin jahrelang nur vorbei. «Es war ja ein geschlossenes Kloster. Deshalb ist es für mich schon speziell, wenn ich jetzt hier arbeiten kann.»

«Verlassen und traurig»

Stefanie Koller geht auf Sandra Speck zu. Auch sie ist Appenzellerin. Sie kennt das Kloster seit Kindheit. Der grosse Griff der Klosterglocke, das geheimnisvolle Gitterfensterchen der Klosterpforte: Das alles habe sie schon immer neugierig gemacht. Als sie im Frühjahr 2019 hier ihre Stelle antrat, habe sie eine eher verlassene und traurige Atmosphäre vorgefunden.

Fast 400 Jahren lang war dieses Kloster mitten in Appenzell ein Kapuzinerinnenkloster. 2008 wurde die Gemeinschaft aufgehoben, die fünf letzten Schwestern übersiedelten ins Kloster Grimmenstein.

Danach versuchte der neu gegründete Stiftungsrat, das Kloster wiederzubeleben mit Frauen, die an einer geistlichen Gemeinschaft interessiert waren. Doch es gelang nicht. Dafür entwickelte der Stiftungsrat die Idee, ein «Kloster für Freiwillige» zu realisieren.

Team von Freiwilligen

Bald zog neues Leben ein. Im März 2019 übernahm Sandra Speck die Leitung des Gästehauses im Kloster.

Gleichzeitig wurde der «Treffpunkt» aufgegleist. Er besteht aus den Abteilungen «Garten», «Produktion» und «Laden». Darin ist jeweils ein Team engagiert, das von einer Person angeleitet wird. Die Koordination und Leitung dafür hat Stefanie Koller. Sie arbeitet seit August 2021 im Kloster.

Mit einer Zeitungsannonce wurden Freiwillige zur Mitarbeit im Kloster gesucht. Und tatsächlich: «Wir konnten schnell etliche Freiwillige an der Pforte begrüssen», erinnert sich Sandra Speck.

«Ums Geld verdienen geht es hier nicht.»

Sandra Speck, Leiterin Gästehaus

Das Kloster konnte mehrere Dutzend Freiwillige gewinnen, die regelmässig im Kloster Hand anlegen. Sie kommen aus Appenzell und Umgebung. «Darunter sind Junge und Pensionäre, Mütter und Berufstätige, Frauen und Männer», sagt Sandra Speck. Alle arbeiten ehrenamtlich. «Ums Geld verdienen geht es hier nicht. Was wir in der Gemeinschaft erleben, ist der Lohn für unser Wirken», sagt die 40-Jährige.

«Genug vom Zuviel»

Sandra Speck schlendert durch die Gänge. Ein Blick in eine Zelle. Stuhl, Tisch und Bett, alles in Ordnung. Nirgendwo glimmt und fiept es. «Hier drin bieten wir kein W-LAN, kein Radio und kein Fernsehen an», sagt Sandra Speck.

Dennoch seien die Zimmer, in denen einst die Schwestern schliefen, beliebt bei Gästen. «Die meisten empfinden die Zimmer als still, ruhig und freundlich. Viele sagen, sie werden wieder kommen.» Sie erahnen bei einer Übernachtung wohl, «dass es wenig braucht, um sich gut zu fühlen.» Das Kloster «Maria der Engel» steht für: «Genug vom Zuviel.»

Pilgernde, Sporttreibende und Bildungshungrige

Es kommen, so Sandra Speck, «Leute aus allen Segmenten». Häufig auch Pilgernde. Das Kloster Appenzell sei eine Station auf dem Jakobsweg und dem Jerusalemweg. Deshalb gebe es hier auch sechs speziell eingerichtete Pilgerzimmer.

Dazu «Gäste, die in Appenzell Museen geniessen wollen. Radfahrer und Wanderer, die vor oder nach einer Tour im Alpstein hier übernachten wollen», sagt sie. Unter den Gästen seien auch Leute, die im Kloster an Workshops und Sitzungen teilgenommen haben und abends hier übernachten wollen.

Auszeit im eigenen Land

Sandra Speck ist zufrieden mit der Auslastung. Sie hat beobachtet: «Die letzten zwei Jahre mit der Pandemie kam uns sicher entgegen. Es kamen viele Gäste zu uns, die Auszeiten im eigenen Land gemacht haben.»

Nachdem zwei Pilger ihre Unterkunft verlassen haben, tritt Stefanie Kunz auf den Plan. Sie hilft im Team der Freiwilligen mit und putzt im zweiten Stock regelmässig die Zellen. Die gelernte Coiffeuse hatte zuvor keinen Bezug zum Kloster. Obwohl sie es früher als Schülerin täglich vor Augen hatte. «Ich habe mich nie gefragt, was hinter den dicken Mauern eigentlich ist», gesteht sie.

«Putzen ist wie eine Meditation»

Stefanie Kunz, Freiwillige

Sie schätze die Atmosphäre im Freiwilligenteam. Niemand werde zu irgendetwas gezwungen. «Jeder und jede könne einbringen, was er oder sie am besten könne, sagt sie. Stefanie Kunz schätzt es, allein zu putzen. «Dann kann ich meinen Gedanken nachhängen. Es ist fast wie eine Mediation.» Die Arbeit in den Zimmern sei überschaubar: «In den Zimmern ist es sehr minimal eingerichtet. Es hat einen Stuhl, ein Bett. Fertig.»

In den letzten Monaten sei viel los gewesen. Gäste kamen und gingen. Stefanie Kunz mag es, dass das Kloster dennoch nicht überlaufen ist. Sie sagt: «Ich hoffe, dass sich dieser Ort die Ruhe und Beschaulichkeit bewahren kann.»

«Es hat mich gepackt!»

Maria Koster, Freiwillige

Im Klosterladen bedient Maria Koster an diesem Morgen Gäste an der Kasse, sortiert Konfitürengläser und füllt Bestellscheine aus. Nach ihrer Pensionierung suchte sie eine neue Herausforderung und fand sie hier im Team der Freiwilligen im Kloster Appenzell.

Die aus Schwende stammende Frau hatte erst keinen Bezug zum Appenzeller Kloster. Aber als sie hier an Führungen teilgenommen habe, «hat mich dieser Ort gepackt.» Sie habe sich gesagt: «Hier muss etwas passieren. Man darf dieses Gebäude nicht einfach sich selbst überlassen!»

Das Klosterleben kannte sie allerdings schon. «In meinen jungen Jahren arbeitete ich im Kloster Menzingen», erzählt Maria Koster und fügt an: «Klöster sind für mich ein ruhender Pohl. Ich gehöre zu einer Generation, die noch erlebt hat, wie das klösterliche Leben blühte.»

Neben Reformprodukten wie Dinkelmehl aus Stein AR, Bio- und Demeter zertifizierten Lebensmittel und umweltschonenden Reinigungsmittel sind laut Koster vor allem die klostereigenen Produkte gefragt. Die freiwilligen Helferinnen und Helfer stellen unter anderem verschiedene Sirupe, Konfitüren, Kräutersalze und Senfe her.

In der Kräuterkammer

Im Raum gleich daneben liegt die Kräuterkammer. In offenen Regalen liegen Büschel von Pfefferminze, Salbei und Melisse zum Trocknen aus. Einige hängen an einer Schnur. Später werden Freiwillige die getrockneten Blättchen abzupfen und in Aufbewahrungsboxen und Säcke abfüllen. Von dort werden sie später für Kräuter-Senfe oder in Teemischungen verwendet. Oder sie werden im Klosterladen verkauft oder den Gästen aufgetischt.

Marienfiguren, Kruzifixe, Sensemann

Maria Koster geht voran durchs Kloster, den langen Korridoren entlang. Immer wieder bleibt sie vor einer Marienstatue, einem Kruzifix oder einem grossformatigen Ölbild stehen. An einer Stelle grüsst sogar schaurig-schön ein Sensemann. Maria Koster schwärmt: «Ich liebe diese vielen alten Gegenstände hier!»

Es gebe hier noch so viele Dinge, die selten zu sehen sind. Sie zeigt auf alte Öfen, Tische und Schränke aus Kiefernholz. «Ich schätze es, dass man Vieles hier im Originalzustand gelassen hat», sagt sie.

«Wenn so viele Leute solche Orte aufsuchen, dann muss da doch etwas sein!»

Alles hier erinnere sie an einen «durchbeteten Raum», der in ihr Fragen aufwerfe. Sie sagt: «Wenn ich hier durch die Gänge wandle, denke ich: Nun zweifelt man ja schon an Gott. Aber wenn so viele Leute glauben und solche Orte aufsuchen, dann muss da doch etwas sein!»

Als hätten die Schwestern eben hier gesessen

Maria Koster steigt die Treppe hinunter und erreicht im Parterre das Refektorium. Auch dieser Raum wirkt so, als wären die Schwestern gerade erst hier über ihren Speisen gesessen. Im vorderen Bereich hängt ein grosses Kruzifix. Links und rechts die Porträts der Päpste Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus.

An einer Seitenwand ist sogar noch eine Anwesenheitsliste aufgehängt. Heute sitzen an den langen Holztischen die freiwilligen Helfer und die Gäste des Klosters. Es stimme sie «nicht melancholisch, dass es hier keine Schwester mehr gibt», sagt Maria Koster im Refektorium. Die Zeit sei nun einfach nicht mehr dieselbe.

Andacht in der Kirche

Und doch soll das Kloster auch spirituell neu belebt werden. Vor allem die Klosterkirche. Es läuft schon Einiges: Am Dienstag spielt jeweils ein Mann auf der Orgel. Am Freitag hält der Pfarrer von Appenzell einen Gottesdienst und am Abend spendet er den Dankessegen. Zwischendurch ist Anbetung. Einmal pro Monat gibt es eine Nachtanbetung.

«Das Kloster ist immer in Bewegung», sagt Sandra Speck und ergänzt: «Manchmal staune ich, was wir hier in kurzer Zeit alles auf die Beine gestellt haben.»


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