Damit die Moral nicht baden geht – (un)sittliche Badegeschichten, Teil 2

Im ersten Teil der «Badegeschichten» ging es um die Badekultur im christlichen Mittelalter, um Heilquellen, Kurschatten und sittsame Badekleidung. Nun beschäftigen wir uns mit Goethes Nacktbad im Zürichsee, der Geschlechtertrennung im Freibad und dem «Schandbad» Weggis.

Natalie Fritz

Bis in die frühe Neuzeit war die Frage angemessener Badekleidung in den öffentlichen Badstuben und Heilbädern stets ein Thema. Nackt und geschlechtergetrennt oder gemischt und leicht bekleidet – je nachdem wurden die gesetzlichen Vorgaben und moralischen Leitlinien strikter oder weniger strikt umgesetzt.

Mit den Konfessionskriegen setzte sich eine rigorose Badepolitik durch: Schwimmverbote und Badeverordnungen sollten die Bürger vor Unkeuschheit und die Gesellschaft vor Unordnung schützen.

Nackt badeten nun hauptsächlich die unteren Stände und zwar in freier Natur. Erst in der Aufklärung entdeckte dann das Bürgertum das Schwimmen und Baden im Freien als Teil einer neuen Natürlichkeit wieder.

Goethes Nacktbad und die zwinglianische Reaktion

1775 badete Johann Wolfgang von Goethe mit seinen Begleitern, den Gebrüdern Stolberg, im Zürichsee – nackt! Keine gute Idee auf zwinglianischem Gebiet. Passanten entdeckten die Nackedeis und bewarfen sie mit Steinen. In seinem Reisetagebuch hielt Goethe fest: «Nackte Körper jedoch leuchten weit, und wer es auch mochte gesehen haben, nahm Ärgernis daran». Ob sein damaliger Gastgeber, der reformierte Pfarrer Johann Kaspar Lavater, dieses Verhalten gutgeheissen hätte, ist nicht belegt muss aber angezweifelt werden.

Bereits Zwingli missbilligte das Schwimmen als unwürdig und animalisch: «Schwimmen habe ich Wenigen nützen gesehen, wiewohl es zu Zeiten lustig ist, die Glieder wie ein Fisch im Wasser strecken und ein Fisch zu werden.»

Wie dem auch sei, Goethe und seine Kameraden badeten bereits kurz darauf an der Sihl erneut nackt. Doch auch hier sah man die jungen Männer und bestrafte sie mit Steinwürfen für ihr unsittliches Benehmen. Trotz dieser unfreundlichen Behandlung bereiste Goethe die Schweiz danach noch zweimal – ob er da wieder nackt gebadet hat…?

Die sittliche Zürcher Frauenbadi und die Bretterwand im Mythenquai

1837 hob die Stadt Zürich das Badeverbot für Frauen im öffentlichen Raum auf. Noch in diesem Jahr errichtete die Stadt ein «Badhaus für Frauenzimmer» beim Bauschänzli. Die Kastenform des Gebäudes, das auf der Limmat schwimmt, schirmte die Frauen vor unerwünschten Blicken ab und gewährte Anstand und Moral – bis heute. Denn gerade bei orthodoxen Jüdinnen und Touristinnen aus arabischen Ländern ist die «Frauenbadi» beliebt, weil sie tagsüber nur von Frauen betreten und betrieben wird.

Die Schweizer Freibäder waren bis ins frühe 20. Jahrhundert geschlechtergetrennt – wie in der Kirche waren links die Frauen und rechts die Männer untergebracht. Bei den Seebädern gab es für die Männer die Möglichkeit, aus dem eingefassten Becken in den See hinauszuschwimmen. Die Frauen mussten auch in den Seebädern innerhalb der Einfassung bleiben, der Gefahren und der Sittlichkeit halber.

Das erste Zürcher Strandbad, das Mythenquai, wurde 1922 eröffnet. Eine immense Bretterwand trennte den Männer- vom Frauenteil. Doch die Bevölkerung opponierte erfolgreich gegen die Wand – kurz darauf wurde sie abgebaut und ein Familienbad entstand. Apropos: Auf der Grünfläche der Badi wurde während des Zweiten Weltkriegs Getreide und Gemüse angebaut.

Das Schandbad von Weggis und andere Schweizer Freibad-Geschichten

1919 wird in Weggis das erste geschlechtergemischte Strandbad gebaut. Konservative Kräfte, allen voran die katholische Kirche, fürchteten sich vor einem Sittenzerfall und machten fleissig Propaganda gegen das «Lido». In der Chronik des Kurvereins heisst es: «Nun zog man in der Presse, auf der Strasse und auf der Kanzel über das sittenverderbende Bad los, in allen Tonarten und Stärken. Aus dem Strandbad wurde nun plötzlich ein Schandbad.»

Der Kanton schritt ein und verhängte ein Fotografierverbot und Kleidervorschriften für Männer: von nun an mussten Jungen ab 12 Jahren ein brustbedeckendes Badekostüm tragen. Allen Bedenken zum Trotz wurde das Strandbad ein riesiger Erfolg. Das neu erbaute Hallenbad wurde 1967  sogar durch Pfarrer Joseph Pfenninger gesegnet.

Die Geschlechtertrennung in der Badeanstalt Seeliken in Zug wurde erst 1971 formell aufgehoben – mit 59,9% Ja-Stimmen für das Frauenstimmrecht hatte die Zuger Bevölkerung im Februar schliesslich klar für die Gleichstellung votiert.

In Rorschach verbot man den Kindern im Religionsunterricht den Besuch des Strandbades. Ausserdem sollten die Kinder ihren Müttern ausrichten, sie sollten das Strandbad meiden, wollten sie ihren guten Ruf bewahren.

1950 tat sich «ganz katholisch St. Gallen» zusammen, um das Familienbad in den St. Galler Drei Weieren zu verhindern. Ein Team sittlich geschulter Burschen musste Wache stehen und alle notieren, die trotz Verboten oder entgegen den Empfehlungen hingingen…


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Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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