«Verletzung von Lehre und Disziplin der katholischen Kirche»: Priester im Bistum Chur verweigern Unterschrift unter Verhaltenskodex

Das Bistum Chur will mit einem Verhaltenskodex gegen Missbrauch in der Kirche vorgehen. Über 40 Priester der Diözese verweigern nun die Unterschrift unter das für alle kirchlichen Mitarbeitenden verbindliche Dokument. Dieses verletze «mehrfach die Lehre und Disziplin der katholischen Kirche», kritisiert der Churer Priesterkreis.

Barbara Ludwig

Der Bischof von Chur, Joseph Bonnemain, die drei Generalvikare und die obersten Vertreter der sieben Kantonalkirchen in der Diözese haben am 5. April einen «Verhaltenskodex zum Umgang mit Macht» unterzeichnet. Der Untertitel «Prävention von spirituellem Missbrauch und sexueller Ausbeutung» umschreibt das Ziel, das die katholische Kirche im Bistum Chur mit dem Dokument verfolgt.

Der Verhaltenskodex soll für alle Seelsorgenden, Mitarbeitenden und Führungspersonen des Bistums und der Kantonalkirchen verbindlich sein. Weniger als vier Wochen später zeigt sich, dass das Dokument innerhalb der Priesterschaft des Bistums auf Widerspruch stösst. Der Churer Priesterkreis legt in einer Stellungnahme mit Datum vom 28. April klar, warum man den Verhaltenskodex nicht unterschreiben könne.

Priesterkreis ebenfalls für bessere Prävention

Dabei betont die Gruppierung, dass der Prävention von Übergriffen «eine hohe Bedeutung» zukomme. 95 Prozent der im Kodex thematisierten Inhalte «betrachten wir als Ausdruck des gesunden Menschenverstands und des Anstands», heisst es in der Stellungnahme, die auf der Webseite des Churer Priesterkreises einsehbar ist. Es sei notwendig, alles zu tun, was möglich sei, «um für eine bessere Prävention zu sorgen».

Der Gruppierung gehören laut «Luzerner Zeitung» 43 Geistliche an. Weitere rund 80 Priester seien Sympathisanten, so die Zeitung, die am Freitagvormittag als erste über den Vorstoss des Priesterkreises berichtete.

Verzicht auf Anwendung eines Teils der kirchlichen Lehre

Trotzdem hätte der Diözesanbischof das Dokument «niemals unterzeichnen dürfen», findet der Priesterkreis. Denn damit schränke er in seiner Diözese die Verkündigung von bestimmten Teilen der Glaubenslehre ein und «verzichtet für sich sowie die ihm unterstellten Vorgesetzten und die Priester, Diakone und Laienmitarbeiter darauf, dass bestimmte Teile der kirchlichen Lehre und Ordnung in der Pastoral angewandt werden».

«Die Kirche im Bistum Chur würde dadurch innerhalb der Weltkirche zum Sonderfall.»

Der Priesterkreis befürchtet: «Die Kirche im Bistum Chur würde dadurch innerhalb der Weltkirche zum Sonderfall, weil ihr durch den VK betreffend die Verkündigung der Glaubens- und Sittenlehre ein Maulkorb umgehängt würde.»

Und er befürchtet, mit dem Verhaltenskodex würde eine «Doppelmoral installiert», indem für Priester, Diakone und Laienmitarbeiter eine Spaltung zwischen ihrer persönlichen Lebensführung und ihrer amtlichen Tätigkeit toleriert werden sollte, die für die übrigen Laien nicht gelte. Die Unterzeichnung des Verhaltenskodex durch den Bischof stürze zudem alle kirchlichen Mitarbeiter, «die an der unverkürzten Lehre und Ordnung der Kirche festhalten, in einen Gewissenskonflikt».

Widerspruch zu Lehre über Homosexualität

Der Priesterkreis begründet seine Einschätzung mit Beispielen, die die kirchliche Sexualmoral und das katholische Eheverständnis tangieren. Auf Kritik stösst beispielsweise folgender Satz aus dem Kodex: «Ich verzichte auf pauschal negative Bewertungen von angeblich unbiblischem Verhalten aufgrund der sexuellen Orientierung». Wer diesen Satz unterschreibe, könne nicht mehr die kirchliche Lehre zur Homosexualität verkünden, wie sie im Katechismus festgehalten sei.

Auch eine Passage über Gespräche zum Intimleben missfällt den Kritikern: «In Seelsorgegesprächen greife ich Themen rund um Sexualität nicht aktiv auf. In jedem Fall unterlasse ich offensives Ausfragen zum Intimleben und zum Beziehungsstatus. Dies gilt auch für Gespräche, die ich als Vorgesetzte führe.» Diese Vorgabe würde heissen, dass Pfarrer künftige Eheleute im Traugespräch nicht mehr fragen könnten, ob sie einer Ehe als sakramentale Lebens- und Liebesgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau zustimmen.

Unterstützung beim «Outing» ist eine «Zumutung»

Auch der Satz «Ich unterlasse jegliche Form von Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung oder Identität» könne von der kirchlichen Leitung nicht nachgelebt werden, wenn sie sich weiterhin an die gesamtkirchliche Ordnung halten will. Denn es wäre nicht mehr möglich, «Personen, welche Homosexualität praktizieren» aus dem Priesterseminar zu entlassen.

Die Forderung im Verhaltenskodex, wonach man einem Outing zu sexueller Orientierung «unterstützend» zur Seite zu stehen habe, empfindet der Priesterkreis als «Zumutung».

Diözesane Gremien nicht einbezogen

Aus Sicht des Priesterkreises wird mit dem Dokument «moralischer Druck» ausgeübt, die kirchliche Lehre zu verleugnen. Ein Passus darin deute an, dass die Nicht-Unterzeichnung «arbeitsrechtliche Konsequenzen» haben soll.

Der Priesterkreis kritisiert, dass der Bischof den Kodex den diözesanen Beratungsgremien nicht vorgelegt habe, darunter der Priesterrat. Er bittet den Bischof, die Unterschrift unter den Verhaltenskodex zurückzuziehen und dadurch den «Gewissenskonflikt» seiner Mitarbeiter zu heilen. Ansonsten werde man selbst einen Verhaltenskodex erarbeiten, der im Einklang mit der kirchlichen Lehre stehe und man bereit sei zu unterzeichnen, heisst es in der Stellungnahme.


Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

https://www.kath.ch/newsd/verletzung-von-lehre-und-disziplin-der-katholischen-kirche-priester-im-bistum-chur-verweigern-unterschrift-unter-verhaltenskodex/