Priorin Gassmann: «Das Gebet kann die Welt verändern»

Das jüngste Donnerstagsgebet «Schritt für Schritt» im Kloster Fahr stand im Zeichen des Krieges in der Ukraine. Ein Gebet kann für Irene Gassmann die Welt und die Kirche verändern. Auch der synodale Prozess könne grosse Veränderungen bringen.

Vera Rüttimann

Als sich die Ordensschwestern des Klosters Fahr und die Gäste zum Donnerstagsgebet in der Kirche versammeln, herrscht eine gedrückte Stimmung. Russland greift die Ukraine an, in Europa herrscht Krieg.

Die schrecklichen Fernsehbilder wirken auch bei Priorin Irene nach, die nach dem Gebet sagt: «Wie oft habe ich wie heute beim Lichtritus den Vers gesprochen: ‘Im Namen unseres Herrn Jesus Christus, Licht und Frieden.’ Ein Satz, den ich vorher locker, ja ohne viel zu denken, in den Mund nahm. Heute war das ganz anders.»

Nach dem Corona- der Kriegsschock

Beim anschliessenden Gespräch im Gästeraum des Klosters muss sich die Priorin sammeln. Vieles geht in ihr vor. «Man darf sich jetzt von diesen Bildern nicht lähmen lassen», betont sie. Der Schock des Ukraine-Krieges hat für sie eine Parallele zur Corona-Pandemie.

Angesichts der persönlichen Hilflosigkeit gegenüber einer solchen Zäsur habe sie damals schnell erkannt: «Was ich tun kann, ist beten. Ich glaube stark an die Kraft des Gebetes», sagt sie. Deshalb sei ja das «Gebet am Donnerstag» auch entstanden. Und beten tue man nie nur für sich alleine. «Das gemeinsame Gebet stärkt.» An diesem Abend sei das wieder zu spüren gewesen, diese Schwingung, diese Kraft, wenn sich Leute beim Singen und beim Beten gegenseitig ermutigen.

Kraftvoll, weil mystisch

Kirchenpolitische Statements zu Themen wie Missbrauch-Skandal hört man hier auch an diesem Abend nicht. Das, so sagt Priorin Irene, sei eine bewusste Entscheidung. «Es geht mir darum, uns zu stärken aus dem Wort Gottes. Es ist ein spirituelles Gebet, es ist kein kirchenpolitisches Manifest», sagt sie. Fast schon ein wenig mystisch sei es. Sie schiebt nach: «Gerade deshalb ist es so kraftvoll.»

Die Stimmung des Donnerstagsgebetes sei in den letzten Monaten stark geprägt gewesen durch die Corona-Pandemie. Lange Zeit sei die Klosterkirche geschlossen gewesen.

Endlich wieder für alle offen

Dennoch machten die Schwestern jeden Donnerstag ihr Gebet während ihres Nachtgebets, der Komplet. «Ich habe in dieser Zeit gemerkt, wie müde ich geworden bin», sagt die Priorin, und ergänzt: «Jetzt ist die Kirche endlich wieder für alle offen. Ich spüre neu die belebende und ermutigende Kraft des gemeinsamen Betens.»

Donnerstags-Gebets-Bewegung

Es komme ein harter Kern von Leuten aus den umliegenden Gemeinden. «Eine Frau kommt sogar aus Thalwil. Jeden Donnerstag. Und es gibt immer neue Gesichter bei diesem Gebet.» Manchmal kämen auch Gruppen aus Pfarreien, freut sich die Priorin.

Mittlerweile werde an vielen Orten am Donnerstag für Kirchenreformen und andere Anliegen gebetet. Gerade im deutschsprachigen Raum gebe es mittlerweile eine Donnerstags-Gebet-Bewegung. «Seit drei Jahren wird gebetet und es kommen noch immer wieder neue Gebetsorte dazu. Das gibt Kraft», sagt die Ordensfrau.

Auch die Bewegung «Maria 2.0» hat sich eingeklinkt. Diese lädt unter anderem einmal im Monat zum Donnerstagsgebet per Zoom ein. Entstanden sei dieses Gebetsprojekt im Lockdown. «Am 10. Februar 2022 waren 80 Leute via Zoom eingeschaltet. Leute aus Orten wie Münster, Berlin und Freiburg», freut sich Priorin Irene.

Vom Synoden-Virus gepackt

Einander zuhören, gemeinsam nachdenken, sich Zeit nehmen für den anderen: Für viele macht das den synodalen Prozess aus. So auch für Priorin Irene. Sie sagt: «Ich habe während des synodalen Prozesses gemerkt: Synodalität ist etwas, was wir im Kloster seit je her leben.»

Ihr Ordensgründer, der heilige Benedikt, schreibe in seiner Regel im Kapitel über den Rat: «Sooft etwas Wichtiges im Kloster zu behandeln ist, soll der Abt die ganze Gemeinschaft zusammenrufen. Dass alle zur Beratung zu rufen seien, haben wir deshalb gesagt, weil der Herr oft einem Jüngeren offenbart, was das Bessere ist.»

«Synodalität verbinde ich nun mit: Sportlich sein. Man muss wirklich dranbleiben an diesem Prozess.»

Seit Monaten treibt der synodale Prozess Priorin Irene um: «Mich hat das Synoden-Virus gepackt.» Und irgendwie auch das ganze Kloster Fahr. Das umfangreiche päpstliche Vorbereitungsdokument zur Synode habe man, so die Priorin, jeweils bei der Tischlesung laut vorgelesen.

Nahrhafte Synodenversammlung

Priorin Irene engagierte sich zudem in einer «Fokus»-Gruppe des Instituts «GFS Bern». «Als ich dazu angefragt wurde, sagte ich mir: Lässig, da mache ich mit!» Dann folgte die Einladung zur synodalen Versammlung des Bistums Basel im Januar. Nach den drei Tagen in Basel sei sie erschöpft gewesen: «Synodalität verbinde ich nun mit: sportlich sein. Man muss wirklich dranbleiben an diesem Prozess.»

Wir sitzen im Raum «Torricelli» beim Tee. In diesem multifunktionalen Raum fanden in den vergangenen Monaten mehrere Treffen statt, die Priorin Irene im Rahmen des synodalen Prozesses organisiert hat. Sieben Schwestern konnte sie dazu begeistern, mit auswärtigen Gästen über den Fragenkatalog zu diskutierten. «Selbst Schwester Bernadette, die fast 90 ist, war dabei», erzählt die Priorin begeistert.

Wie eine neue Kultur entstehen kann

Ein Satz von Papst Franziskus liess die Priorin neulich aufhorchen: «Synodalität ist keine Methode, sie ist eine Kultur.» Wie sich diese Kultur in der Kirche anfühlt, habe sie unlängst an einem Wochenende erlebt. Das Kloster hatte zur halbjährlich stattfindenden Veranstaltung «Ü30-fahrwärts» geladen. Referent war Bischof Felix Gmür, der über das Thema «Synodalität, gemeinsam unterwegs!?» sprach.

Im Gottesdienst mit dem Basler Bischof erlebte die Priorin, was Synodalität wirklich ist: Gemeinsam feiern, aufeinander hören und alle einbeziehen sowie sich aktiv beteiligen. Eine Feier, die «geschwisterlich und wertschätzend» gewesen sei. Wenn man sich vertrauen und auf Augenhöhe begegnen könne, dann entstehe Raum für das Wirken des Heiligen Geistes. Irene Gassmann ergänzt: «Nicht schon die Lösung haben und auf Konfrontation gehen, sondern in Offenheit gemeinsam hinhören. So könnte in der Kirche eine neue Kultur entstehen.»

Einschneidende Veränderungen notwendig

Für die agile Mittfünfzigerin ist die Kirche keinesfalls an einem toten Punkt. Es brauche jedoch einschneidende Veränderungen.

Dem synodalen Prozess traut sie zu, dass hier wirklich etwas Grosses passieren könne. Er könne eine ungeahnte Dynamik bewirken. Sie sagt: «Trauen wir Gott zu, dass er Grosses bewirken kann und lassen wir uns überraschen.»


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