Bernhard Eckerstorfer: «Liturgie darf nie zur Ideologie werden»

Der österreichische Benediktiner Bernhard Eckerstorfer (50) ist Rektor der Hochschule Sant’Anselmo in Rom. Ein Gespräch über die Rolle der Schweizer Katholiken und welchen Einfluss Benediktiner auf «Traditionis custodes» hatten.

Jacqueline Straub

Pater Bernhard, Sie sind seit zwei Jahren Rektor am Päpstlichen Athenaeum Sant’Anselmo in Rom, der internationalen Hochschule des Benediktinerordens. Was fasziniert Sie an Ihrer Arbeit am meisten?

Bernhard Eckerstorfer*: Wir haben Studierende aus 70 Nationen an unserer Hochschule. Da lernt man die Weltkirche im alltäglichen Leben kennen, wenn etwa bei einer Vorlesung neben einem koptischen Mönch eine Ordensschwester aus Myanmar und dahinter ein Student aus Ecuador sitzt. Wir sind eine überschaubare Hochschule, doch wir können im Zentrum der Weltkirche auf unsere benediktinische Weise Akzente setzen.

Sind derzeit auch Studierende aus der Schweiz an Ihrer Hochschule?

Eckerstorfer: Dieses Studienjahr nicht. Nächstes Jahr kommt eine reformierte Schweizerin für ein Forschungsprojekt zu uns.

Welche Rolle spielt heute die Schweizer Benediktinerkongregation in der globalen benediktinischen Gemeinschaft?

Eckerstorfer: Eine sehr grosse. Finanziell ist die Schweiz ein wichtiger Faktor für unsere Hochschule. Die Schweizer Benediktiner sind eine sehr lebendige Kongregation. Die benediktinische Lebensform hat in der Schweiz eine lange Tradition. Ich nehme dort ein starkes Bekenntnis und gleichzeitig die Öffnung zur Welt wahr, was sich auch in einigen Klöstern an erstaunlich vielen Eintritten fruchtbar macht.

«Kirche ist mehr als der deutsche Sprachraum.»

Wird die katholische Kirche Schweiz in Rom wahrgenommen?

Eckerstorfer: Meiner bescheidenen Einschätzung zufolge eher nur am Rande. Die Deutschen haben da etwa ein ganz anderes Gewicht. Auch die österreichische katholische Kirche ist nicht so ein Thema in Rom. Was ich in Rom gelernt habe, ist, dass Kirche mehr ist als der deutsche Sprachraum. Vieles relativiert sich. Ich nenne es gerne eine Redimensionierung. Das kann sehr heilsam sein.

Was halten Sie vom synodalen Prozess?

Eckerstorfer: Was der synodale Prozess sicherlich kann, ist die Kirche breiter aufzustellen. Ich nehme in Italien wahr, wie die Pfarreien hier ins Gespräch kommen und intensiv über Glaubensthemen diskutieren. Wir als Benediktiner haben auch eine lange Erfahrung mit dem synodalen Prinzip: Ein Leitspruch des Heiligen Benedikts ist es, dass bei wichtigen Entscheidungen im Kloster alle gefragt werden sollen, denn oft zeigt der Heilige Geist den Jungen, was dran ist. Ich finde es grossartig, dass Papst Franziskus diesen Ansatz pflegt. Darum bin ich sehr hoffnungsvoll, was den weltweiten synodalen Prozess anbelangt.

«Wir als Benediktiner haben eine lange Erfahrung mit dem synodalen Prozess.»

Gibt es auch etwas, das Ihnen Sorge bereitet?

Eckerstorfer: Ich merke, wie unter den jungen Priestern ein neuer Klerikalismus aufkommt. Als ich zum Priester geweiht wurde, gab mir der brasilianische Missionsbischof aus meinem Kloster mit auf den Weg: «Du wirst geweiht, um dem Heiligen Volk Gottes zu dienen.» Priesteramt ist immer ein Dienst. Und die Liturgie darf nie zur Ideologie werden. Die Liturgie ist ein göttliches Geschenk und soll Ausgangspunkt für die Einheit sein, nicht Trennung.

Spielen Sie auf die Traditionalisten ab, die oftmals die Alte Messe als einzig wahre Gottesdienstform ansehen?

Eckerstorfer: Ich würde nicht von vornherein jemanden absprechen, den alten Ritus zu pflegen. Auch in Sant’Anselmo gibt es eine Vielfalt an Anschauungen. Doch – und das ist auch Papst Franziskus wichtig – sollten Vertreter des alten Ritus ebenfalls für die erneuerte Liturgie offen sein. Die Gefahr besteht durchaus, dass einzig die alte Messe als richtiger Ritus benannt wird. Das wollte Papst Franziskus mit dem Motu proprio «Traditionis custodes» verhindern. Entscheidend ist, dass Traditionalisten auch den neuen Ritus anerkennen.

Das Online-Portal katholisches.info spricht den Benediktinern und dem Päpstlichen Liturgischen Institut Sant’Anselmo massgebliches Gewicht bei der Entstehung von «Traditionis custodes» zu. Was sagen Sie dazu?

Eckerstorfer: Sant’Anselmo hat in den Prozessen des Konzils und der Erneuerung der Liturgie wichtige Arbeit geliefert. Und wir stehen auch heute noch für Reformen im Zuge einer Neubesinnung auf die Tradition. Doch Sant’Anselmo wird massiv überschätzt, wenn man denkt, dass der Papst eine Hochschule beauftragen würde, solch ein Dokument anzufertigen, oder sich von einer akademischen Institution zu so etwas bewegen liesse. Die Entstehung von päpstlichen Texten ist ein intensiver und komplexer Prozess, an dem unterschiedliche Personen und Instanzen beteiligt sind.

«Kritiker getrauten sich nicht, den Entscheid von Papst Franziskus zu kritisieren.»

Man wird dem Papst nicht gerecht, wenn man glaubt, dass eine Hochschule ein fertiges Dokument ausliefert. Oder auch, dass es von hier aus eine «pressure group» gegeben hätte. Jene, die das behaupten, haben nicht verstanden, wie vatikanische Texte entstehen. Da wurde etwas konstruiert, was nicht der Wirklichkeit entspricht. Es wurden Verantwortliche gesucht, weil die Kritiker von «Traditionis custodes» sich – zumindest anfangs – nicht getrauten, den Entscheid von Papst Franziskus zu kritisieren.

Wie sollte man Ihrer Meinung nach nun mit den Traditionalisten umgehen?

Eckerstorfer: Es ist verständlich, dass sich manche Traditionalisten wegen des Dokuments verletzt fühlen oder enttäuscht sind. Daher ist es wichtig, sie pastoral gut zu begleiten.

* Bernhard A. Eckerstorfer (50) studierte nach seiner Matura Theologie und Geografie in Salzburg, Wien und den USA. Mit 29 Jahren trat er im Jahre 2000 ins oberösterreichische Stift Kremsmünster ein. Seit Januar 2020 ist er Rektor des Päpstlichen Athenäums Sant’Anselmo in Rom und ausserordentlicher Professor für systematische Theologie und monastische Studien.


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