«Besoffen von Gottes Liebe»: Katholischer Pfarrerssohn schreibt Psalmen auf Mundart

Adolf Fuchs war ein Aargauer CVP-Politiker, der als Witwer Priester wurde. Sein Sohn Michael Peter (69) schreibt moderne Psalmen auf Mundart. Weihnachten ist für ihn eine «Nacht besoffen von Gottes Liebe».

Raphael Rauch

Was ist für Sie ganz persönlich ein Psalm?

Michael Peter Fuchs*: Eine befreiende Art zu beten, zu singen, zu klagen, zu loben, zu danken… Das verbindet mich zutiefst mit der jüdisch-biblischen Tradition. Die 150 Psalmen im Ersten Testament geben mir Kraft.

Was genau gibt Ihnen Kraft?

Fuchs: Ich lese täglich im «Buch der Psalmen», das ist für mich eine «Schule des Betens» geworden. Und ich liebe diese Schule: weil die Worte etwas zu sagen haben. Sie sind existenziell. Sie haben ein weites Spektrum, sind zum Teil widersprüchlich – also überhaupt nicht einengend. Psalmen machen mir Mut, Gott ganz ohne Angst zu begegnen. Wir können uns trauen, alles zu sagen. Aber auch Rhythmus, Bildkraft und Schönheit der Psalmen sprechen mich an.

«Ich stelle mich bewusst in die Tradition der alten Psalmen.»

Warum schreiben und vertonen Sie moderne Psalmen?

Fuchs: Ich stelle mich bewusst in die Tradition der alten Psalmen. Die alten Psalmen erzeugen in mir ein Milieu, in dem ich mich wahrgenommen und eingeladen fühle. Sie helfen mir, meine eigenen Worte, meine eigene Melodie zu finden im Gegenüber zum Du. So entfaltet sich in diesem Zwiegespräch meine Art des Betens und Singens, ein wirklich freies Beten – mit Leib und Seele. Das ist wunderschön, ein Geschenk.

Was können Ihre neuen Psalmen, was die 150 Psalmen aus der Bibel nicht können?

Fuchs: Als Christ bin und bleibe ich zwar gegründet auf dem Judentum, bringe aber gleichzeitig etwas Neues ein: das Bekenntnis zu Jesus von Nazareth. Ein Freund aus Studienzeiten hat zu mir neulich gesagt, ich könne meine «Neuen Psalmen» auch «neutestamentlich» bezeichnen. Ja, das trifft es wohl.

«Ich hatte keine andere Wahl, als im Freiämter Dialekt zu schreiben.»

Welchen Vorteil hat ein Psalm auf Mundart?

Fuchs: Ich hatte keine andere Wahl, als im Freiämter Dialekt zu schreiben. Ich erkläre mir das so: Ich bin nicht Jesus, aber Jesus in mir spricht schweizerdeutsch. Wäre Jesus ein Schweizer gewesen, hätte er auch Dialekt gesprochen. Hat er ja auch – aber er war Jude und sein Dialekt war aramäisch. Also kann es nicht verkehrt sein, wenn auch ich beim Schweizerdeutschen bleibe. Zumal es ums Beten geht: Das soll doch von Herz zu Herz gehen, also in meiner Herzenssprache! Sicherheitshalber habe ich die Texte aber auch ins Hochdeutsche übertragen.

Sie haben auch einen Weihnachtspsalm geschrieben. Worauf kommt es Ihnen hier an?

Fuchs: Mir geht es darum, selbst wieder zum Kern von Weihnachten vorzustossen. Mein Psalm 176 besingt die Nacht, die unsere Umnachtung beendet, die uns Licht, Würde und Hoffnung auf einen Neuanfang zurückgibt: Gott wird Mensch und zeigt uns in Jesus von Nazareth einen Weg auf, wie ich, wir alle wieder zum Leben kommen.

Ihr Vater ist letztes Jahr mit 96 Jahren gestorben. Er ist Priester des Bistums Basel geworden, nachdem Ihre Mutter gestorben war. Was hat er von Ihrem Psalmen-Projekt gehalten?

Fuchs: Mein Vater kannte ein paar Psalmen, die schon etwas früher entstanden sind. Aber die Entwicklung und den Abschluss des Projekts dieses Jahres hat er nicht mehr mitbekommen, weil er im Juni 2020 starb. Aber ich bin mir ganz sicher, dass er sich darüber freut. Ich habe ihm das Buch und allen «glaubwürdigen Zeugen*innen» gewidmet.

«Es gab Phasen schmerzlicher Differenzen.»

Ihr Vater war CVP-Politiker, Sie selbst haben mit linken Basisgemeinden sympathisiert. Kann ich davon ausgehen, dass Sie theologisch anders ticken als Ihr Vater?

Fuchs: In unserer Option für die Armen waren mein Vater und ich uns schon immer verbunden. Wir schätzten einander. Was jedoch die konkrete Umsetzung dieser Option betrifft, wollte ich über den bürgerlichen Rahmen meines Vaters hinausgehen, radikaler ansetzen. Daher mein Schritt in eine christliche Gemeinschaft. Es gab also schon Phasen schmerzlicher Differenzen. Doch gerade in den letzten 15 Jahren haben wir uns wieder angenähert. Waren einander sogar freundschaftlich verbunden.

Ihr Vater blieb auch als Priester ein «animal politique» und hat sich zuletzt klar pro Konzernverantwortungsinitiative ausgesprochen. Wie politisch sind Ihre Psalmen?

Fuchs: Ich bin 69 Jahre alt. Die Psalmen kommen aus meinem Leben, das im Kontext der Nachfolge Jesu verläuft. Nachfolge Jesu als Einladung zur Umkehr ist politisch, immer: Sie umfasst das «ora et labora», das Beten und Arbeiten – unser ganzes Leben. In diesem Sinne sind auch meine «Neuen Psalmen» politisch.

«Wenn das nicht politisch ist!»

Schauen wir uns Ihren «Weihnachtspsalm» genauer an: Da heisst es: «wiehnachte isch/ was de grosse angscht macht/und eus chliine muet/ oh gott ganz schön subversiv».

Fuchs: Das trifft es genau: Indem Gott, das Grösste überhaupt, Mensch wird, dass heisst sich winzig, hilflos, verletzlich macht, stellt Gott die Welt, wie wir sie kennen, auf den Kopf: Die Grossen dieser Welt, die ihr Ego über die Welt stülpen, werden durch diesen göttlichen Umsturz erniedrigt, entlarvt, beschämt. Wir aber, die Namenlosen dieser Welt, werden erhöht, gewürdigt und ermächtigt aufzustehen – sozusagen «mit gott im rugge». Wenn das nicht politisch ist!

Was sagen Sie Menschen, die Ihren Weihnachtspsalm hören und sagen: Das ist nichts für mich, ich höre lieber Bachs Weihnachtsoratorium?

Fuchs: Da Gott zu jedem Menschen anders spricht, gibt es so viele Frömmigkeitsstile wie es Geschmacksrichtungen gibt. Wir sollten nichts gegeneinander ausspielen, sondern das Gemeinsame in allen entdecken und uns im Übrigen über deren Vielfalt freuen.

* Michael Peter Fuchs (69) hat dieses Jahr ein Buch mit CD im Luzerner rex-Verlag, Luzern, veröffentlicht: «mit gott im rugge – Neue Psalmen in Schweizerdeutsch und Hochdeutsch». Vom 2. bis zum 9. April 2022 geht er in der Schweiz «mit gott im rugge» auf Tournee.

Fuchs wuchs in Mellingen, Kanton Aargau auf. Seinen Beruf als Gymnasiallehrer für Deutsch und Philosophie in der Schweiz gab er auf, um mit seiner Frau und seinen Kindern in einer Basisgemeinde im Norden Deutschlands zu leben. Später arbeitete er als katholischer Religionslehrer an Gymnasien in Kiel und Umgebung, wo er auch heute noch lebt.


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