Goldenes Kalb, goldene Mäuse, goldene Hämorrhoiden: Gold im Alten Testament

Die Geschichte vom Goldenen Kalb ist relativ bekannt. Was waren aber goldene Mäuse und Hämorrhoiden? Und was haben Götzen mit Instagram-Narzissmus zu tun? Goldene Fragen an Alfred Bodenheimer.

Raphael Rauch

Wofür steht Gold im Alten Testament?

Alfred Bodenheimer*: In der hebräischen Bibel ist Gold das Symbol schlechthin für Schönes und Wertvolles. Aus Gold ist etwa der Schmuck, der Abraham seiner künftigen Schwiegertochter Rebekka im Buch Genesis schicken lässt. Und auch viele Elemente im Stiftszelt, später im Jerusalemer Tempel, sind aus Gold oder vergoldet.

Beim Goldenen Kalb kommt Gold aber schlecht weg.

Bodenheimer: Die Israeliten giessen in der Wüste ein Goldenes Kalb, während Moses abwesend ist. Das ist das Symbol der Verwerflichkeit schlechthin. Doch ich würde sagen: Hier ist eher das Kalb als imaginierte Stellvertretung Gottes das Problem – und nicht das Gold, das gemäss der Bibel auch aus dem Schmuck der israelitischen Frauen stammte.

«Die Frauen sind gegen das Goldene Kalb.»

Das heisst: Der Schmuck der Frauen hat das Goldene Kalb erst möglich gemacht?

Bodenheimer: Laut rabbinischer Lehrliteratur haben sich die Frauen gewehrt und ihren Schmuck ausdrücklich nicht für diese abscheuliche Widerwärtigkeit hergeben wollen. Daraufhin haben die Männer die Schmuckstücke zerstört und dann eingeschmolzen. Die Frauen werden für ihre Gegenwehr ausdrücklich gelobt.

Hier sieht man: Gold an sich ist etwas Schönes. Doch es kann seine Unschuld verlieren: im Götzendienst, aber natürlich auch durch das Erwecken von Gier oder Kriminalität. Doch darin unterscheidet sich die Bibel kaum von anderen Erzählungen über das Gold.

«Durch Selfies und Tik-Tok-Filme hat das Bild eine neue Funktion.»

Das Goldene Kalb ist weit weg von unserem Alltag. Was wären Götzen des 21. Jahrhunderts?

Bodenheimer: Der englische Begriff für Götzen, «idols», bringt uns da auf die Spur. Die Idolatrie ist die Verehrung von Ab- und Trugbildern. In unserer Zeit der Selfies, der Tik-Tok-Filme, der sozialen Medien insgesamt hat das Bild eine ganz neue Funktion erhalten: Es wird zur dauernden, für jedermann verfügbaren Inszenierung der Person, sowohl der anderen wie unserer selbst.

Ich beobachte, dass das «image» einer Person ihren inneren Kern aufsaugt, sie aushöhlt wie auch verfügbar macht. Auch wird die Glaubwürdigkeit dessen, was wir sehen, konstant in Frage gestellt – auch durch Bildmanipulationen.

«Es geht um die Überhöhung eines Zeichens.»

Und was hat das jetzt mit Götzen zu tun?

So verstehe ich das Problem von Idolatrie: Es ist einerseits der Selbstverlust eines Menschen vor der überhandnehmenden Relevanz des Bildes. Andererseits geht es auch um das Verschwimmen der Realität und ihre Überhöhung oder Manipulation. Letztlich ist das Goldene Kalb nichts anderes: Es ist die Überhöhung des Zeichens, das sich die Menschen selbst von Gott gemacht haben.

Wo das Zeichen sich verselbständigt, geschieht genau jene Idolatrie, die das Goldene Kalb bezeichnet. Gott als Unverfügbarer wäre demgegenüber jene Instanz, die den Menschen auf sich selbst zurückführt und ihn mit sich selbst, seinen realen Möglichkeiten und Grenzen konfrontiert.

Auf der Suche nach Gold stösst man im Alten Testament auf «Goldene Mäuse für Gaza» bei Samuel. Was hat es damit auf sich?

Bodenheimer: Das ist eine sehr spezielle Geschichte: Die Philister haben den Israeliten den Heiligen Schrein in einem Krieg entwendet. Doch als er auf ihrem Gebiet steht, werden sie von Plagen heimgesucht: Es gibt eine Mäuseplage, viel Sterben, die Überlebenden leiden an Hämorrhoiden.

«Als Sühnleistung gab es fünf goldene Hämorrhoiden – wie auch immer diese aussahen.»

Die Priester und Zauberer der Philister beschliessen nach einigen Monaten, man müsse den Schrein zurückbringen, um das Unglück abzuwenden und geben ihm, als eine Art magische Sühneleistung, stellvertretend für die fünf Bezirke der Philister, fünf goldene Mäuse und fünf goldene Hämorrhoiden bei – wie immer diese auch ausgesehen haben mögen.

Auch hier sehen wir: Gold ist das Nonplusultra. Etwas, was grossen Wert hat, aber nicht nur einen faktischen, sondern auch symbolisch überhöhten Wert hat.

«Ein Mann soll kostbarer sein als feinstes Gold.»

Welche goldene Stelle in der heiligen Schrift fällt Ihnen noch ein?

Bodenheimer: Eine Prophetie aus Jesaja 13 enthält eine schlagkräftige Vision: «Ich will den Erdkreis heimsuchen um seiner Bosheit willen und die Gottlosen um ihrer Missetat willen und will dem Hochmut der Stolzen ein Ende machen und die Hoffart der Gewaltigen demütigen, dass ein Mann kostbarer sein soll als feinstes Gold und ein Mensch wertvoller als Goldstücke aus Ofir.»

Goldberg, Goldstein… Welche bekannten jüdische Namen gibt es sonst noch?

Bodenheimer: Es gibt eine Menge solcher Namen, zum Beispiel Goldschmidt, Goldblatt – oder einfach nur Gold. Die Ursprünge können aber sehr verschieden sein. Viele Juden in Mittel- und Osteuropa nahmen bürgerliche Nachnamen erst im 18. und früheren 19. Jahrhundert an, gezwungen durch den sich modernisierenden Staat.

«Goldschmidt verweist auf den Beruf des Goldschmieds.»

Das Wort «Gold» kann aber bei der Namenswahl ganz unterschiedliche Bezüge gehabt haben. Goldberg oder Goldberger kann zum Beispiel zuweilen auf den Ortsnamen Goldberg in Deutschland zurückgehen, Goldmann könnte auf «Mann der Golda» zurückgehen, also einem Bezug auf den Vornamen der Frau. Goldschmidt verweist auf den Beruf des Goldschmieds.

Hoffen wir, dass die 2020er-Jahre zu Goldenen Zwanziger werden – ohne in einer Katastrophe wie die 1920er-Jahre zu enden. Was muss ausser dem Corona-Impfstoff geschehen, damit die 2020er-Jahren zu Goldenen Zwanziger werden?

Vorausgesetzt, die Pandemie lässt sich durch die Impfung wirklich entscheidend eindämmen, bleiben natürlich viele ökologische Fragen zu lösen. Darüber hinaus werden wir die Demokratie dort, wo sie weiterhin existiert, schützen und stärken, im besseren Falle wieder verbreiten müssen.

«Tech-Giganten können unsere Demokratie gefährden.»

Das meine ich sowohl angesichts aggressiver autoritärer Staaten, die nach regionaler oder gar globaler Hegemonie streben, wie aber auch gegenüber überhandnehmen Kartellen und Monopolen wie einigen Tech-Giganten, die immer mehr von Dienstleistern und Plattformen zu Bestimmern unserer wirtschaftlichen, teils aber auch geistig-kulturellen Verhaltensweisen werden. Im Grunde bin ich aber optimistisch.

Das heisst: Es wird Goldene Zwanziger geben?

Bodenheimer: Mit dem menschlichen Geist ist es etwas wie mit dem Gold: Er kann unglaublich wertvoll und positiv sein oder einen richtig ins Elend reiten. Und wenn ich anschaue, wieviel positive Energie in meinen Kindern steckt, dann hoffe ich mal, dass diese Generation einiges packen wird, was unsere zum Teil suboptimal gelöst hat – aber auch die vorhandenen positiven Ansätze weiterentwickeln.

* Alfred Bodenheimer ist Professor für Religionsgeschichte und Literatur des Judentums an der Universität Basel. Er lebt in Basel und Jerusalem.


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