Kloster Val Müstair: Ein abgelegenes Kulturjuwel lebt

Das Kloster St. Johann im abgelegenen Val Müstair zieht nicht nur Kulturinteressierte wegen seiner Fresken an. Sondern auch Menschen auf der Suche nach Sinn und Ruhe. Schwester Maria Birgitta und Stiftungssprecherin Elke Lacher erzählen.

Vera Rüttimann

«Herr, öffne meine Lippen, damit mein Mund dein Lob verkünde.» Mit diesen Worten beginnt der Tag von Schwester Maria Birgitta bei der Vigil um 5.30 Uhr. Er endet mit der Komplet um 19.30 Uhr. Der benediktinische Geist lebt hier ganz konkret. In der Zwischenzeit wird hinter den Mauern geputzt, geschrieben, gekocht oder geschwiegen.

Der Gast sieht die Benediktinerinnen tagsüber in ihren langen, schwarzen Gewändern auch durch den Klostergarten streifen. Zwischen den Sträuchern und Bäumen leben auch drei Klosterkatzen, für die stets ein Schälchen Milch vor der Tür steht.

Von Shanghai nach Müstair

Im blauen Sprechzimmer erzählt Schwester Maria Birgitta aus ihrem Leben. Ihr Weg hierher war windungsreich: Die Uznacherin mit dem bürgerlichen Namen Brigitta Maria Oberholzer arbeitete erst als Kindermädchen in der Schweiz.

Als es die Familie, bei der sie gerade arbeitete, beruflich nach Shanghai zog, zog sie mit. Später tauchten gesundheitliche Probleme auf. Sie erinnert sich an die Worte der Ärztin, die ihr auf dem Schragen sagte: «Sie haben da etwas verdrängt, dass sie lösen müssen.»

Sympathie auf Anhieb

Es war die Frage nach dem Ruf Gottes. Der Ruf ins Kloster, der sie länger schon umtrieb. Sie flog zurück in die Schweiz und suchte verschiedene Klöster auf. Sie war schliesslich 47, als sie 2010 ins Kloster Müstair eintrat. Sie kam von der 21-Millionen-Stadt Shanghai in das östlichste Dorf der Schweiz mit seinen knapp 800 Einwohnern.

Da es gefiel ihr auf Anhieb. Auch wegen der Fresken. «Als ich in die Kirche trat, sagte ich mir: Das ist ein schöner Ort!» Sie fühlt sich wohl in dieser Klosteranlage mit ihren vielen Heiligenstatuen, Treppen, Winkeln und Räumen. Sie arbeitet als Sakristanin, betreut aber auch Gäste. Zu ihnen gehören auch die erwachsenen Kinder ihrer ehemaligen Gastfamilie in Shanghai. Diese besuchen sie jedes Jahr in Müstair.

Aufgewachsen mit Südtiroler Benediktinerabtei

Auch Elke Larcher, die gerade vor der Kirche anzutreffen ist, fühlt sich hier am richtigen Ort. Larcher ist Sprecherin der überkonfessionellen Stiftung Pro Kloster St. Johann. «Ich stamme aus Muri-Gries und wuchs quasi mit der Südtiroler Benediktinerabtei auf», sagt sie.

Als sie in Müstair ihre Stelle antrat, habe sie eine Woche lang mit den Ordensfrauen im Kloster gelebt. «Ich wollte wissen, was die Regel des Heiligen Benedikts mit mir macht», sagt sie. Sie habe sie schliesslich für sich entdeckt und versuche, sie in ihren Alltag zu integrieren. Seit sie im Kloster Müstair arbeitet, beschäftigt sie sich mit den Fresken in der Klosterkirche. Dadurch habe sie ihre kunsthistorischen Kenntnisse erweitern können.

Kunstliebhaber, Pilger, Sinnsucher

Müstair liegt am äussersten südöstlichen Rand der Schweizer Alpen, nahe zur italienischen Grenze. Trotz der Abgelegenheit sieht Elke Lacher hier täglich Leute aus aller Welt ankommen. Da sind Wanderer mit Nordface-Jacken und Stöcken, die hier auf dem Weg ins Vinschgau im Gästetrakt übernachten. Dort stehen Kulturinteressierte, die vor den Fresken meditieren. Dann gibt es Pilger, die mit ihrer Gruppe anreisen. Oder Gestresste, Erschöpfte und Sinnsucher, die mit den Schwestern einige Tage mitbeten wollen.

Elke Larcher sieht die Gäste nicht nur unter den Fresken in der Kirche, sondern auch in der barocken Kapelle Ruhe finden. Eine Wand fällt dort sofort auf: Unter uralten Votiv-Beigaben hängen Dutzende von Rosen mit Zetteln dran. Was hat es damit auf sich? «Es sind die Wünsche, Hoffnungen und Danksagungen von Menschen, die darauf stehen», sagt Elke Lacher.

30’000 Wunschzettel pro Jahr

Sie werden von den Schwestern abgenommen, in ihren Andachten vorgelesen und danach rituell verbrannt. Rund 30’000 Zettel seien es im Jahr. Die Südtirolerin sagt: «Auch das ist ein Zeichen, das dieses Unesco-Weltkulturerbe kein Museum ist, sondern lebt.»


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