«Maria Gimmi erlebte Gründung der Thurgauer Landeskirchen hautnah»

Vor 150 Jahren wurden die Strukturen der beiden Thurgauer Landeskirchen geschaffen. Maria Magdalena Gimmi lebte damals im Thurgau. Der kantonale Staatsarchivar André Salathé beleuchtete an ihrem Beispiel, wie sich das Verhältnis zwischen Kirche und Staat im 19. Jahrhundert verändert hat.

Claudia Koch

Geburt, Eheschliessung und Tod. Anhand dieser drei Beispiele zeigte Staatsarchivar André Salathé an einem Festvortrag zu den Feierlichkeiten der Landeskirchen-Gründung vor 150 Jahren auf, wie sich die neue Kantonsverfassung von 1869 auf das Zivilstandswesen auswirkte. Um die Beispiele für die rund 90 Gäste zu veranschaulichen, erzählte er die Lebensgeschichte einer Thurgauerin. Die Veranstaltung fand am 19. Februar in Weinfelden TG statt.

«Genau vor 190 Jahren, am 19. Februar 1829, wurde in Eckartshausen bei Andwil Maria Magdalena Gimmi geboren», so Salathé. Die Hebamme füllte die Geburtstabelle aus, die sie dem Bezirksarzt einreichen musste. Der Vater meldete dem Pfarrer die Geburt, welcher nach der Taufe einen Eintrag in das Taufbuch machte.

Was nach einem einfachen Ereignis aussieht, entpuppte sich in Bezug auf die administrativen Vorgänge als kompliziert. Die Hebamme war damals eine kommunale Amtsperson mit staatlichem Auftrag. Da der Pfarrer ebenfalls seit 1801 im staatlichen Auftrag Buch führte, kam es zu einer doppelten Buchhaltung, dessen Gespann eine staatlich-christliche Hebamme und ein kirchlich-bürgerlicher Pfarrer war.

1861 erste Zivilehe

Im Thurgau beginnen die Pfarrbücher bei den Reformierten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, bei den Katholiken anfangs des 17. Jahrhunderts. Da im Thurgau fast jede Gemeinde bikonfessionell war, wurden bis zur Helvetischen Revolution von 1798 diese Bücher von den Pfarrern geführt.

Das Brautpaar machte für seinen Entschluss zur Zivilehe religiöse Gründe geltend.

Zwar waren ab 1803 die Gemeinden für die Führung der Zivilstandsregister zuständig, die Aufgabe wurde jedoch weiterhin von den Pfarrern erledigt. André Salathé führte nun weitere Lebensstationen von Maria Magdalena Gimmi aus, die am 20. April 1861 im Rathaus in Weinfelden Gallus Anton Bossart das Ja-Wort gab – als erste im Thurgau geschlossene Zivilehe.

«Das Brautpaar machte für seinen Entschluss zur Zivilehe religiöse Gründe geltend», sagte Salathé. Einerseits gingen sie eine Mischehe ein, was damals kirchlich eine Hürde bedeutete, andererseits fühlten sich die Eheleute der jeweiligen Konfession nicht mehr verbunden.

Ein Grund waren die Mischehen und neue Gemeinschaften auf protestantischer Seite.

Rund 30 Jahre zuvor breitete sich um Hauptwil bei Bischofszell die Täufergemeinde von Samuel Heinrich Fröhlich aus. Die Mutter Maria Magdalenas wird im Totenbuch als Neutäuferin bezeichnet, das frischgebackene Ehepaar trat ebenfalls den Neutäufern bei.

Trennung noch nicht abgeschlossen

Konnte man Mitte des 19. Jahrhunderts zwischen der kirchlichen oder der zivilen Ehe wählen, wurde 1875 mit der revidierten Bundesverfassung die Zivilehe schweizweit als obligatorisch erklärt. Ein Grund waren die Mischehen und neue Gemeinschaften auf protestantischer Seite, die dem Staat keine andere Wahl liessen, als sich von den beiden herkömmlichen Kirchen zu trennen.

Die Ehe wurde Jahrhunderte lang als eine wirtschaftliche Angelegenheit angesehen. Ab dem 11. Jahrhundert unterstand die Ehe dem kanonischen Recht und die Konsensehe setzte sich durch.

Am 9. Januar 1902 verstarb Maria Magdalena Bossart-Gimmi und ihr Sohn meldete dies dem Zivilstandsbeamten und händigte diesem die Todesbescheinigung für den Eintrag ins Totenregister aus. Sie wurde auf dem Friedhof in Sulgen beigesetzt.

Bei den Friedhöfen gab es Konflikte, da das Staatsrecht und das Kirchenrecht in Widerspruch standen: Das kanonische Recht liess die gemeinsame Nutzung mit Häretikern, wozu die Reformierten gezählt wurden, nicht zu.

Gerade bei Bestattungen zeigt sich, dass es mehrere Himmel über dem Thurgau gibt.

Ab 1712 trennte man deshalb die Friedhöfe nach Proportionen der Pfarreiangehörigen und ab 1874 stand die Verfügungsgewalt den bürgerlichen Behörden zu.

Salathé beendete sein Referat mit der Feststellung, dass die Trennung von Kirche und Staat viel früher begonnen hat und seiner Meinung nach noch nicht abgeschlossen ist. Salathé sagte dazu: «Gerade bei Bestattungen Angehöriger anderer Religionen zeigt sich, dass es mehrere Himmel, nicht mehr nur zwei, über dem Thurgau gibt. Umso wichtiger ist eine einzige staatliche Gewalt.»

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