«Meine Lebensform ist ein Statement»

Chur, 23.8.18 (kath.ch) Nicht nur Priester und Ordensleute geloben aus religiösen Gründen ein Leben in Keuschheit – auch «geweihte Jungfrauen» tun dies. Rosmarie Schärer ist eine von ihnen. Wie sie lebt, erzählt die Redaktorin der Schweizerischen Kirchenzeitung bei einem Besuch in ihrer Wohnung im Priesterseminar St. Luzi in Chur.

Regula Pfeifer

Wer sie sieht, dem wird kaum etwas auffallen. Rosmarie Schärer ist eine Frau mit halblangen braunen Haaren, mittlerer Statur und freundlichem Gesichtsausdruck. Und doch ist etwas besonders an ihr. Sie ist eine «geweihte Jungfrau», eine Frau also, die sich in den Dienst Gottes gestellt und dabei Jungfräulichkeit gelobt hat. Frauen wie sie gibt es in der Schweiz nur 66, weltweit etwa 5000. Der Vatikan hat kürzlich ein erstes Dokument zu dieser Lebensform veröffentlicht.

«Eine geweihte Jungfrau zu sein bedeutet für mich nicht primär einen Verzicht auf die Ehe», sagt sie während des Gesprächs in ihrer Wohnung. «Vielmehr ist meine Art zu leben – also aus der Liebe zu Gott heraus – ein Gewinn für mich». Die Ehe sei auch etwas Schönes, fügt sie rasch hinzu.

Der Ring der «Braut Christi»

Rosmarie Schärer trägt einen goldenen Ring. Der sei das Zeichen für ihre Vermählung mit Jesus. «Ich bin eine Braut Christi», sagt Schärer. Das verstünden viele Leute nicht. Den Ring trägt sie seit ihrer Weihe. Das war vor rund 15 Jahren, in ihrer Heimatpfarrei in Buchrain im Kanton Luzern. Weihbischof Martin Gächter leitete den Gottesdienst. Neben dem Ring erhielt Rosmarie Schärer auch einen Schleier und ein Stundenbuch. Den Schleier trägt sie fast nie. Sie wolle sich der Debatte um diese Kopfbedeckung nicht aussetzen, sagt sie.

Ein anderes Symbol hingegen trägt sie: An einer Silberkette hängt ein silberner Anhänger, der Kreuz, Bischofsstab und Öllämpchen in sich vereint. Das sei kein offizielles Symbol, erklärt Schärer, doch viele «geweihte Jungfrauen» trügen den Anhänger.

Hinweis auf das Reich Gottes

Aus ihrer Lebensform macht sie kein Geheimnis. Auch wenn diese viele Leute irritiert, wie Schärer merkt. «Meine Lebensform ist ein Statement», sagt Schärer. «Ich weise die Leute darauf hin, dass das Reich Gottes kommen wird.» Im Himmel gebe es keine Ehe, die Beziehung zu Gott genüge da allen.

Gegenüber Männern versucht sie sich so zu verhalten, dass klar wird: «Ich bin gebunden», wie sie sagt. Dabei hilft wohl auch der Ring. Er sieht wie ein Ehering aus. Wird sie darauf angesprochen, erklärt sie, was dieser Ring in ihrem Fall bedeutet.

Stille statt Gemeinschaft

Während sie erzählt, sitzt Rosmarie Schärer an ihrem Tisch, der Schreib- und Esstisch – und auch Arbeitsplatz für die Redaktorin der Schweizerischen Kirchenzeitung ist. Dass das Gespräch über ihr Leben als «geweihte Jungfrau» hier stattfindet, ist kein Zufall. Sie selbst hatte es vorgeschlagen. Die Wohnung sei ihr sehr wichtig, hatte sie vorgängig mitgeteilt. Sie geniesse die Stille in den eigenen Räumen, sie sei kein Gemeinschaftstyp. Die Wohnung befindet sich an einem speziellen Ort: im Priesterseminar St. Luzi hoch über Chur.

Wohnung neben Ikonen

Dorthin hatte die 48-Jährige die Besucherin mit ihrem Auto gefahren. Am unbesetzten Empfang vorbei ging es in die nächste Etage. Der Korridor, in dem Schärers Wohnung liegt, zeigt altes Gemäuer und ist mit farbig-goldenen Ikonen behängt.

Das Herz der Wohnung bildet ein einfach eingerichtetes Wohnzimmer mit offener Küche. Hier steht ein Tisch mit vier Stühlen, dort ein bequemer Stuhl, daneben eine Kerze und eine gepolsterte Bank, dahinter ein Büchergestell. An einer Wand hängt eine kleine vergoldete Marien-Ikone, an der anderen ein Christus-Kreuz.

Frauenstimme in Männer-Umgebung

Schärer betet regelmässig – mindestens einmal morgens und einmal abends, wie sie erzählt. Frühmorgens besucht sie den Gottesdienst in der Kathedrale oder im Seminar. Dort müsse sie jeweils ihre Stimme finden, sagt sie und weist darauf hin, dass sie die einzige Frau unter lauter Männern ist.

Die abendliche Vesper feiert die «geweihte Jungfrau» in ihrer Wohnung. Richtet sie das Gebet an Maria, stellt sie sich vor die Ikone hin, wendet sie sich an Jesus, blickt sie zum Kruzifix. Meist allerdings sitzt sie im bequemen Stuhl und liest aus dem Stundenbuch. Das sei ihr am angenehmsten, sagt sie. Der Grund: So vermeidet sie Nackenschmerzen, die von einem Schleudertrauma stammen.

Erste Kontakte mit Ordensleben

Rosmarie Schärer ist katholisch aufgewachsen, war aber kirchlich nicht besonders engagiert. Mit 15 Jahren erhielt sie überraschend einen Brief einer Ordensfrau. Diese lud sie zu einem Treffen in eine Gruppe Leute ein, die aus Interesse am Ordensleben Klöster besichtigte. Einige Male ging Schärer mit, doch so richtig gefiel es ihr in keinem der Klöster.

Ruf Gottes gehört

Später, beim Theologiestudium in Freiburg, erzählte eine Mitstudentin von ihrer Kandidatur zur «geweihten Jungfrau». Schärer reagierte ablehnend, diese Lebensform machte für sie rational keinen Sinn. Doch dann, während einer Beichte, hörte sie ihre innere Stimme, die sagte: Nein, das will ich nicht. Sie verstand: Das war ihre Antwort auf einen Anruf Gottes an sie gewesen. Sie realisierte: Gott wollte, dass sie den Weg zur «geweihten Jungfrau» gehe. Sie folgte dem Ruf – weshalb, kann sie nicht erklären.

Schärer steht auf und geht ans Fenster. Von da geht der Blick auf die Bistumskathedrale und den Sitz des Bischofs von Chur und über die Stadt Chur. «Ich kann auf den Bischof herunterschauen», sagt sie schelmisch. Das sagte sie auch Bischof Vitus Huonder einmal im Scherz, und er lächelte. Dann lädt sie zu einem Rundgang durch das verwaiste Priesterseminar ein; es sind Semesterferien.

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