Verfolgte Christen: «Man muss darüber reden»

Bern, 26.6.18 (kath.ch) Mit der Aktion «verfolgung.jetzt» machten am vergangenen Samstag über 1200 Menschen auf dem Bundesplatz in Bern auf die Verfolgung von Christen in aller Welt aufmerksam. Zu Wort kamen vier Nationalräte und Betroffene wie der Filmemacher Petr Jašek. Ein Augenschein vor Ort.

Vera Rüttimann

Die Juni-Sonne brennt mit voller Kraft auf den grossen Platz vor dem Schweizer Parlament. Das Sanitätszelt ist gut besucht. Die Leute zieht es unter schattige Hausdächer, in Info-Zelte oder dann ziehen sie sich einen Jutebeutel über den Kopf. Nur der ältere Mann mit der türkisroten Fahne in der Hand, auf der übergross «Jesus» prangt, bleibt stundenlang stoisch auf dem Bundesplatz stehen.

Unter einem der Zelte verteilt Linus Pfister, Präsident der Arbeitsgemeinschaft Religionsfreiheit (AGR), Flyer. Wie die meisten hier empfindet er es als tiefes Unrecht, «wenn Menschen ihren Glauben nicht frei wählen können oder wegen ihres Glaubens verfolgt werden».

Schicksale, die berühren

Hinter der Kundgebung stehen die sieben Werke der Arbeitsgemeinschaft Religionsfreiheit der Schweizerischen Evangelischen Allianz (SEA) und Fingerprint , einem Verein, der sich in der Evangelisation engagiert. Auch bei Linus Pfister sind es persönliche Erlebnisse, die ihn zu seinem Engagement für verfolgte Christen führten.

Nahe ging dem 54-Jährigen die Ermordung des pakistanischen Politikers Clement Shabaz Bhatti im März 2011 in Islamabad. Als erster Christ wurde er Minister für Minderheiten. Zwei Jahre später wurde der Katholik wegen seines Einsatzes für mehr religiöse Toleranz von einer Splittergruppe der Tehrik-i-Taliban Pakistan (TTP) ermordet. «Das hat mich nachhaltig geprägt», sagt Linus Pfister.

 

Viele Christen in der Schweiz seien sich kaum bewusst, dass ihre Glaubensgemeinschaft die am meisten verfolgte der Welt sei. Einigen ist dieser Umstand wohl bewusst geworden seit der Ausstrahlung des Kinofilms «Von Menschen und Göttern» (2010) von Xavier Beauvois, der die Ermordung von sieben römisch-katholischen Mönchen des Klosters Notre-Dame de l’Atlas in Algerien im Jahre 1996 zum Thema hat.

Diesen Film kennt auch Patrick Schäfer, der die Deutschschweizer Niederlassung des evangelikal geprägten Hilfswerks «Open Doors» leitet. Als er vor Jahren an einem Vortrag in der Pfingstgemeinde erfuhr, wie sehr Christen heute verfolgt werden, vor allem durch radikale Islamisten, war er schockiert. Patrick Schäfer freut sich deshalb, «dass zu dieser jährlich stattfindenden Aktion immer mehr Leute kommen».

Privilegierte Schweiz

Immer wieder rufen die Organisatoren der Veranstaltung die Teilnehmer auf, kleine Gruppen zu bilden und gemeinsam für verfolgte Christen zu beten. Passanten, die den Bundeshausplatz überqueren, um auf der anderen Seite des Platzes das WM-Spiel Deutschland-Schweden sehen wollen, wundern sich über das laute Gemurmel. Blicken irritiert auf die vielen Menschen, die sich an den Händen halten oder schweigend umarmen.

Unter einem der weissen Info-Zelte steht auch Laurent Schlatter von der Organisation «Christian Solidarity International» (CSI). Der Vertreter der Menschenrechtsorganisation für Religionsfreiheit und Menschenwürde, weist Besucher im Gespräch darauf hin, dass die Situation der Christen in der Schweiz eher die Ausnahme als die Regel sei. «Wir wollen Schweizer mit dieser Aktion das Bewusstsein schärfen dafür, wie gut es uns hier geht und wie viele Christen im Gegenzug leiden», sagt er.

Linus Pfister, der sich zu ihm gesellt, ergänzt: «Die Versammlungsfreiheit und die Menschenrechte, die wir in unserem Land geniessen können, haben viel mit unserem christlichen Erbe zu tun.»

Verantwortlich für das, was wir tun

Vorne auf der Bühne unterhalten die Berner Gruppe «Ligu Lehm», Philippe Decourroux, Stefan «Sent» Fischer und Carine Fuenzalida mit einer Tanzgruppe das Volk. Dann ergreift der Berner EVP-Grossrat und SEA-Generalsekretär Marc Jost das Wort. Er moderiert ein Gespräch zum Thema «Christenverfolgung» mit vier Nationalräten, die vom Bundeshaus hierhergeeilt sind.

Marc Jost möchte von den Parlamentariern wissen, warum sie das Thema Christenverfolgung berührt. Marianne Streiff, Nationalrätin der EVP, erzählt: «Als ich als junge Christin aus der Bibel erstmals erfuhr, wie brutal Christen verfolgt und gefoltert wurden aufgrund ihres Glaubens, fragte ich mich: Wie würde ich in einer solchen Situation umgehen?» Religionsfreiheit sei ein Menschrecht, wofür sich alle einsetzen sollen.

Gerhard Pfister, Nationalrat und Präsident der CVP, Laurent Wehrli, Nationalrat der FDP und Erich von Siebenthal, Nationalrat der SVP, nicken heftig, als Marianne Streiff mahnt: «Wir als Christen hier haben Verantwortung für das, was wir tun, aber auch für das, was wir nicht tun.»

Auch Gerhard Pfister sagt, wie sehr ihn die merkliche Zunahme der Christenverfolgung in den letzten Jahren innerlich beschäftige. Für ihn sei es wichtig, dass die Schweizer Politik das tun müsse, was möglich ist: «Das ist nicht besonders viel, aber wenn man schon darauf aufmerksam machen kann, dann erreicht man schon etwas.»

Es gibt Erfolgsgeschichten

Erich von Siebenthal engagiert sich bereits seit längerer Zeit für verfolgte Christen. Der Gstaader Bergbauer informiert darüber, was Politiker konkret tun können in dieser Sache. Er spricht von der Gruppe «Netzwerk Religionsfreiheit», gebildet von Parlamentariern aus allen Bundesratsparteien, die sich während den Sessionen regelmässig im Restaurant Federal zum Austausch treffen, um über das Thema Christenverfolgung zu debattieren und Aktionen zu planen.

Die Parlamentarier können Erfolgsgeschichten vermelden: Marianne Streiff berichtet über den Fall des Entwicklungshelfers und Filmemacher Petr Jašek, von dem per Video Statements übertragen wurden. Der Tscheche war wegen seines Glaubens während 445 Tagen im Sudan inhaftiert und wurde hinter Gittern von Mithäftlingen mit IS-Hintergrund behelligt.

Petition an sudanesischen Staatschef

Die Gruppe schickte 2016 einen ersten Petitionsbrief an den sudanesischen Staatschef und an seinen Innenminister sowie an den sudanesischen Botschafter in der Schweiz. Gleichzeitig ging eine Kopie an den Schweizer Botschafter im Sudan. Dessen Mitarbeiter konnten sich aktiv um Petr Jašek kümmern. Im Februar 2017 kam er frei. Die Begnadigung erfolgte im Zusammenhang mit dem Besuch des tschechischen Aussenministers im Sudan.

Marianne Streiff ist sich sicher: «Wenn wir einen Brief mit unserem offiziellen Nationalrats-Papier an Botschaften anderer Länder absenden, kann man das nicht einfach unter den Tisch wischen.» Gerhard Pfister lobt in diesem Kontext die «vielen Freiwilligenorganisationen, die aus der Schweiz heraus eine wertvolle Arbeit machen für verfolgte Christen».

Weisse Masken auf dem Bundesplatz

Gegen Abend werden die Fahnen eingerollt und die Info-Zelte abgebaut. Linus Pfister ist zufrieden.  Der Thuner ist davon überzeugt, dass es mit dieser Veranstaltung gelungen ist, zu zeigen: Auch hier in der Schweiz interessieren sich Menschen für das Thema Christenverfolgung. Er versteht diese Aktion auch als Appell an die Schweizer Politik, «damit dieses Thema vermehrt Eingang finden soll in die Aussenpolitik».

Ein einprägsames Zeichen hinterlässt der Flashmob, bei dem sich viele Besucher der Kundgebung eine weisse Maske übers Gesicht streifen und minutenlang schweigend verharren oder sich bäuchlings auf den Boden legen. Als starkes Statement und Mahnung für alle verfolgten Christen weltweit.

Video: Die Illanzer Benediktinerin Ingrid Grave über den Film «Von Menschen und Göttern» (2010)

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