«Ein ehemaliger Studienkollege hat mir den Slam-Auftritt eingebrockt»

Bern, 25.5.18 (kath.ch) Mit einem Live-Finale endet der Schreibwettbewerb «Texten» während der «Langen Nacht der Kirchen» am Freitag in der Heiliggeistkirche Bern. Die katholische Theologin Katja Wissmiller, Fotografin, freie Autorin und Fachmitarbeiterin der Bibelpastoralen Arbeitsstelle in Zürich, nimmt daran teil. Sie tritt gegen gewiefte Slam-Poeten und Poetinnen an.

Vera Rüttimann

Für eine ehemalige «Wort zum Sonntag»-Sprecherin ist es ungewöhnlich, in Konkurrenz zu Slam-Poeten Ihre Texte zu performen. Wie kommen Sie dazu, an diesem Anlass in der Heiliggeistkirche in Bern aufzutreten?

Katja Wissmiller: Ich wurde angefragt und habe zugesagt. Soweit ich weiss, hat ein ehemaliger Studienkollege mir das Engagement eingebrockt. Ich war zu eitel, um die Anfrage auszuschlagen. Ich wusste bis dahin weder, was ein LineUp ist, noch was es für Regeln gibt. Aber es reizte mich, das auszuprobieren. Es ist für mich ein neues Genre, an dem mir das Unmittelbare gefällt.

Die Veranstalterin sah das ganz locker.

Mit welchen Gefühlen betreten Sie die Bühne in der Heiliggeistkirche?

Wissmiller: Das unmittelbare Echo kommt direkt vom Publikum: Gähnen oder Applaus. Natürlich bin ich da nervös. Ich bin aber auch sehr gespannt auf die anderen Beiträge, jenen aus dem Schreibwettbewerb «Texten» etwa, die an diesem Abend von Profis vorgetragen werden.

Wie haben Sie sich auf diesen Auftritt vorbereitet?

Wissmiller: Viel zu wenig. Ich habe das unterschätzt. Die Veranstalterin sah das ganz locker und meinte, ich könne etwas aus meinen Publikationen wählen – aber das ging nicht. Eigentlich habe ich aus meinem letzten Artikel für die Zeitschrift «Fama»  nur ein Thema aufgegriffen und komplett überarbeitet.

Wenn man von Gott spricht, entwirft man bestimmte Bilder.

Von welchem Thema handeln die beiden Texte, die Sie vortragen?

Wissmiller: Der erste Text erzählt eine kleine Geschichte von einem Ereignis auf dem Arbeitsweg zwischen Luzern und Zürich. Es geht darin um die Vorstellung von Gottes Stimme in der Welt. Ich mag die prophetischen Bücher in der Bibel, besonders Habakuk und Amos. Amos (Kap 9) steht Pate für den zweiten Text, den ich vortrage, sollte ich wider Erwarten in die zweite Runde kommen. Im Text geht es um ein ungemütliches Siebverfahren, wenn Gott die Guten von den Schlechten trennt.

Welche Message haben Sie an das Publikum?

Wissmiller: Ich denke: Wenn man sich anmasst, von Gott zu sprechen, dann entwirft man bestimmte Bilder – auch mit der Stimme. Und das ist immer die eigene. Das ist die einzige Stimme, die wir Gott geben können. Und für die, die den Glauben an Gott für sinnvoll halten, ist es richtig, Gott ihre Stimme zu geben. Das ist wie eine Wahl. Und auch wenn mein Glaube von Zweifeln voll ist: Gott als Figur funktioniert in Texten trotzdem gut.

Für mich wird das eine Hardcore-Weiterbildung.

Haben Sie das Thema des Schreibwettbewerbs «teilgehabt» thematisch umgesetzt?

Wissmiller: Beide Texte spielen mit meinem Deutsch-Sein in der Schweiz. Der zweite Text dreht sich um die Frage, wer gehört zum «Volk Gottes» und wer nicht. Wir leben in populistischen Zeiten, in denen Politiker diese Rhetorik für sich beanspruchen. Meine Beiträge mischen das – hoffentlich – etwas auf. Mein eigener Prozess, nach fast 20 Jahren die Schweizer Staatsangehörigkeit zu beantragen, warf für mich viele Fragen auf, die noch nicht beantwortet sind. Wie viel Teilhabe habe ich mit meiner sprachlichen Identität in diesem Land?

Was treibt Sie an, in Bern aufzutreten?

Wissmiller: Für mich wird das eine Hardcore-Weiterbildung in Sachen Bühne, ein Schmiss ins kalte Wasser ohne Generalprobe. Ich habe zugesagt – und kneifen darf ich nicht. Als katholische Theologin habe ich das irgendwie verinnerlicht, überall den Fuss hinzusetzen, wo es erlaubt ist. Aber es soll ja ein Wettbewerb mit Augenzwinkern sein.

Man kann sich nicht unter einem liturgischen Gewand verstecken.

Ein Profi in dem Genre bin ich noch lange nicht. Es ist eine grosse Herausforderung zu sagen, was man zu sagen hat, unabhängig davon, wie viel Echo man dafür erhält. Ich bewundere Slamer wie Nico Semsrott und Hazel Brugger, die die Unzulänglichkeiten auf die Bühne bringen und keine Showmaster sind. Remo Zumstein  beneide ich um seine Mund-Art. Diese Lautmalerei bekomme ich mit meiner teutonischen Spreche nicht hin.

Was kann die Kirche von dieser Art von Veranstaltung lernen?

Wissmiller: Wenn man nur ein Mikrofon hat und eine Bühne, dann steht man ziemlich nackt da. Man kann sich unter keinem liturgischen Gewand, keinem Altar, keinem Ambo und auch nicht im Weihrauch-Dunst verstecken. Wer Texte für die unmittelbare Performance vorbereitet, muss bei sich sein, um andere zu überzeugen und mitzureissen. Das gilt nicht nur für Predigende, sondern auch für Lektoren und Lektorinnen. Wie diese die biblischen Figuren sprechen lassen, sagt viel über die eigene Prägung aus und ob die Vortragenden die Texte mit ihrer Phantasie beseelen können.

Für Mitarbeitende im Dienst des «Wortes Gottes» könnte es eine grosse Bereicherung sein, die verschiedenen Spielarten beim Vortragen von Texten wahrzunehmen, um dann ihre eigene authentische Stimme zu entdecken.

Freitag, 25. Mai 2018, 20 Uhr, Heiliggeistkirche Bern

Wenn Theologen gegen Dichter «slammen»

 

 

 

 

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

https://www.kath.ch/newsd/ein-ehemaliger-studienkollege-hat-mir-das-eingebrockt/