Zivile Trauung vor kirchlicher Trauung – ist das wirklich ein alter Zopf?

Bern, 4.5.18 (kath.ch) Wieviel Staat braucht die Ehe? Um diese Frage drehte sich am Donnerstagabend ein Podium im Haus der Religionen in Bern. Dabei wurde deutlich, welche Folgen eine ausschliesslich religiöse Trauung etwa für mögliche Opfer von Zwangsehen haben kann.

Sylvia Stam

Wer religiös heiraten will, muss zuvor eine zivile Ehe eingehen. So will es das Gesetz bis heute. Nun wollen mehrere politische Vorstösse daran etwas ändern – dies der Anlass für das Podium.

In seinem Einstiegsreferat erläuterte René Pahud de Mortanges, Professor für Rechtsgeschichte und Kirchenrecht an der Universität Freiburg, wie es zur heutigen Regelung kam: Die seit 1875 obligatorische Zivilehe wurde 1912 im Zivilgesetzbuch als Voraustrauungsverbot verankert. Vorangegangen waren Verbote einzelner katholischer Kantone, konfessionell gemischte Ehen einzugehen. Mit dem Gesetzesartikel wurde das Recht zur Ehe auch gemischt-konfessioneller Paare unter den Schutz des Bundes gestellt.

Alter Zopf

Genau diesen «alten Zopf aus der Zeit des Kulturkampfes» möchte SVP-Nationalrat Claudio Zanetti (ZH) mit seinem Vorstoss (siehe rechte Spalte) abschneiden. Ihm geht es um die Freiheit der Einzelnen, die Lebensform zu wählen, die sie möchten. Dass jemand, der eine verbindliche religiöse Ehe eingehen will, dafür zuerst beim Staat vorbeigehen muss, während jemand, der im Konkubinat leben möchte, dies nicht muss, empfindet er als «Diskriminierung», wie er auf dem Podium sagte.

Blick über die Grenzen

Ein Blick in andere Länder zeigt laut Pahud de Mortanges, dass ein Drittel der Menschen weltweit keine obligatorische Zivilehe kennt, «und sie überleben auch», so der Freiburger Professor. Er skizzierte unter anderem das italienische System, in welchem eine religiöse Eheschliessung ohne staatliche Registrierung möglich ist. Dies führe allerdings zu Problemen mit Polygamie und Zwangsheiraten. In Deutschland sei das Gesetz zur obligatorischen Zivilehe 2009 gestrichen, im Zuge der jüngsten Flüchtlingswellen sei 2017 jedoch wieder ein Verbot für die religiöse Trauung Minderjähriger eingeführt worden.

Ohne Zivilehe ist keine Kontrolle möglich.

Seine Ausführungen nahmen vorweg, was auch in der anschliessenden Podiumsdiskussion sichtbar wurde: Eine ausschliesslich religiöse Eheschliessung ohne «korsettierende staatliche Normen», welche unerwünschte Wirkungen verhinderten, sei problematisch. Letztlich gehe es um eine Güterabwägung zwischen der Religionsfreiheit, dem Sozialschutz, Frauenrechten und der Autonomie des Individuums.

Alexandra Jungo, Professorin für Zivilrecht an der Universität Freiburg, zeigte den zivilrechtlichen und soziologischen Kontext der Fragestellung auf. Anhand einer Grafik, die einen Zusammenhang von Alter, Beziehungsform und Anzahl Kinder herstellt, zeigte sie auf, dass Schutz einer der Hauptgründe für eine Heirat sei: Menschen heiraten zum Schutz der Kinder, um im Alter geschützt zu sein oder um Erbschaften zu schützen.

Hocherfreut und stutzig

Ein besonderes Schlaglicht warf die Dozentin auf das Thema Zwangsheirat. Hiervon betroffen seien meist Frauen unter 25 Jahren, Ausländerinnen mit prekärem Aufenthaltsstatus und geringer Bildung. «Wenn die religiöse Ehe ohne Zivilehe möglich wird, fällt die Kontrolle des Staates zum Schutz dieser Betroffenen weg», resümierte Jungo. Entsprechend müsse an dieser festgehalten werden, solange für nicht-eheliche Lebensformen wie etwa das Konkubinat nicht dieselben Rechte und Pflichten gelten würden.

Zanetti zeigte sich «hocherfreut» darüber, was sein Vorstoss ausgelöst habe. «Stutzig» mache ihn allerdings die Sache mit den Zwangsheiraten. «Da muss man etwas machen», so der SVP-Nationalrat, der aber dennoch daran festhielt, die Freiheit des Einzelnen, seine Lebensform zu wählen, höher zu gewichten als den Schutz einzelner Betroffener.

Eigenverantwortung funktioniert nicht

«Bei potenziell Zwangsverheirateten ist es zynisch zu sagen, auch eine Nichtheirat sei freiwillig», wandte David Rüetschi vom Bundesamt für Justiz ein. Eigenverantwortung funktioniere bei dieser Bevölkerungsgruppe nicht.

Auch Anu Sivaganesan von der Fachstelle gegen Zwangsheiraten betonte immer wieder den Schutz der Betroffenen und die Pflicht des Staates, für die Einhaltung der Menschenrechte zu sorgen: «Wo bleibt der Schutz von Kindern, wenn der Primat der Zivilehe aufgehoben wird? Wer garantiert das Mindestalter 18 für eine Heirat?»

Katholische Kirche im Dilemma

Sie wies ausserdem darauf hin, dass eine zivile Trauung für viele Länder bloss ein administrativer Akt sei, während die eigentliche Ehe im Verständnis der Heimatkultur erst mit dem religiösen Akt geschlossen werde – ein Fakt, der von einem Imam und einem Hindupriester aus dem Publikum bestätigt wurde. Die beiden Geistlichen betonten aber auch die Wichtigkeit der Zusammenarbeit zwischen Staat und Religionsgemeinschaft zum Schutz der Betroffenen.

Die katholische Kirche, vertreten durch Hansruedi Huber, Kommunikationsbeauftragter des Bistums Basel, habe in der Frage der Streichung des Artikels noch keine Position bezogen. Sie befinde sich in einem Dilemma, so Huber. Zwar sei aus katholischer Sicht einerseits die Rechtsverbindlichkeit der Zivilehe zu begrüssen. Andererseits sei der Primat der Zivilehe vor der kirchlichen Trauung tatsächlich für die Kirche diskriminierend; der alte Zopf sei somit abzuschneiden. Er hob ausserdem die Wichtigkeit der Debatte an sich hervor, zumal es hier letztlich auch um den Schutz der Familie gehe – ein für die katholische Kirche zentraler Wert.

«Der Staat muss Normen zur Verfügung stellen.»

  Der Katholik Zanetti, dem es lediglich um die Streichung der Pflicht zur vorangehenden Zivilehe geht und nicht etwa um eine Aufwertung des religiösen Aktes durch rechtliche Folgen, gab sich schliesslich einsichtig in der Frage nach dem Schutz: «Der Staat muss gewisse dispositive Normen zur Verfügung stellen» – etwa die Registrierungspflicht oder ein Sicherstellen des Güterstands. Um dies noch zu vertiefen, will er demnächst bei der Fachstelle für Zwangsheiraten auf einen Kaffee vorbeigehen.

Gastgeber Pahud de Mortanges stellte demgegenüber eine empirische Studie in Aussicht, welche der Frage nachgehen soll, wie gross das Bedürfnis nach einer ausschliesslich religiösen Ehe in der Schweiz tatsächlich ist und inwiefern dieses das Abschneiden des alten Zopfes rechtfertige.

Label Ehe

Jungo resümierte schliesslich in ihrem Schlussvotum pointiert, es komme ihr vor, als wolle man mit der Streichung des Artikels «nur das Label ‹Ehe›», ohne die rechtlichen Konsequenzen zu tragen.» Einig waren sich die Debattierenden darin, dass die Diskussion öffentlich geführt werden müsse, damit auch den Parlamentariern die Tragweite eines solchen Vorstosses bewusst werde.

Zum Podium eingeladen hatten das Institut für Religionsrecht sowie das Institut für Familienforschung und -beratung der Universität Freiburg.

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