Ein Frühstück soll die Care-Revolution vorantreiben

Bern, 13.11.17 (kath.ch) Am vergangenen Samstag fand im Restaurant Schmiedstube in Bern der zweite «Care-Zmorge» der Frauensynode statt. Dabei wurden 20 Jahre Datenerhebung zur unbezahlten Arbeit gefeiert, aber auch weitere Ansätze der Care-Thematik diskutiert.

Vera Rüttimann

«Care statt Crash», «Care Revolution und «Karwoche ist Care-Woche». So hiessen die Titel von ausgelegten Büchern im Tagungssaal des Restaurants Schmiedstube in Bern. Dabei sei das Thema nicht unbedingt selbsterklärend, bemerkte Ina Praetorius in ihrem Eingangsreferat vor gut 100 versammelten Frauen.

Unter Care versteht die evangelische Theologin alles, was menschliche Bedürfnisse befriedigt. Also nicht nur die bezahlten Tätigkeiten, sondern auch unbezahlte wie kochen, waschen putzen oder alten Menschen zuhören. Die Frauensynode hat die Anerkennung genau solcher Tätigkeiten zum Ziel.

Regula Grünenfelder hat als Leiterin der Fachstelle feministische Theologie der Frauenkirche Zentralschweiz das Thema «Wirtschaft ist Care» aufgeworfen. Bereits an der Frauensynode 2016 in Aarau stellte sie das Thema vor, gemeinsam mit der Pfarrerin Esther Gisler Fischer vom Verein Wirtschaft ist Care (WiC) und der Präsidentin der Frauenkirche Zentralschweiz, Claudia Küttel-Fallegger.

Care-zentrierte Wirtschaft

Am aktuellen Anlass hielt Jacqueline Schön-Bühlmann das Referat zum Jubiläum «20 Jahre Datenerhebung zur unbezahlten Arbeit in der Schweiz». Auch sie habe sich zu Beginn ihrer Arbeit im Bundesamt für Statistik die Frage stellen müssen, was Care-Arbeit überhaupt ausmacht.

Es waren interessante Zahlen, die die Anwesenden erfuhren: 8,7 Milliarden Stunden sind allein im Jahr 2013 in der Schweiz unbezahlt gearbeitet worden. Damit sind für die unbezahlte Arbeit 14 Prozent mehr Zeit aufgewendet als für die bezahlte Arbeit (7,7 Milliarden Stunden). Die gesamte, im Jahr 2013 geleistete unbezahlte Arbeit wird auf einen Geldwert von 401 Milliarden Franken geschätzt.

Aus der Defensive ins Handeln kommen

An einem von Regula Grünenfelder moderierten Podium sprachen der reformierte Pfarrer Helmut Kaiser und die SP-Politikerin Natascha Wey darüber, in welcher Weise sie das Thema Care in ihrem Alltag konkret betrifft. Natascha Wey sprach über ihre Arbeit bei den SP-Frauen. Auch in ihrer Partei sei intensiv über das Thema Care und die Erhebung über die Freiwilligenarbeit gesprochen worden.

Lange sei dieses Thema nicht auf der politischen Agenda gestanden. In den letzten Jahren habe sich dies jedoch verändert. Sie führte aus, wie es dazu kam: «Lange Zeit verstanden sich Frauen nicht als explizit als feministisch. Jetzt erst kommt eine Generation von jüngeren Frauen, denen feministische Positionen wieder wichtiger sind.» Die Aufgabe von politischen Parteien sei es, solche Themen wieder auf die politische Agenda zu setzen.

Kernkompetenz der Kirche

Das fordert auch Helmut Kaiser, der aus Sicht eines Mannes sprach. Als «spätberufener Vater», wie der ehemalige reformierte Pfarrer von Spiez sich selber beschrieb, sprach er über seine Tätigkeiten, die unter Care fallen würden: Er nannte die Zeit, die er für seine Kinder und seine Enkel sowie für die Teilnahme an Sitzungen und Arbeitsgruppen in politischen und kirchlichen Gremien aufbringt.

Als langjährigem Pfarrer ist ihm das Thema nicht fremd. Helmut Kaiser sagte: «Kirche hat schon immer Care ins Zentrum ihrer Botschaft gestellt. Sie macht das seit 2000 Jahren.» Das sozialdiakonische Engagement sei sozusagen ein «Merkmal ihrer Unternehmerkultur». Häufig aber ufere die Care-Arbeit aus und beschneide Freiräume von kirchlichen Mitarbeitern. Auch deshalb sei das Zahlenmaterial der Erhebung so wertvoll, weil es einen Missstand dokumentiere, der viel zu oft auch von Kirchenverantwortlichen zu wenig wahrgenommen werde.

Bezahlen oder nicht?

Während der Podiumsdiskussion kamen auch offene Fragen zur Sprache. Welche Form von Care-Arbeit soll heute bezahlt werden und welche nicht? Die Debatte zeigte, dass es hier keine schnell formulierten Patenzrezepte gibt. Helmut Kaiser gab zu Bedenken: «Es muss nicht alles in Geld umgewandelt werden.» Es gebe Leute, weiss er aus Erfahrung, die es sogar als rufschädigend empfinden, für gewisse Leistungen Geld zu verlangen.

Beide Referenten waren sich jedoch einig, dass bestimmte Care-Tätigkeiten monetarisiert werden müssten. Gerade Frauen, die über viele Jahre Freiwilligenarbeit geleistet hätten, würden bezüglich AHV drastische Einbussen erfahren. In diesem Kontext wurde am Care-Frühstück auch über das bedingungsloses Grundeinkommen debattiert. Helmut Kaiser schloss mit den Worten: «Ich bin sicher, dass ich das noch erleben werde.»

Synodaler Prozess geht weiter

Nun müsse der synodale Prozess hin zur Frauensynode 2020 weiter gehen, so die Organisatoren des Care-Frühstücks. Dabei sollen Menschen aus verschiedenen Regionen in die Diskussion um die Care-Arbeit einbezogen werden. Bereits sei, so Ina Praetorius, eine internationale Bewegung zur Care-Thematik gewachsen. Die evangelische Theologin hofft, dass auch das Care-Netzwerk in der Schweiz zunehmend Gestalt annimmt.

Das Kernteam um Regula Grünenfelder von der Frauenkirche Zentralschweiz und Ina Praetorius vom Verein WiC werden die an diesem Tag diskutierten Impulse bündeln und weiter tragen zu den nächsten Veranstaltungen. Praetorius schloss die Tagung mit einem Plädoyer, das wohl allen Anwesenden aus dem Herzen sprach: «Es muss sich im ökonomischen Denken etwas ändern, damit sich auch in der praktisch-politischen Ebene etwas ändert. Es braucht einen Paradigma-Wechsel.»

Frauensynode 2020: Wirtschaft soll mehr Sorge zum Menschen tragen

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