Seyran Ates wirbt bei Freidenkern um Unterstützung für liberale Muslime

Zürich, 6.11.17 (kath.ch) Die Initiantin der liberalen Moschee in Berlin, Seyran Ates (54), hat am Samstagnachmittag am «Denkfest» der Freidenker in Zürich ihr Projekt vorgestellt. Für ihre dezidierten Voten erhielt die muslimische Frauenrechtlerin immer wieder den Beifall des Publikums. Das Podium und ein Disput mit einem jungen muslimischen Besucher zeigten aber exemplarisch, dass die Frau in der islamischen Welt aneckt.

Barbara Ludwig

Die Männer in Anzug stehen breitbeinig da, die Hände in Hüfthöhe übereinandergelegt, zwei links und rechts von der Bühne, einer auf der Seite des Saals. Ein vierter sitzt in der vordersten Stuhlreihe. Als Seyran Ates vor ihrem Auftritt im Zürcher Volkshauses mit Gästen spricht, stehen die Bodyguards zu dritt in unmittelbarer Nähe der Frau. Seyran Ates erhält Morddrohungen, seit sie im Juni in Berlin zusammen mit Gleichgesinnten die liberale Ibn-Rushd-Goethe-Moschee eröffnet hat.

«Es wundert mich nicht, dass die Menschen am meisten Angst vor der islamischen Religion haben», kommentiert sie ein Ergebnis einer religionssoziologischen Studie, die ihr Vorredner, der Lausanner Religionssoziologie Jörg Stolz, soeben präsentiert hat. «Auch ich habe Angst vor dem radikalen Islam, vor denjenigen, die die Religion politisiert haben», sagt die Frau mit der grauen Kurzhaarfrisur.

Plädoyer für Trennung von Politik und Religion

Sie kritisiert, dass in vielen muslimischen Ländern die Religion die Politik bestimme. «Für mich als Gläubige bedeutet Säkularismus die Trennung von Politik und Religion.» In Ländern, wo die beiden Bereiche nicht getrennt seien, würden sich immer mehr Frauen vom Islam abwenden. Die Ibn-Rush-Goethe-Moschee will sich an einem «säkularen liberalen Islam» orientieren, der weltliche und religiöse Macht voneinander trennt.

Und sie sieht es in einer Zeit, in der der Islam «immer mehr nur mit Terror in Verbindung gebracht wird», als ihre Aufgabe an, «aufzuzeigen, dass der Islam selbstverständlich mit Demokratie vereinbar ist». So heisst es in der Präambel, anhand derer Ates die liberale Moschee vorstellt. Immer wieder unterbricht sie die Lektüre, macht ergänzende Bemerkungen, streut eigene Erfahrungen ein.

So schnell hat der IS keine Fatwa bekommen!

Die Initiantin des Berliner Projekts ist überzeugt, dass «viele Menschen in muslimischen Ländern Reformen im Islam wollen». Aber: «Viele Männer regen sich darüber auf, dass wir den Ort ‘Moschee’ nennen», erzählt sie. Schon drei Tage nach der Eröffnung habe es negative Reaktionen gegeben. Sowohl die türkische Religionsbehörde Diyanet als auch die Fatwa-Behörde in Ägypten kritisierten die neue Moschee scharf.

«So schnell hat der IS keine Fatwa bekommen!», ärgert sich Seyran Ates. Das Freidenker-Publikum im gut gefüllten Saal des Volkshauses klatscht. Für diese «kleine Gruppe» in Berlin interessierten sich Länder wie die Türkei und Ägypten, sagt die Muslimin mit ironischem Unterton.

Mehrfach wirbt Ates für eine Unterstützung des Berliner Projekts. «Ich wünsche mir, dass mir liberale Muslime Geld geben, damit ich eine riesige Moschee gründen kann», sagt sie, halb im Scherz und mit Blick auf die Finanzierung konservativer Moscheen in Europa durch gewisse Länder. Auch für diesen Satz erntet die gläubige Muslimin Applaus. Ihren Vortrag schliesst sie mit dem Aufruf: «Bitte unterstützen Sie unsere Moschee!»

Streit um Zahl der Anhänger

Dass Muslime von dem Projekt nicht einfach begeistert sind, zeigt dann aber auch der weitere Verlauf der Veranstaltung, die die Schweizer Freidenker im Rahmen ihres Denkfestes unter dem Titel «Reformationen des Denkens» organisierten. «Die Mehrheit der Muslime lehnt Ihr Modell ab», sagt Abduselam Halilovic (25), Mitglied im Vorstand der Vereinigung der Islamischen Organisationen in Zürich (Vioz), beim Podiumsgespräch zu Seyran Ates. Man sehe auf Fotos, dass nur wenige Leute die neue Berliner Moschee besuchten.

Ates kontert: «Sie haben Angst vor uns. Deswegen greifen Sie uns an.» Es stimme nicht, dass die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee nur wenige Anhänger habe. Tatsache sei vielmehr, dass interessierte Muslime im Moment noch Angst hätten, sich dort zu zeigen. Vor allem, wenn Medien dabei seien. «Aus diesem Grund hat es wenige Menschen auf den Bildern.» Einige Menschen hätten ihr gesagt, sie kämen wieder, wenn das mediale Interesse abgeflaut sei.

Ates lobt den deutschen Staat

Für Ates ist die Angst dieser Menschen ein Grund mehr, um Unterstützung zu werben. «Liberale Muslime brauchen die Unterstützung der Gesellschaft.» Voll des Lobes ist sie über den deutschen Staat. «Ich werde vom deutschen Staat unterstützt, damit ich meine Religion so ausüben kann, wie ich will.» In der Türkei würde sie dagegen gleich von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan an der Grenze abgeholt.

Halilovic lässt sich nicht von seiner Überzeugung abbringen, dass die liberale Moschee in Berlin nur wenig Rückhalt unter den Muslimen geniesse. Aber: Wenn jemand «seine spirituelle Heimat» dort finde, respektiere er das, sagt der Student und Sohn eines Imams, in versöhnlichem Ton.

Kerem Adigüzel (30) findet das Berliner Projekt «toll». Es sei wichtig, Islamkritik zuzulassen. «Wir müssen Kritik auch aus dem Islam heraus formulieren», findet der junge Mathematiker und Präsident des vor kurzem gegründeten Vereins «Al-Rahman», der für einen eigenständigen Umgang und eine freie Interpretation des Koran eintritt.

«Es gibt Leute, die mich töten wollen, junger Mann!»

In der Fragerunde wird es dann ganz hart für Seyran Ates. «Sie sprechen wie die Salafisten», wirft ihr ein junger Muslim aus der vordersten Reihe vor. Der Auftritt mit Sicherheitsdienst sei «seltsam», findet der Mann weiter. Es wird laut im Saal, die Freidenker murren. Und überhaupt, fährt der Muslim fort: «Können Sie arabisch?» Die Voraussetzungen, um eine Moschee zu gründen, stimmten bei Seyran Ates nicht.

Sie sprechen wie die Salafisten

Die Frauenrechtlerin reagiert blitzschnell: «Sie machen sich über mich lustig. Es gibt Leute, die mich töten wollen, junger Mann!», schleudert sie vom Podium herab. Das sei der Grund, weshalb die Sicherheitsleute hier seien. Sie will von ihm wissen, wie viele Muslime weltweit denn arabisch sprechen. Und wer er denn sei, dass er es wage, ihr die Legitimation für ihr Engagement abzusprechen.

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